Bad Hersfeld: „Goethe!“

Uraufführung: 03.07.2021 – besuchte Vorstellung: 18.07.2021


Wahrheit und Dichtung

Vor gut vier Jahren schrieben wir hier beim Opernfreund nach dem Besuch der Try-Out-Vorstellung des neuen Musicals „Goethe!“ an der Folkwang Universität der Künste: „Es bleibt zu hoffen, dass diese Aufführung ein weiterer Schritt war, das Werk entsprechend weiterzuentwickeln, denn hier könnte in Essen ein ganz großer Musicalhit das Licht der Welt erblickt haben. Potential für große Bühnen ist hier zweifelsfrei gegeben.“ Nun sollte diese Hoffnung ihre Erfüllung finden, denn Anfang Juli 2021 fand die Uraufführung des Werkes im Rahmen der 70. Bad Hersfelder Festspiele statt. Eigentlich sollte das Musial bereits im Vorjahr auf die Bühne der Stiftsruine kommen, allerdings mussten die Festspiele im Jahr 2020 aus den bekannten Gründen abgesagt werden. Das Stück basiert auf dem erfolgreichen Kinofilm über die Jugendjahre des großen deutschen Dichters aus dem Jahre 2010 und erzählt die Geschichte von Johann Wolfgang Goethe, der von seinem Vater zum Studium der Rechtswissenschaften nach Wetzlar geschickt wird und sich dort in die junge Charlotte Buff verliebt. Hierbei steht ihm allerdings sein Vorgesetzter Kestner im Wege, der ebenfalls ein Auge auf Lotte geworfen hat und auch vor einer üblen Intrige nicht zurückschreckt, um seinen Nebenbuhler loszuwerden. Die unglückliche Liebesgeschichte, sowie den Freitod seines Freundes Wilhelm Jerusalem verarbeitet Goethe schließlich in „Die Leiden des jungen Werthers“. Hierbei mischt das Musical geschickt historische Fakten, Auszüge aus besagtem Briefroman und reine Fiktion zu einem kurzweiligen Abend, der unterhält und den Zuschauer gleichzeitig mitnimmt auf eine Reise in Goethes Jugendjahre. Diese ist historisch betrachtet sicherlich nicht immer ganz korrekt, aber wie heißt es im Werk so schön auf die Frage des Verlegers, ob das Werther-Manuskript tatsächlich der Wahrheit entspräche: „Es ist mehr als Wahrheit, es ist Dichtung.“

Entstanden ist dieses Musical während der Umsetzung zu „Das Wunder von Bern“ in Hamburg vom nahezu identischen Kreativteam. Auf der Suche nach neuen Stoffen für die große Musicalbühne wurde zu Recht, das Leben des wohl bekanntesten deutschen Dichters als sehr geeignet angesehen. Wie auch beim Wunder schrieb Martin Lingnau die Musik, die sich unter anderem an aktueller Popmusik orientiert, aber dennoch große und großartige Klangbögen liefert. Besonders erwähnenswert in diesem Zusammenhang „Es lebe das Leben“ oder „Carpe Diem“ bei denen das Ensemble gut zur Geltung kommt. Auch das Duett „Die Leiden des jungen Werthers“ zwischen Goethe und Lotte weiß besonders zu gefallen. Einziges Manko vielleicht, ein echter Ohrwurmsong will nicht so recht hängen bleiben, aber vielleicht muss dies ja auch gar nicht sein. Am ehesten bleibt wohl noch der Titelsong „Goethe?“ bzw. „Goethe!“ am Ende des Stückes im Gedächtnis, zwei Songs, die einen schönen Rahmen um die rund 120 kurzweiligen Minuten bilden, die in Bad Hersfeld aktuell ohne Pause aufgeführt werden. Die Liedtexte stammen von Frank Ramond, Buch und Regie übernahm Gil Mehmert, der hier eine weitere Bühne in die Stiftruine bauen ließ, um die sich das gesamte Geschehen abspielt. Besonders gelungen ist die Szene, in der sich das überdimensionale Brautkleid von Lotte zum Manuskript von „Die Leiden des jungen Werthers“ verwandelt. Besonders Highlight der Aufführung ist darüber hinaus das sehr gelungene Lichtdesign von Michael Grundner, welches bei der Nachmittagsvorstellung leider nicht zur Geltung kommt. Auch verpuffen hier die Schattenspiele auf dem Vorhang der Bühne, da sie durch den Lichteinfall gar nicht zu erkennen sind. Angemerkt sei an dieser Stelle noch, dass nahezu das gesamte Werk durchkomponiert ist und ein handlungstragender Song dem nächsten folgt. Reine Sprechszenen sind hier so gut wie nicht vorhanden.

