Karlsruhe: „Das Rheingold“

WA am 30.9.2016 , Premiere: 9.7.2016

Der ganze „Ring“ im „Rheingold“

Es war ein vollauf gelungener Abend, die Wiederaufnahme von Wagners „Rheingold“ am Badischen Staatstheater Karlsruhe. Mit dieser beachtlichen Produktion startet die Karlsruher Oper einen neuen „Ring“. Vorausgegangen waren ihr an diesem Haus die Interpretationen von Grüber/Rudolph (1975-1985), Neuhold/Martinoty (1993-1999) und Bramall/Krief (2004-2013). Man sieht: Der „Ring“ ist also so etwas wie ein Dauerbrenner in der Fächerstadt. Angesichts des hohen Niveaus des neuen „Rheingolds“ kann man auf die folgenden Teile schon gespannt sein.

Ariana Lucas (Erda), Rheintöchter, Loge

Der „Ring“ hat eine recht vielschichtige Dramaturgie. Im Laufe seiner cirka ein Vierteljahrhundert währenden Entstehungszeit wurde er von Wagner stets aufs Neue und unterschiedlich interpretiert, sodass im Lauf der vier Musikdramen verschiedene geistige Ansätze sichtbar werden. Ein Perspektivwechsel von Werk zu Werk findet statt. Und genau den wollte Intendant Spuhler herausstellen, als er die großangelegte Tetralogie gleich vier jungen Regisseuren unter 40 Jahren anvertraute. Nun ist diese Vorgehensweise nicht mehr neu. Der legendäre 1999/2000 entstandene Stuttgarter „Ring“ fußte auf demselben Konzept, das international viel positives Aufsehen erregte. Auch am Aalto Theater Essen ging dieser Ansatzpunkt vor einigen Jahren voll auf. Und nun also auch das Badische Staatstheater Karlsruhe. Die Zeichen, dass der „Ring“ mit seinen vier variierenden Sichtweisen ein großer Erfolg wird, stehen gut. Den Anfang mit dem „Rheingold“ machte der deutsch-französische, dem Karlsruher Publikum schon durch „Les Troyens“ und „Boris Godunow“ bekannte Regisseur David Hermann, der die Messlatte für die drei anderen Regisseure Yuval Sharon („Die Walküre“), Thorleifur Örn Arnasson („Siegfried) und Tobias Kratzer („Götterdämmerung“) hoch gesteckt hat.

Rheintöchter

David Hermann ist in Zusammenarbeit mit Jo Schramm (Bühnenbild) und Bettina Walter (Kostüme) eine gut durchdachte, flüssige und spannende Inszenierung gelungen, die sich tief in das Gedächtnis eingrub. Indes sollte der geneigte Operngänger, der dieses „Rheingold“ besucht, auch die anderen drei Teile des „Ringes“ gut kennen, sonst läuft er Gefahr, nicht zu verstehen, was das Regieteam da so versiert auf die Bühne gebracht hat. Denn in Hermanns Deutung des Vorabends sind die drei anderen Teile des Zyklus bereits in nuce mit enthalten. Man könnte von einem Ring an einem Abend sprechen, der ist aber freilich nicht von Loriot. Es ist zudem das erklärte Anliegen des Regisseurs, Wagners ausgeprägte Leitmotivtechnik auch szenisch umzusetzen. Den musikalischen korrespondieren bildliche Leitmotive, die bereits in die Zukunft weisen und die Hermann mit Schauspielern temporeich in Szene setzt. Insgesamt ist seine Personenführung ausgefeilt und stringent.

Jaco Venter (Alberich)

Durch das Aufeinanderprallen mehrerer Zeitebenen werden dem im modernen Businessanzug auftretenden Wotan in einem Tagtraum die Folgen seines fragwürdigen Tuns bereits am Vorabend nachhaltig vor Augen geführt. Ständig einen Blick neben sich werfend, sieht sich der Göttervater mit einer negativen Zukunft konfrontiert, die er durch sein verantwortungsloses Tun selbst heraufbeschworen hat, an der er aber nichts mehr ändern kann. Was er angerichtet hat, ist unumkehrbar. Seine Zukunftsvisionen spielen sich auf einer übergeordneten Meta-Ebene ab. So sieht man während des das zweite Bild einleitenden Walhall-Motivs bereits den flüchtenden Siegmund, der von seiner Zwillingsschwester Sieglinde gastlich aufgenommen wird und während Wotans Ehestreit mit Fricka, der in einem Bürohaus mit Tisch, Lederstühlen und Aktenschrank stattfindet, mit dieser ein inzestuöses Verhältnis beginnt. Wenn die fliehende Freia auf den Plan tritt, ergreifen auch die sich liebenden Geschwister die Flucht. Während der Diskussion Wotans mit den Riesen wird man bereits Zeuge von Brünnhildes Todesverkündigung, von Siegmunds Kampf mit Hunding sowie von Sieglindes Rettung durch die Walküre.

