Schweinfurt: „Charlys Tante“

Aufführung im Theater der Stadt Schweinfurt am 26.02.2017, Premiere in München 09.01.2014

Die Kammeroper München bringt ein weltberühmtes Lustspiel als Neuoperette nach Schweinfurt und kann alle Vorurteile beseitigen

Fast hätte es bei uns einen Ehestreit gegeben, weil ich mich weigern wollte, die 100 km ins Theater der Stadt Schweinfurt zu fahren um dort die Operette „Charleys Tante“ anzuschauen und anzuhören. Ja, Sie haben richtig gelesen, die Operette. Das war es ja. Vor meinen Augen sah ich den exzellenten Film mit Heinz Rühmann als wunderbare Charleys Tante und den nicht minder guten Peter Alexander in einer weiteren Verfilmung. Diese Filme und damit das Lustspiel waren für mich nicht zu toppen und ich konnte mir beim besten Willen nicht vorstellen, dies als Operette zu sehen, in keinem Fall jedoch als gute Operette. Wenn ich voreingenommen bin, dann schon richtig und wenn meine Frau nicht so energisch auf der Fahrt bestanden hätte, wäre ich wohl nie in den Genuss eines außergewöhnlichen Nachmittags gekommen. Gut, die Operette wurde an diesem Nachmittag nicht neu erfunden, aber eine tolle Inszenierung mit eingängigen und richtig schön altoperettischen Melodien gaben meiner Frau (wieder einmal) Recht und mir blieb wieder etwas Zeit zu überlegen, ob man nicht sich doch erst vergewissern sollte, bevor man etwas vehement ablehnt.

Der Klassiker des Lustspiels wurde vom Engländer Brandon Thomas geschrieben, der von 1850 bis 1914 lebte und mit der Musik versehen, des für mich völlig unbekannten Komponisten Ernst Fischer, der von 1900 bis 1975 lebte und total vergessen worden war bzw. man hatte ihn eigentlich gar nicht groß zur Kenntnis genommen. Die Unterhaltungsmusik von Fischer, die dieser für Orchester komponiert hatte, wird von Dominik Wilgenbus mit Gesangstexten unterlegt und das ganze so geschickt arrangiert, dass es einfach Spaß macht, nicht nur zuzusehen sondern vor allem auch zuzuhören. Gut, einen richtigen ins Ohr gehenden Operettenschlager wie bei Strauss und Lehár gibt es hier nicht, aber alles ist mehr als gefällig, eingehend, teilweise mitreißend und wunderbar eindrucksvoll gesungen und gespielt. Man merkt die ganze Zeit über, wieviel Spaß es allen Beteiligten macht hier mitzuwirken. Dominik Wilgenbus ist nicht genug für diese Arbeit zu danken, denn er führt nicht nur die Regie (hatte in den ersten Aufführungen auch mitgespielt und gesungen), er übersetzt auch, arrangiert alles und ist eigentlich der Hauptinitiator im gesamten Ensemble, ohne dies herabwürdigen zu wollen. Ohne ihn hätte es diese „Neuoperette“ nie gegeben und er hat sie auch zu diesem für mich eigentlich sensationellen Erfolg geführt. Das Publikum sieht es genauso und applaudiert stürmisch, lacht befreit und geht durchwegs glücklich aus der Vorstellung heraus. Ja, sie hat einfach Spaß gemacht – und das ist mehr, als man von manchen anderen Operettenaufführung heutzutage sagen kann.

Hervorzuheben ist auch noch Alexander Krampe, der für die Bearbeitung und die Arrangements verantwortlich zeichnet. Einfühlsam, behutsam und einfach stimmig hat er die Musik von Fischer für das doch relativ kleine Orchester bearbeitet und arrangiert. Und noch mehr kommt dazu, ein wunderschönes informatives und ausführliches Programmheft, mit viel Gefühl und Stil von Nerina Wilter gestaltet und ein zweites Heft, welches die kompletten Texte der Operette enthält, so etwas findet man nicht oft, wenn ich ehrlich bin, habe ich dies in dieser Form noch nie gefunden. Herrlich stimmige Kostüme von Uschi Ha ug, ein einfaches aber desto mehr beeindruckendes Bühnenbild, zum großen Teil aus Buchrücken zusammengesetzt von Peter Engels, welches davon zeugt, dass Einfachheit auch wunderschön sein kann. Dazu eine Choreografie, für die Bettina Fritsche verantwortlich zeigt und die einfach gekonnt ist und wo bei allen der Funke überspringt, einfach weil hier ein Team am Werk ist, dass den Namen Team auch zu recht trägt.