In der Titelrolle überzeugt der erfahrene Musicaldarsteller Philipp Büttner, der bereits in Essen Erfahrungen in dieser Rolle sammeln konnte. Ihm zur Seite steht mit Abla Alaoui eine sehr bezaubernde Charlotte Buff. Auch die weiteren Rollen sind in Bad Hersfeld wie üblich bis in die kleinste Rolle stark besetzt. Thomas Hohler weiß als Wilhelm Jerusalem ebenso zu gefallen wie Karen Müller als seine Geliebte Rotschopf oder Mischa Mang, der gleich in fünf verschiedene Rollen schlüpft. Sehr stark in Schauspiel und Gesang auch Christof Messner als Kestner. Rob Pelzer und Detlef Leistenschneider verkörpern neben einigen kleineren Rollen zudem die Väter von Johan Goethe und Lotte Buff. Das Orchester der Bad Hersfelder Festspiele spielt unter der musikalischen Leitung von Christoph Wohlleben gewohnt klangstark auf und überzeugt vor allem durch die vielen Streicher, die dem Werk gut zu Gesicht stehen. Wer das Werk in den verbleibenden Vorstellungen bis zum 06. August 2021 noch sehen will hat nun wieder die Chance dazu. Bis vor wenigen Tagen waren sämtliche Vorstellungen in der Stiftsruine ausverkauft, durch eine Lockerung der Corona-Maßnahmen konnten nun aber weitere Eintrittskarten in den Verkauf gegeben werden.

Abschließend sei noch auf eine andere Aktion der Festspiele hingewiesen. Ensemble- und Team-Mitglieder der Bad Hersfelder Festspiele sammeln für den guten Zweck und versteigern selbstgestaltete Kunstwerke von Götz Schubert, Daniela Ziegler, Henry Maske und vielen anderen Prominenten. Anlässlich des 70. Bestehens der Bad Hersfelder Festspiele malen und gestalten die Festspiel-Stars und weitere Prominente Bilder für eine Geburtstags-Versteigerung, deren Erlös für die Produktion des Familienstückes im kommenden Jahr genutzt werden sollte. Dann ereignete sich die verheerende Hochwasser-Katastrophe in Deutschland, die zahlreiche Menschenleben forderte, ganze Ortschaften verwüstete und unsagbares Leid über die Bewohnerinnen und Bewohner brachte. Sofort war klar, dass Ensemble– und Team-Mitglieder helfen wollen. „Die erschreckenden Bilder aus den deutschen Hochwassergebieten und die Not, die dort bei den Menschen herrscht, haben uns umdenken lassen. Der gesamte Betrag, den wir aus der Geburtstags-Versteigerung der Festspiele einnehmen, geht an das Aktionsbündnis Katastrophenhilfe“, sagt Festspiel-Intendant Joern Hinkel. Den Erlös der Versteigerung, die ab sofort unter dem Link https://www.bad-hersfelder-festspiele.de/versteigerung.html startet, werden die Bad Hersfelder Festspiele an das “Aktionsbündnis Katastrophenhilfe“ (ein Zusammenschluss der Hilfsorganisationen DRK, Caritas, Unicef und der Diakonie) überweisen. Darüber hinaus starten die Ensemble- und Team-Mitglieder der Bad Hersfelder Festspiele noch Sammelaktionen unter den Festspielbesuchern nach den Aufführungen. Die Erlöse dieser Spendenaktionen werden ebenfalls dem ,,Aktionsbündnis Katastrophenhilfe“ zugeführt. Vielleicht findet der ein oder andere Opernfreund ja hier ein interessantes Werk für die Wohnzimmerwand.

Markus Lamers, 25.07.2021
Fotos: © BHF / S. Sennewald