Karlsruhe: „Elektra“, Richard Strauss

Zu einem großen Erfolg geriet die Wiederaufnahme von Strauss‘ Elektra am Badischen Staatstheater Karlsruhe. Regisseur Keith Warner hat in Zusammenarbeit mit Boris Kudlicka (Bühnenbild) und Kaspar Glarner (Kostüme) hervorragende Arbeit geleistet. Das war hochkarätiges Musiktheater vom Feinsten, das einen ganz in seinen Bann zog. Warner hat das Werk geschickt modernisiert und mit einer stringenten Personenregie spannungsreich auf die Bühne gebracht. Diese hochgelungene Produktion geht sicher einmal in die Annalen des Badischen Staatstheaters ein.

(c) Der Opernfreund / Peter Klier

Wenn das Publikum den Zuschauerraum betritt, ist der Vorhang bereits offen. Das Bühnenbild zeigt ein zeitgenössisches Museum, in dem gerade eine Antikenausstellung gezeigt wird. Neugierig begutachten die Besucher die unterschiedlichen Reliquien. Der Abend bricht herein und das Museum schließt. Die Menschen werden von Museumsdienern zum Gehen aufgefordert. Nur eine dunkel gekleidete Frau bleibt allein zurück. Gänzlich von der Ausstellung in ihren Bann gezogen lässt sie sich freiwillig in dem Museum einschließen. Im Folgenden versucht die Frau, die in der Handlung zu Elektra wird, ihre von Gewalt und Grausamkeit geprägte Familiengeschichte zu rekapitulieren und ihren inneren Dämon zu vertreiben. Das ist indes leichter gesagt als getan. Behände beschwört sie die Erscheinung ihres Vaters Agamemnon herauf. Die konventionell gewandeten Mägde singen zuerst unsichtbar aus dem Off, bevor sie schließlich doch noch die Bühne betreten. Die für Elektra Partei ergreifende 5. Magd wird ermordet. Zunehmend erwachen die Handlungsträger zum Leben und verlassen ihre Vitrinen. Hier hat Warner einige Anleihen bei dem Film Nachts im Museum gemacht. Aber auch die Nähe der Produktion zu anderen Filmen wird offenkundig. In dem Maße wie die Protagonisten mit ihren Dämonen kämpfen, zieht die Inszenierung Querverbindungen zu den Horrorfilmen von Kubrick, Lynch und Hitchcock. Es sind starke Bilder, mit denen der Regisseur hier aufwartet. Elektra und Klytämnestra stellt er Doppelgängerinnen an die Seite. Orest und Chrysothemis haben Kinder-Doubles. Immer wieder werden verschiedene Räume herein geschoben, so Chrysothemis‘ mit einem Bett und jede Menge Postern ausgestattetes Zimmer sowie eine Küche, in der Orest seiner Mutter mit einem Beil den Kopf abhaut. Die Zeichnung der Personen ist Warner trefflich gelungen. Das beginnt schon bei Elektra, die sich nach einer intakten Familie und einem gesunden Sexualleben sehnt. Chrysothemis wird als Vergewaltigungsopfer des Aegisth vorgeführt. Die Identitäten der beiden Schwestern überlappen sich und divergieren an mehreren Stellen (vgl. Programmheft). Klytämnestra ist in dieser Produktion eine echte, gut aussehende Königin, die durchaus für sich einzunehmen versteht. Nein, unsympathisch wirkt sie beileibe nicht. Das trifft eher auf Aegisth zu, der sich just in dem Augenblick seinem Mörder gegenübersieht, in dem er sich wieder in eindeutiger Absicht dem Bett von Chrysothemis nähert, die er in demselben wähnt. Im Bett liegt aber Orest, was der pädophile Lüstling aber zu spät erkennt. Die eilig angetretene Flucht nützt ihm nichts.