Die musikalische Leitung liegt in den Händen von Nabil Shehata und er lässt sein kleines Orchester strahlen und leuchten. Man merkt ihm die Leidenschaft an, diese Musik dem Publikum näher zu bringen. Er lässt das gut aufgelegte Orchester der Kammeroper München funkeln und sprühen und nimmt es zurück, wo es sängerdienlich erforderlich ist. Die Lachmuskeln werden durch das Erfolgsstück gereizt, die Ohren durch die Sänger verwöhnt und das ganze durch den Klangteppich des Orchesters geadelt. Keine Sekunde habe ich bereut, den Weg nach Schweinfurt auf mich genommen zu haben.

Und dann ein Schreck, noch vor dem Beginn der Aufführung. Von der Bühne aus wird angekündigt, dass gerade einer der Hauptdarsteller, der Darsteller von Charleys Tante, Lord Fancourt Babberley kurzfristig erkrankt ist und mit vielen Medikamenten versehen wird. Er hat sich aber bereit erklärt, die Partie zu singen, da kein Ersatz vorhanden ist. Und eben dieser Maximilian Nowka singt und spielt die Rolle so begeisternd, dass man von seiner Erkrankung überhaupt nichts merkt. Er schont sich nicht im Geringsten und bringt eine außergewöhnliche Leistung als Mann in Frauenkleidern auf die Bühne. Sein klarer und frischer Tenor wirkt in keinem Moment angestrengt oder angegriffen und sein superbes Spiel, bringt das Publikum mehr als einmal zum befreiten Lachen. Bemerkenswert ist auch, dass er Abstand davon nimmt, dem Pferd zu viel Zucker zu geben, er übertreibt also den Humor in keinem Bereich und ist auch zu nachdenklich anregenden Szenen bereit. Eine ausgezeichnete Leistung. Ebenso wie die des jungen lyrischen Tenors Semjon Bulinsky als Charles Wykeham. Er spricht mit seinem hellen, beweglichen lyrischen Tenor die Zuschauer an und auch bei ihm ist eine große Spielfreude zu erkennen. Anne-Katrin Steffens als seine Liebste, hat einen klaren voluminösen durchschlagenden stimmschönen weichen Sopran, den sie gekonnt einsetzt und besitzt vor allem eine natürliche Spielbegabung, auch ihr merkt man in jeder Sekunde an, wie sehr sie bereit ist, alles auszuschöpfen um das Publikum zu unterhalten. Und wenn das Publikum, wie an diesem Nachmittag, begeistert mitgeht, dann ist das auch der schönste Lohn für die Künstler, bei denen alle ihr Herzblut einsetzen um diese Operettenlustspielität auf die Bretter, die die Welt bedeuten, zu bringen. Mit kräftigem klangschönem Bass gibt Burkhard Kosche einen überzeugenden Brassett und der junge Leipziger Bariton Torsten Frisch weiß mit vollmundigem rundem kräftigem klarem und stimmschönem Bariton in der Rolle des Colonel Sir Francis Chesney zu überzeugen. Maximilian Kiener als Lord Stephen Spettigue und Theresa Pilsl als Ela Delahay ergänzen das Ensemble eindrucksvoll und ohne Fehl und Tadel. Bleibt noch die aus der Soko Fernsehreihe bekannte Schauspielerin Katharina Blaschke als resolute Donna Lucia d´Alvadorez, die richtige und echte Tante von Charly. Sie überzeugt in erster Linie mit einem ausgezeichneten differenziertem Spiel und kann auch gesanglich einige Glanzpunkte setzten.

Insgesamt eine moderne schwungvolle und überzeugende Aufführung des altbekannten Lustspiels. Meine Befürchtungen, dass man dies nicht als Operette aufführen kann, vollkommen weggeblasen. Eine wunderschöne und begeisternde Aufführung, die auch vom musikalischen Teil voll zufrieden stellen kann und noch etwas darüber hinaus. Bei Nachhausgehen nur fröhliche und heitere Gesichter – und das soll Theater bewirken. Der Reiz der Bühne ist es, den Besucher für einige Stunden weg zu bringen vom Alltag. Und das ist der jungen Truppe der Kammeroper München mehr als gelungen und es ist zu hoffen, dass wir sie noch öfter zu sehen bekommen.

Manfred Drescher, 11.03.2017

Fotos 1 und 2 (c) Sabina Tuscany, München, / Bild 3 Der Opernfreund