Salzburg: „Aida“

Großes Festspielhaus 16.8.17 (Premiere 6.8.)

Große Oper?

Für das Debüt von Superstar Anna Netrebko war schon monatelang die Werbetrommel gerührt worden, und die Rede war von Schwarzmarktpreisen von bis zu 3000 Euro pro Karte. Die Künstlerin hätte sich allerdings ein besseres Umfeld auf der Bühne verdient, als es ihr von Neoregisseurin Shirin Neshat geboten wurde. Die als Photographin und Filmkünstlerin in New York lebende Iranerin hatte nach eigener Aussage noch nie eine Oper gesehen, als Intendant Hinterhäuser mit dem Angebot, Verdis Meisterwerk auf die Bühne zu bringen, an sie herantrat. Als sie sich näher mit der Materie befasste, wurde ihr klar, dass sie mit ägyptischem Pomp aus der Sichtweise des 19. Jahrhunderts nichts zu tun haben wollte. Ein legitimer Anspruch, der allerdings in ziemlich hilfloser Weise umgesetzt wurde.

Auf der von Christian Schmidt gestalteten Bühne befand sich ein großer weißer Kubus, der angeblich den Heiligen Stein von Mekka versinnbildlichen sollte, aber in seiner Materialstruktur eigentlich nur an Verpackungsstyropor erinnerte. Der Kubus konnte kreisen und sich öffnen; in letzterem Fall zeigte er rechts und links je einen Block von Stufen, auf dem sich die Priesterschaft platzierte. Zweimal wurden auf einer Seite des Quaders die Bilder von Flüchtlingen projiziert (die sich im Nilakt dann als die äthiopischen Gefangenen erwiesen), in der Szene der Befragung Radames‘ durch die Priester auch eine Gruppe dieser, während der Chor durch kleine Türen zunächst hinein- und dann hinausschlüpfte. In manchen Bildern waren auch Leuchtkörper zu sehen, die jeder Hotelhalle zur Ehre gereicht hätten. Das war es also mit dem Bühnenbild, dessen Belebung einer wirklichen Regiehand bedurft hätte. Und die gab es überhaupt nicht, denn ein solches Stehtheater hat man wohl seit den Fünfzigerjahren des vorigen Jahrhunderts nicht mehr gesehen. Es kam zu keinerlei Beziehungezwischen den Personen, und auch die sogenannten Aufmärsche waren hilflos.

In der Szene in Amneris‘ Gemach fiel das Mohrenballett weg, an dessen Stelle sich sechs Herren mit Stierköpfen tummelten, die auch als einzige in der Triumphszene zum Einsatz kamen (Choreographie: Thomas Wilhelm). Während des Auftritts bei Amneris gingen diese und ihre Entourage einfach weg! Auch bei der Schwertweihe gab es keine Tänze, dafür wurde Radames von der Priesterin mit der Waffe ein Schnitt zugefügt, was so ungeschickt gemacht war, dass man das als Zuschauer erst begriff, wenn sich der Held mit einer blutenden Wunde zeigte. Tatyana von Walsum hatte für die Titelrollenträgerin ein prachtvolles nachtblaues Kostüm und eine wunderbare stilisierte Lockenperücke geschaffen. Amneris musste für jeden ihrer Auftritte die einfarbige Gewandung wechseln, von gelb über rot, blau und weiß bis schwarz. Für Radames und seine Soldaten gab es angenehm unaufgeregte Uniformen, auch wenn der Tenor im letzten Akt mit seinen Stiefeln, Hemd und Gürtel eher an einen russischen Bauern erinnerte. Für Amonasro gab es ein blaues Hemdchen und keine Schuhe. Eindrucksvoll hingegen die Priester, deren Phantasiegewänder und langen weißen Bärte zwischen orthodoxen und asiatisch angehauchten Religionsgemeinschaften schwankten.

Der wichtigere Faktor der Produktion, nämlich der musikalische, hatte unter der Regie zu leiden. Da mochte sich Riccardo Muti mit den Wiener Philharmonikern noch so ins Zeug legen, in den ersten beiden Akten kam kaum Stimmung auf, denn die – durchaus richtige – kammermusikalische Auslegung der intimen Szenen hätte auf der Bühne eine szenische Entsprechung haben müssen. Dann ließ der Dirigent eine für ihn ungewohnt grobe Triumphszene donnern, die aber ihren Eindruck nicht verfehlte. Ab der Nilszene (mit auf den Kubus projiziertem Wasser) wurde die Stimmung dann intensiver, die Gerichtsszene geriet spannend und die Schlussszene überaus berührend.

Anna Netrebko verdient alles Lob und entsprach jeden Zoll ihrem Ruf. Wie diese gleichmäßige, sämige Stimme, die nicht zu wissen scheint, was ein Rgeisterwechsel ist, auftrumpft, ohne sich in den Mittelpunkt singen zu wollen, wie sie in feinste Piani zurückgenommen werden kann, das ist einfach ein Ereignis. Darstellerisch vertraute sie zumindest erprobter Operngestik, während ihre Partner überhaupt nichts taten. Francesco Meli war dieser Untätigkeit ungeachtet ein hervorragender Radames, der seinen kostbaren Tenor nie zu forcieren brauchte und spannend phrasierte.

Schon sein „Celeste Aida“ mit all den sonst so oft vernachlässigten Zwischentönen war ein Genuss. Für die erkrankte Ekaterina Semenchuk war Daniela Barcellona eingesprungen. Die erst nachmittags in der Festspielstadt eingetroffene Sängerin war in bester Form und sang eine mitreißende Gerichtsszene. Dass sie sich keiner Regie anpassen musste, wollen wir einmal als Vorteil sehen. Sehr gut auch Luca Salsi als intensiver Amonasro, den er nicht nur als Wilden interpretierte, sondern auch für weiche väterliche Töne Platz fand. Roberto Tagliavini war mit klangvollem Bass ein ausgezeichneter König und wäre als Ramphis vermutlich besser am Platz gewesen als Dmitry Belosselskiy, dessen Phrasen der Nachdruck fehlte. Eine schönstimmige (und diesmal sichtbare) Priesterin gab Benedetta Torre, und tapfer hielt sich der Bote von Bror Magnus Tödenes. Ganz hervorragend wieder die Konzertvereinigung Wiener Staatsopernchor unter Ernst Raffelsberger.

Fazit: Regie will gelernt sein, das kann jeder als Arrangeur verschriene Regieassistent beweisen. Und wozu in diesem Fall eine Dramaturgin (Bettina Auer) benötigt wurde, steht in den Sternen.

Aber musikalisch war es letztlich doch der Mühe wert.

Eva Pleus 17.8.17

Bilder: Salzburger Festspiele / Monika Rittershaus