Karlsruhe: „Der fliegende Holländer“, Richard Wagner

Seit einiger Zeit ist am Badischen Staatstheater Karlsruhe eine Neuproduktion von Wagners Fliegendem Holländer zu erleben.

(c) Arno Kohlem *

Hierbei handelt es sich um eine in jeder Beziehung beachtliche Angelegenheit. Überzeugend ist schon die Inszenierung von Ludger Engels in dem Bühnenbild von Volker Thiele und Heide Kastlers Kostümen. Der Regisseur fasst Wagners Werk als Künstlerdrama auf, was bereits bei dem bebilderten Vorspiel deutlich wird. Zu Beginn schiebt der Holländer als Kind einen schwarzen Konzert-Flügel herein, während sich im Hintergrund ein gewaltiges Segeltuch im Wind bläht. Senta, ebenfalls als Kind, gesellt sich zu ihm. Munter hüpfen die beiden um den Flügel herum und versuchen, auf der Klaviatur zu spielen. Dazu dient ihnen ein Klavierauszug des Fliegenden Holländers. Der Versuch ist indes zum Scheitern verurteilt und die beiden Kinder verlassen wieder die Bühne. Im Folgenden tritt der Konzert-Flügel auch an die Stelle der Schiffe Dalands und des Holländers. Mit Hilfe von Tauen wird er von den dunkel gekleideten Seeleuten eifrig hin und her gezogen und im Laufe der Aufführung immer mehr in seine Bestandteile zerlegt. Die einzelnen Fragmente des Flügels schweben am Ende gleich einem Sternbild vom Schnürboden herab – ein starkes Bild!

(c) Arno Kohlem *

Besagter Konzert-Flügel steht in einem engen Zusammenhang zum Lied. Lieder werden auf einem Flügel zum Besten gegeben. Das Kunstlied fasst Engels als zentrales Element seiner gelungenen Inszenierung auf. Die romantische Form des Kunstliedes, von Schubert initiiert und zum ersten Höhepunkt geführt, ist historisch von Wagner weit weniger weg, als viele glauben, ist im Programmheft zu lesen. Das trifft zu. In Wagners Holländer findet sich in der Tat viel Liedhaftes. Der tiefere Sinn dieses Regieeinfalles besteht in dem Ausdrücken von Gefühlen durch das lyrische Ich. Das können Erwachsene, aber auch Kinder sein. Dieser Aspekt erklärt die Anwesenheit letzterer während des Vorspiels.

Während der Bühnenraum im ersten Aufzug noch dunkel ausgeleuchtet ist, wird er im zweiten Aufzug in helles Licht getaucht. Die rosa-rot gekleideten und mit blonden Perücken ausgestatteten Spinnerinnen deutet Engels einmal als Floristinnen, die Blumen zu Sträußen binden, und zum anderen als an ihren Nähmaschinen sitzenden Näherinnen. In der Mitte des Raumes befindet sich eine Senta zugeordnete kleine Bühne mit einem kleinen rosafarbenen Konzert-Flügel, der auch mal bestiegen werden darf. Das Bild des Holländers befindet sich in Sentas Poesiealbum, das ihre Kindheitstage überdauert hat.

Senta erscheint gänzlich unkonventionell nicht etwa, wie üblich, blond, sondern mit schwarzen Haaren, in einer Kapuzenjacke von derselben Farbe sowie in dunklen Hosen. Sie will aus den sie beengenden Konventionen ausbrechen. Senta und der Holländer sind die Außenseiter in einer profitgierigen Gesellschaft, die sich auch einmal gewalttätig zeigt, als der Steuermann während der Verlobungsfeier im dritten Aufzug als homosexuell entlarvt wird. In ihrem Ziel, die konventionelle Welt hinter sich zu lassen, haben Senta und der Holländer etwas gemeinsam.

(c) Arno Kohlem *

Ein zentraler Punkt der Produktion ist, dass der Holländer eigentlich nicht so recht an seine Erlösung glaubt. Am Ende dürfen er und Senta überleben, und zwar in einer anderen Welt, die nicht von materiellen Werten beherrscht wird. Das war alles recht überzeugend und mit Hilfe einer flüssigen Personenregie auch trefflich umgesetzt. Bemerkenswert erschien auch das Einfließen von Tschechow’ schen Elementen anhand der Figur der Mary, der der Regisseur bei Dalands Arie im zweiten Aufzug, wo sie eigentlich gar nicht mehr anwesend ist, einen weiteren Auftritt gönnte.

Bei Georg Fritzsch und der beherzt aufspielenden Badischen Staatskapelle war Wagners romantische Oper in besten Händen. Gekonnt rückte der Dirigent die Partitur in die Nähe des späten Wagner. Dabei drehte er den Orchesterapparat zeitweilig mächtig auf. Bei der Herausstellung der dramatischen Impulse waren insbesondere die Bläser ganz in ihrem Element. Da ging es im Orchestergraben ganz rasant  zu. Für die Beleuchtung der eher lyrischen, weichen und zarten Passagen hatte der Dirigent ebenfalls ein gutes Händchen. Insgesamt war der von ihm und den Musikern erzeugte Klangteppich recht differenziert und nuancenreich.

(c) Arno Kohlem *

Hoch zufrieden sein konnte man mit den gesanglichen Leistungen. Es wurde durchweg schön im Körper gesungen, was eher selten ist. In der Titelrolle gab James Rutherford als Einspringer sein Debüt an der Karlsruher Oper. Sein Holländer zeichnete sich durch einen markanten, gut sitzenden Bariton und eine imposante Darstellung aus. Neben ihm überzeugte mit ebenfalls gut fokussiertem, strahlendem und höhensicherem jugendlich-dramatischem Sopran Dorothea Herbert als Senta. Der Daland von Vazgen Gazaryan zeichnete sich durch große Bassgewalt aus. Einen angenehmen Eindruck hinterließ Stephan Rügamer, der einen ebenmäßig dahinfliessenden und ein schönes Timbre aufweisenden lyrischen Tenor für den Erik mitbrachte. Nichts auszusetzen gab es an seinem Stimmfachkollegen Nutthaporn Thammathi, der einen gefälligen Steuermann sang. Jasmin Etminan war eine prägnant intonierende Mary. Sebastian Schuppener und Elsa Glavas spielten die beiden Kinder. In prächtiger Form präsentierte sich der von Ulrich Wagner einstudierte Badische Staatsopernchor.

Ludwig Steinbach, 19. Mai 2023

PS * die Bilder entspechend nicht immer der aktuellen Besetzung. Sobald uns die Pressestelle mit den aktuellen Fotos versorgt, werden wir die austauschen. Red.


„Der fliegende Holländer“

Richard Wagner

Badisches Staatstheater Karlsruhe

Premiere: 10. Dezember 2022

Besuchte Aufführung: 18. Mai 2023

Inszenierung: Ludger Engels

Musikalische Leitung: Georg Fritzsch

Badische Staatskapelle