Regensburg: „Madama Butterfly“

Besuchte Aufführung: 5.7.2015

Cio-Cio Sans Sehnsucht nach einer amerikanischen Familie

Er war am Theater Regensburg bereits mit „La Bohème“ erfolgreich. Nun hat sich der junge Regisseur Johannes Pölzgutter dort wieder an eine Puccini-Oper gewagt und erneut einen Volltreffer gelandet: „Madama Butterfly“. Es ist ihm hoch anzurechnen, dass er jeder Art von sentimentalem Kitsch eine klare Absage erteilte und den Fokus gekonnt auf ausgemachten Realismus setzte. Was er in Zusammenarbeit mit Nikolaus Webern (Bühnenbild) und Janina Ammon (Kostüme) auf die Bühne gebracht hat, war packendes, fesselndes Musiktheater ganz ohne Klischees und mit hohem intellektuellem Anspruch.

Hye-Sung Na (Cio-Cio San), Yinjia Gong (Pinkerton )

In der Tat sind japanische Einflüsse hier eher wenig zu konstatieren. Auch wenn sie nicht ganz eliminiert sind, das Hauptgewicht liegt nicht auf ihnen. Das Bühnenbild ist neutraler Natur. Es besteht aus einem braunen Holzraum mit verschiebbaren Gitterwänden und einer teils japanischen, teils westlichen Einrichtung. Mit Hilfe der Drehbühne kann es seine Position ändern. Wärme atmet dieser Raum wenig. Vielmehr wirkt er nüchtern und sachlich. Auf einem Schreibtisch im Hintergrund zieht ein riesiger Dolch den Blick auf sich. Es ist die Waffe, mit der Butterflys Vater einst Selbstmord verübte. Sein Bild steht ebenfalls auf dem Tisch, und er selbst geistert auch mal als illusionäre, der Phantasie seiner Tochter entsprungene Wahngestalt durch das Geschehen. Sein Harakiri hat bei Cio-Cio San zu einem ausgemachten Trauma geführt, das sie eigentlich nie ganz bewältigt hat. Sigmund Freud lässt grüßen. Nicht umsonst nimmt Pölzgutter bei dem Wiener Psychiater Anleihen, kamen dessen Lehren doch gerade zur Entstehungszeit des Werkes verstärkt auf.

Hye-Sung Na (Cio-Cio San)

In Regensburg hat sich Butterfly bereits zu Beginn von der Lebensart Japans abgewandt. Zu ihren Verwandten und dem rüden Heiratsvermittler Goro pflegt sie nicht gerade ein gutes Verhältnis. Sie sehnt sich in eine amerikanische Familie hinein, deren aus Mann, Frau und Kind – allesamt modern eingekleidet – bestehendes Bildnis im ersten Akt im Hintergrund prangt. Ein gleiches luftiges Sommerkleid, wie es die Frau auf dem Bild trägt, wird auch die Protagonistin zum Liebesduett mit Pinkerton anlegen, nachdem sie ihr kimonoartiges Gewand ausgezogen und sich dem Publikum im weißen Unterkleid präsentiert hat. Im zweiten Akt wird das Bild auf einmal lebendig. Das Kind und der Mann sind verschwunden. Die Frau sitzt allein da und wartet – wartet auf ihre Familie. Irgendwann erscheint dann auch der Mann. Arm in Arm geht das Paar ab, bereit, irgendwann ein Kind zu zeugen. Bald stellt sich heraus, dass es sich bei dem Mann um Pinkerton und bei der Frau um Kate handelt. Und ihr Sohn ist der von Butterfly. Das hatte man bereits vorher geahnt. Hierbei handelte es sich um einen vortrefflichen Regieeinfall, der gleichzeitig die Sehnsucht der Titelfigur, gleichzeitig aber auch ihre Tragik gekonnt aufzeichnete.

Hye-Sung Na (Cio-Cio San), Statisterie

Nachhaltig versucht Cio-Cio San ein Teil dieser Familie zu werden, schafft es aber nicht. Die Vorzeichen stehen schlecht für sie, Sie muss befürchten, dass sie ihr Kind an Pinkerton und Kate verlieren wird. Das Bild stellt nicht nur einen Wunschtraum Butterflys dar, sondern ist gleichzeitig eine Ahnung des tragischen Ausgangs der Geschichte. Gleichzeitig fungiert diese einer heilen Welt angehörenden Familie zu der alles andere als liebevollen, gewaltbereiten japanischen Gesellschaft, die die Hauptfigur am Ende des zweiten Aktes harsch zwingt, ihr amerikanisches Sommerkleid ab- und den traditionellen Kimono wieder anzulegen. Und prompt erscheinen Pinkerton und Kate. Sie trägt immer noch dasselbe Kleid – ein untrügliches Zeichen dafür, dass der Platz in der von Butterfly ersehnten Pinkerton-Familie inzwischen ihr zugefallen ist.