Loge, Mime

Am Ende des zweiten Bildes sieht man Wotans menschliche Tochter dann schwanger über die Bühne huschen. Bei der Fahrt in die von einem Stacheldrahtzaun begrenzte Fabrik Nibelheim trifft Wotan dann auf die tote Sieglinde, die eben das Baby Siegfried geboren hat, das der Obergott liebevoll in den Arm nimmt. Das Schmieden der Nibelungen mutiert gleichsam zum Herzschlag des kleinen Siegfried. Dieser wird indes sehr schnell erwachsen und beginnt die Stücke des Schwertes Notung zusammenzuschmieden. Bereits jetzt sieht Wotan voraus, dass ihm sein Enkel den Speer zerschlagen wird. Wenn sich Alberich in einen Lindwurm verwandelt – man sieht nur dessen leuchtende roten Augen -, tötet Siegfried gleichzeitig auch den Drachen. Dann bricht der Held zusammen mit dem Waldvogel zum Walkürenfelsen auf, wo er die schlafende Brünnhilde erweckt. Seinen Höhepunkt erreicht die Parallelhandlung im vierten Bild, wenn Hagen neben seinen ihm täuschend ähnlich sehenden, den Ring verfluchenden Vater Alberich tritt. In dem Moment, in dem diesem von Wotan der Ring vom Finger gerissen wird, widerfährt auf der oberen Ebene Brünnhilde durch Siegfried das Gleiche – ein starker Moment. Und während Fafner seinen Bruder Fasolt ermordet, wird gleichzeitig Gunther von Hagen getötet – eine sinnfällige Entsprechung. Der Kampf der Riesen erneuert sich, wie schon im Klavierauszug der „Götterdämmerung“ aus Wagners Mund überliefert wird. Beim Einzug der Götter in Walhall flammt der Scheiterhaufen Siegfrieds auf. Hier ist die Wotan-Familie bereits an ihrem Ende angelangt. Angesichts des Feuer-Bildes wird der musikalische Triumphzug der Götter, die nur einen Etappensieg erzielt haben, gleichsam zum Trauermarsch.

Loge, Jaco Venter (Alberich), Renatus Meszar (Wotan)

Diese Vorgehensweise ist sehr überzeugend, kann aber nur aufgehen, wenn das Werk, wie hier, als Einzelstück inszeniert wird. Zeigte nur ein einziger Regisseur für den gesamten „Ring“ verantwortlich, müsste diese Konzeption scheitern, bei dem nur für den Vorabend verantwortlichen Hermann geht sie indes vortrefflich auf. Man möchte sie unter all den vielen Interpretationen des Vorabends der Tetralogie nicht missen. Hier haben wir es auch szenisch mit einer gelungenen Rechtfertigung dafür zu tun, den „Ring“ vier Teams anzuvertrauen. Hermann will seine Regiearbeit als Wahrnehmungsexperiment verstanden wissen, das in diesem Zusammenhang voll funktioniert. Das Ganze wird von ihm als Kreislauf angelegt. Zu Beginn bewacht Erda den Schlaf der vor einem schwarzen Lavafelsen schlummernden, märchenhaft schön eingekleideten Rheintöchter. Dann wirft sie den Mädchen den Ring zu. Wenn die Urmutter am Ende dann den Ring dem Rhein zurückgibt, schließt sich der Kreis. Hier weicht Hermann vom Schluss der „Götterdämmerung“ ab, in diesem konkreten Kontext mag der Einfall aber durchaus angehen. Insgesamt bietet der Regisseur viel Neues, einiges kommt einem aber schon bekannt vor. So z. B. dass der aus einem Feuerofen auftretende Loge als diabolischer Strippenzieher fungiert und dass Freia unter einem Stockholmsyndrom leidet. Das Liebesverhältnis, das sie wider den Text mit dem sympathischen Jung-Architekten Fasolt unterhält, spricht da eine eindeutige Sprache. Auf seinen Tod reagiert sie äußerst betroffen. Auch dass Alberich augenscheinlich etwas zu viel Testosteron sein Eigen nennt, hat man schon anderswo gesehen. Diese Aspekte fügen dem insgesamt überaus positiven Gesamteindruck der Inszenierung aber keinen Schaden zu.