Darüber hinaus hat der Regisseur das Ganze mit einem gehörigen Schuss Psychoanalyse aufgeladen. Der geistige Gehalt, den er seiner interessanten Deutung angedeihen lässt, ist enorm. Bezeichnend ist, dass die Psychoanalyse gerade zu der Zeit aufkam, als Strauss die Elektra komponierte. Nicht umsonst kommt in Warners Regiearbeit Sigmund Freud und C. G. Jung zentrale Relevanz zu. Insbesondere die Studien über Hysterie von Freud und Josef Breuer sind hier von großer Bedeutung. Gekonnt identifiziert Warner Elektra mit Anna O. aus den eben genannten Studien. Diese Vorgehensweise hat ihre Richtigkeit; die Ähnlichkeiten zwischen Anna und Elektra sind signifikant. Obendrein ist hier passenderweise auch noch der von Jung entwickelte Elektra-Komplex von Wichtigkeit. Die Ermordung Agamemnons hat bei der Titelfigur zu einem schweren Trauma geführt. Diese schmerzhafte Erinnerung versucht sie zu verdrängen, was ihr indes nicht gelingt. Ihr Trauma wird auf diese Weise nur noch verstärkt. Zunehmend sieht sie sich mit einer ganzen Reihe von sie quälenden Traumwelten konfrontiert, die sie vergeblich zu verdrängen versucht. Agamemnon stirbt bei Warner anders als man es gewohnt ist. Wie, soll hier nicht verraten werden. Elektra will die schreckliche Wahrheit nicht akzeptieren, ist am Ende aber dennoch gezwungen, sich ihr zu stellen. Die mit dem Mittel des Films aufgezeigten wahren Umstände der Ermordung ihres Vaters verkraftet Elektra nicht. Leblos bricht sie zusammen. Orest und Chrysothemis, denen sich zwei Museumswächter angeschlossen haben, können nur noch ihren Tod feststellen. Das alles war seitens der Regie ausgezeichnet durchdacht. Die szenische Neueinstudierung lag in den Händen von Anja Kühnhold.

Am Pult drehte Georg Fritzsch den Orchesterapparat mächtig auf. Manchmal hatten die Sänger es schwer, sich gegenüber den von der Badischen Staatskapelle erzeugten gewaltigen Klangeruptionen durchzusetzen. In der Tat hat der Dirigent auf die dramatischen Stellen, die er mit ungeheurer Fulminanz herausstellte, das Schwergewicht gelegt. Aber auch die mehr lyrischen Stellen gelangen ihm vorbildlich. Insbesondere die von den Musikern äußerst emotional gespielte Orest-Szene ging unter die Haut. Gut durchgehaltene Spannungsbögen und spezifische Coleurs kamen ebenfalls nicht zu kurz.

Für die Hauptpartien wurden vom Badischen Staatstheater durchweg Gäste verpflichtet. Lise Lindström hatte sich Warners Konzept von der Elektra trefflich zu Eigen gemacht und wartete mit einer fulminanten Darstellung auf. Gesungen hat sie mit ihrem bestens gestützten, durchschlagskräftigen und eine tadellose Höhe aufweisenden hochdramatischen Sopran ebenfalls phantastisch. Mit sauber fokussiertem, ebenmäßig dahinfliessendem jugendlich-dramatischem Sopran stattete Flurina Stucki die Chrysothemis aus. Einen hervorragenden Eindruck hinterließ Katherine Lerner, die die Klytämnestra stimmlich sehr lyrisch und geradlinig anlegte und auch perfekt spielte. Mit wunderbar sonorem und tiefgründigem Stimmklang begeisterte Young Doo Park in der Rolle des Orest. Weniger gefiel der recht maskig klingende Aegisth von Torsten Hofmann, der am Ende zudem von den gewaltigen Klangmassen des Orchesters gnadenlos zugedeckt wurde. Die übrigen, kleineren Partien waren fast durchweg aus dem Ensemble besetzt. Profundes Bass-Material brachte Yang Xu für den Pfleger des Orest mit. Sehr gefällig klang das Ensemble der Mägde, dem Ariana Lucas, Florence Losseau, Dorothea Spilger, Ks. Barbara Dobrzanska und Matilda Sterby angehörten. Die Aufseherin gab solide Christina Niessen. Gänzlich ohne die erforderliche Körperstütze der Stimme und obendrein recht leise sang Merlin Wagner den jungen Diener. Besser schnitt Luiz Molz‘ alter Diener ab. Ordentlich klangen Dagmar Landmann und Cornelia Gutsche als Vertraute und Schleppträgerin. Tadellos präsentierte sich der von Ulrich Wagner einstudierte Badische Staatsopernchor.

Fazit: Eine der besten Inszenierungen der Elektra! Der Besuch der Aufführung ist jedem Opernfreund dringendst zu empfehlen! Die Fahrt nach Karlsruhe hat sich wieder einmal voll gelohnt.

Ludwig Steinbach 6. Juni 2023


Elektra

Richard Strauss

Badisches Staatstheater Karlsruhe

Premiere: 26. Januar 2019

Besuchte Aufführung: 4. Juni 2023

Inszenierung: Keith Warner

Bühnenbild: Boris Kudlicka

Kostüme: Kaspar Glarner

Musikalische Leitung: Georg Fritzsch

Badische Staatskapelle