Hye-Sung Na (Cio-Cio San), Suzuki

Das sind nicht gerade ideale Voraussetzungen, um die Protagonistin von ihrer Psychose zu heilen. Ihr Wahn wird eher noch stärker. In ihrem Schmerz über den Verlust ihres Sohnes lässt sie an dessen Stelle schließlich eine Puppe treten, von der sie sich verabschiedet, bevor sie ihrerseits, gleich ihrem Vater, Selbstmord begeht. Das alles hat Pölzgutter mit hohem technischem Können, versiert, atmosphärisch dicht und mit teilweise sehr starken Bildern umgesetzt. Dass das alles auch Probleme unserer Zeit sein können, wurde noch dadurch verstärkt, dass viele Personen als Angehörige der Gegenwart und ohne große Schminke erschienen. Demgegenüber wirkten die Tätowierungen der japanischen Männer etwas übertrieben. Den Gegensatz hätte man auch ohne sie gemerkt. Darüber hinaus stieg die emotionale Kurve nach der Pause stark an. Das ist stückimmanent, fand aber auch in Pölzgutters Inszenierung mit Hilfe einer ausgefeilten, stringenten Personenregie seinen vollen Niederschlag.

Suzuki, Hye-Sung Na (Cio-Cio San)

Jede Aufführung der „Butterfly“ steht und fällt mit der Sängerin der Titelfigur. Und in dieser Beziehung erwies sich Hye-Sung Na vom Theater der Stadt Heidelberg, wo man sie vor einigen Jahren schon in dieser Partie hören konnte, als wahrer Glücksfall. Schon von ihrem äußeren Erscheinungsbild her entsprach die kleine, zierliche Sängerin der noch sehr jungen Cio-Cio San voll und ganz. Darstellerisch legte sie sich voll ins Zeug und überzeugte mit intensivem und sehr gefühlvollem Spiel. Und auch gesanglich vermochte sie mit ihrem hervorragend fokussierten, farbenreichen und in der Höhe schön aufblühenden Sopran, der in den zarten lyrischen Phrasen recht innig klang, andererseits die dramatischen Höhepunkte ebenfalls mit Bravour meisterte, zu begeistern. Zu Recht stand sie beim Schlussapplaus ganz oben in der Publikumsgunst. Neben ihr bewährte sich in der Rolle des Pinkerton mit gut gestütztem, sauber geführtem und farbenreichem Tenor Yinjia Gong. Sein Tenorkollege Matthias Ziegler sang den Goro mit solider tiefer Gesangsstütze. Das scheint allmählich Mode zu werden. Toll! Rührend besorgt um ihre Herrin zeigte sich Vera Egorova als Suzuki, der sie mit voll und rund klingendem, emotional geführtem Mezzosopran auch stimmlich sehr gerecht wurde. Von Vera Semieniuks profund singender Kate Pinkerton hätte man gerne mehr gehört. Mit sonorer, klangvoller Bassgewalt gab Jongmin Yoon dem Onkel Bonze die nötige Autorität. Solide war der Fürst Yamadori von Sehoon Ha. Das durchweg hohe Niveau seiner Kollegen/innen vermochte Matthias Wölbitsch in der Rolle des Sharpless nicht zu erreichen. Er nennt eine nicht gerade italienisch geschulte Stimme sein eigen und konnte mangels einer tiefen Verankerung seines flachen Baritons keine sonderliche Klangpracht entfalten. Solide schnitten Florian Köfler (Kaiserlicher Kommissär) und Sang-Sun Lee (Standesbeamte) ab. Eine beachtliche Leistung erbrachte der von Alistair Lilley einstudierte Chor.

Eine gute Leistung ist Israel Gursky am Pult zu bescheinigen. Im Einlang mit der Regie vermieden er und das klanglich ganz aus dem Vollen schöpfende Philharmonische Orchester Regensburg alles Kitschige und Klischeehafte in Puccinis herrlicher Musik, sondern gaben dieser eher einen rationalen, analytischen Anstrich, wodurch eine allzu große Sentimentalität der Tongebung vermieden wurde.

Fazit: Wieder einmal eine Aufführung, die die Fahrt nach Regensburg voll gelohnt hat! Der Besuch der Produktion ist sehr zu empfehlen.

Ludwig Steinbach, 6.7.2015

Die Bilder stammen von Juliane Zitzlsperger