Salzburg: „Ariodante“

Haus für Mozart 18.8.17 (Premiere 16.8.)

So intensiv kann Barockmusik sein!

Die Produktion dieses Werks, das von Georg Friedrich Händel zu einem schwierigen Zeitpunkt seiner Karriere als Theaterimpresario in dem für ihn ungewöhnlich langen Zeitraum von rund zwei Monaten geschrieben wurde, war bereits bei den Salzburger Pfingstfestspielen zu sehen und wurde auch in diesem Jahr in den Sommerspielplan übernommen.

Das Libretto zu der 1735 in London uraufgeführten Oper stammt von einem unbekannten Autor, basiert aber auf „Ginevra, principessa di Scozia“ (1708) von Antonio Salvi, der seine Inspiration in einer Episode aus Ariosts berühmten Versepos „Orlando furioso“ fand. Erzählt wird von Ariodantes Liebe zu Ginevra, Tochter des schottischen Königs, die auf Grund einer Intrige des Polinesso fast zugrunde geht. Dieser wollte nämlich selbst Ginevra heiraten, um auf diese Weise den Königsthron zu erlangen. Er stiftet die in ihn verliebte Hofdame Dalinda dazu an, sich in Ginevras Kleid bei einem nächtlichen Besuch von ihm „ertappen“ zu lassen, um Ariodante die Untreue der Prinzessin zu beweisen. Der fällt natürlich auf den üblen Trick herein und will deshalb mit einem Sprung von einem hohen Felsen ins Meer Selbstmord begehen. Wie das Leben in Barockopern eben so spielt, wird er gerettet und kehrt an den Hof zurück, wo er die halb wahnsinnig gewordene Ginevra nach Aufdeckung von Polinessos Intrige noch retten und ehelichen kann.

Händel verwendete in dieser Oper bewusst sehr wenige Rezitative, um die Aussage seiner Musik in den hochvirtuosen Arien zu konzentrieren. Außerdem stand seinem Londoner Ensemble die berühmte Tänzerin (und erste weibliche Choreographin) Marie Sallé zur Verfügung, weshalb alle drei Aktschlüsse um ein Ballett bereichert sind. Diese Szenen wurden überzeugend von Andreas Heise choreographiert.

Die Titelrolle wurde von Cecilia Bartoli mit großer psychologischer Feinfühligkeit interpretiert. In der Szene, als er Ginevras vermeintlichen Verrat beklagt, streift sich der bärtige junge Mann langsam ein Kleid der Geliebten über – er wird es auch später noch tragen, als wollte er sich in die Handlungsweise einer Frau hineindenken. Regisseur Christof Loy hat damit einen Akzent gesetzt, der auch der restlichen Vorgangsweise seiner Personenregie entspricht, denn auch die anderen Figuren sind sehr präzise gezeichnet, vom jugendlichen Übermut der Ginevra bis zu ihrem Zusammenbruch über die geschmeidige Bösartigkeit des Polinesso bis zum polternden Machogehaben des Königs, der seiner Tochter das Vertrauen entzieht. Den 1. Akt, der ein scheinbares Happyend mit sich bringt, nützte Loy auch für einige heitere Gags, wenn zum Beispiel acht Tänzer eine horchbereite Dienerschaft mimten. (Drei der Herren waren in den Ballettszenen auch als Damen eingesetzt, um das Verschwimmen der Geschlechterrollen zu unterstreichen). Sehr gelungen auch das Bühnenbild von Johannes Leiacker mit seinen beweglichen weißen, vom Barock inspirierten Wänden, die zeitweise den Blick auf ein idyllisches Bild der Natur freigeben. Passend und kleidsam die Kostüme von Ursula Renzenbrink und funktionell die Beleuchtung von Roland Edrich.

Neben ihrer überzeugenden szenischen Interpretation brillierte La Bartoli mit der von ihr erwarteten, hochindividuellen Koloraturtechnik (hinreißend eine Art „Schwipslied“ im 1. Akt!), doch musste man auch feststellen, dass ihre Mittellage und Tiefe bei getragen zu phrasierenden musikalischen Momenten schon recht schwach klingt. Großartig war Christophe Dumaux, der dem fiesen Polinesso seinen brillant geführten Countertenor lieh, der auch extremen Höhen mühelos dramatische Expressivität verlieh. Kathryn Lewek schenkte der Ginevra viel Spielfreude und Ausdruck; ihre gesangliche Leistung war ordentlich, wurde aber durch etliche steife Spitzentöne verunziert. In der etwas undankbaren Partie der Dalinda wusste sich Sandrine Piau in ihren wenigen Arien überzeugend durchzusetzen. Nach der Erwähnung von Kristofer Lundin als Edoardo, einem Gefolgsmann des Königs, muss die Rede wohl oder übel auf zwei Darbietungen kommen, die dem Niveau des Abends nicht entsprachen: Rolando Villazón als Ariodantes Bruder Lucarnio, der Dalinda liebt, von Ginevras Verrat überzeugt ist und Polinesso schließlich im Zweikampf niederstreckt, plagte sich mit brüchiger Stimme über alle Maßen mit den Koloraturen, von etwas höher liegenden Tönen ganz zu schweigen. Und der Bassbariton Nathan Berg mag für den ruppigen schottischen König die richtige Stimmfarbe haben, aber nur zu bellen war denn auch reichlich übertrieben.

Ein Glücksfall ist das von Bartoli ins Leben gerufene Ensemble Les Musiciens du Prince Monaco, die unter der Leitung von Gianluca Capuano ganz prächtig aufspielten und den Hörer jede Nuance von Händels expressiver Musik genießen ließen.

Großer, anhaltender Jubel nach einem immerhin viereinhalbstündigen Abend.

Eva Pleus 27.8.17

Bilder: Salzburger Festspiele / Monika Rittershaus