Loge, Jaco Venter (Alberich), Renatus Meszar (Wotan)

Eine ausgezeichnete Leistung ist auch GMD Justin Brown am Pult zu bescheinigen. Dieser famose Dirigent dürfte derzeit einer der besten Anwälte von Wagners Werk sein. Zusammen mit der bestens disponierten, konzentriert und klangschön aufspielenden Badischen Staatskapelle wurde er jeder Nuance der Partitur voll gerecht. Der von ihm und den Musikern erzeugte Konversationston ging mit dem Inhalt der Handlung eine vorzügliche Verbindung ein. Die transparente musikalische Tonsprache war voll und ganz dem auf der Bühne vorherrschenden Parlando angeglichen. Wunderbar war obendrein, wie Brown die herrliche Musik ebenmäßig und gut strukturiert dahinfließen ließ und dabei auch mit einer reichhaltigen Farbpalette aufwartete. Für minutiös ausgeleuchtete Details zeigte er genauso viel Gespür wie für den großen Zusammenhang. Die von ihm angeschlagenen Tempi waren dabei schön bedächtiger Natur, sodass der ganze (Vor-) Abend cirka zweieinhalb Stunden dauerte.

Renatus Meszar (Wotan), Yang Xu (Fasolt), Avtandil Kaspeli (Fafner), Matthias Rott (Hunding), Witalij Kühne (Siegmund), Diana Matthess (Brünnhilde)

Auch gesanglich konnte man insgesamt zufrieden sein. Renatus Meszar war ein solide singender Wotan, dessen Bass-Bariton indes in der Höhe etwas mehr hätte aufblühen können. Übertroffen wurde er von Jaco Venter, der einen kernigen, robusten Bariton für den Alberich mitbrachte, den er auch intensiv spielte. Eine hervorragende Leistung erbrachte Klaus Schneider – in dieser Produktion alternativ auch als Mime besetzt – als Loge. Er machte aus dem Feuergott keine Charakterstudie, sondern näherte sich ihm mehr von der lyrischen Seite her, die auch so manche heldische Töne einschloss. Eine voll und rund singende Fricka war Katherine Tier, die in der Premiere noch die Flosshilde sang. Stimmkräftig und mit guter Gesangsstütze präsentierte sich Agnieszka Tomaszewska in der Partie der Freia. Eine pastose, volltönende Altstimme brachte Ariana Lucas für die Erda mit. Mit recht maskigem Tenorklang stattete Thorsten Hofmann von der Staatsoper Stuttgart den Mime aus. Auch der Froh von Cameron Becker klang recht flach. Da war es um den kraftvoll und gut focussiert singenden Donner Ks. Armin Kolarczyk s schon besser bestellt. Der helle, gut gestützte Bass von Yang Zu als Fasolt zeichnete sich durch einfühlsame Linienführung und schönes Legato aus. Ein tadellos singender, markant klingender Fafner war Avtandil Kaspeli. Einen homogenen Gesamtklang bildeten die allesamt ansprechend singenden Rheintöchter von Ks. Ina Schlingensiepen (Woglinde), Kristina Stanek (Wellgunde) und Dilara Bastar (Floßhilde). In den stummen Rollen waren die Schauspieler Witalij Kühne (Siegmund und Siegfried), Rosa Sutter (Sieglinde und Gutrune), Diana Matthess (Brünnhilde), Matthias Rott (Hunding und Hagen) und Stefan Pikora (Gunther) zu erleben.

Fazit: Ein gelungener „Ring“-Auftakt“, der den Besuch durchaus gelohnt hat.

Ludwig Steinbach, 1.10.2016

Die Bilder stammen von Falk von Traubenberg