München: „Tannhäuser“

Besuchte Aufführung: 8.6.2017 (Premiere: 21.5.2017)

Zwiespältig

Einen zwiespältigen Eindruck hinterließ die Neuproduktion von Wagners „Tannhäuser“ an der Bayerischen Staatsoper. Gespielt wurde die Wiener Fassung von 1875. Wie immer, wenn der Regisseur Romeo Castellucci am Werk ist, der hier auch für das Bühnenbild und die Kostüme verantwortlich zeigte, war das Ergebnis recht außergewöhnlicher Natur. Zwar gab es durchaus auch ästhetisch ansprechende Bilder, jedoch auch solche, die nicht sonderlich zu gefallen vermochten. Darüber hinaus wartete der Regisseur mit einem gehörigen Schuss Symbolik auf, die nicht immer leicht zu durchschauen war. Es dominierte der assoziative Faktor. Wir haben es hier mit surrealen, abstrakten Gedankenräumen ohne eine konkrete zeitliche und räumliche Verortung zu tun.

Opernballett der Bayerischen Staatsoper

Ungewöhnlich ging es bereits im ersten Aufzug zu. Zentrales Merkmal dieses Aktes ist ein Kreis, in dem man zu Beginn ein Auge erblickt. Ist es das allsehende göttliche Auge? Eher nicht. Hier haben wir es wohl mit dem Weltenauge zu tun, auf das eine Schar barbusiger weiblicher Bogenschützen jede Menge Pfeile abschließt. Der Sinn dieses Bildes ergibt sich in Zusammenschau mit einem Regieeinfall aus dem zweiten Aufzug, in dem die Minnesänger einmal mit Jagdbögen auftreten: Es besteht eine Wesensverwandtschaft zwischen der Harfe, dem Instrument der Sänger, und dem Bogen. Dem Programmbuch ist zu entnehmen, dass der Jagdbogen aufgrund der strukturellen Ähnlichkeit ein Prototyp der Harfe war. Dieser Zusammenhang wird von Castellucci eindringlich beleuchtet. Daraus leitet sich auch seine Idee her, die Minnesänger im ersten Aufzug als Jagdgesellschaft darzustellen. Sie tragen rote Mäntel und schwarze Gesichtsmasken und wirken demgemäß anonym. Nur Wolfram und der Landgraf treten ohne Masken auf und sind konsequenterweise der Anonymität enthoben. Im „Tal vor der Wartburg“ schwebt ein goldener Schild vom Schnürboden herab, den man als Sonne deuten kann. Der Sinn des goldenen Steines, den die Pilger mit sich führen, erschließt sich dem neugierigen Intellekt dagegen nicht. Ein echter coup de théatre war der Auftritt eines echten Pferdes. So weit so gut.

Klaus Florian Vogt (Tannhäuser), Elena Pankratova (Venus)

Weniger ansprechend war die Darstellung des Venusbergs, dem jede Erotik abging. Er besteht aus einem Haufen nackter, unförmiger Haut, auf dem eine grauenerregende Venus sitzt. Dass es Tannhäuser unter diesen Umständen zu viel wird, ist offensichtlich. Dieses Bild mag seine Berechtigung haben, ist aber einfach nur hässlich anzusehen, einfach ekelerregend. Im von einer Anzahl beweglicher Vorhänge geprägten zweiten Aufzug, in dem der Raum gleichsam zum Mitspieler mutiert, wird Erotik dagegen ganz groß geschrieben. Und zwar ist es Elisabeth, die so erotisch wirkt. Über ihrem eleganten weißen Kleid trägt sie ein scheinbar transparentes Gewand, durch das ihr nackter Körper durchzuschimmern scheint. Dieser ist aber nur auf das Kleid aufgemalt. Das merkt man spätestens dann, als Elisabeth kurz vor Ende des Sängerwettstreits dieses nur scheinbar transparente Obergewand ablegt, das Tannhäuser zu seiner Lobpreisung von Venus dann an sich reißt. Das war ein gelungener Einfall seitens der Regie. Weniger überzeugend war dagegen, dass Elisabeth dem größten Teil des Sängerwettstreits nicht beiwohnt und die Bühne verlässt. Überflüssig waren die mit Nacktkostümen bekleideten Bewegungsstatisten, die sich unter die als Kollektiv auftretenden Gäste mischen. Nicht nachvollziehbar war es auch, warum Castellucci beim Sängerwettstreit die Zuhörer sich allesamt auf den Boden legen und nur den betreffenden Sänger stehen lässt.

Durchweg gelungen war der dritte Aufzug. Hier sind die Vorhänge aus dem zweiten Aufzug hochgezogen. Der untere Teil der Bühne ist dunkel ausgeleuchtet, in der Luft steht ein Pfeil still. Projektionen versinnbildlichen den schnellen Verlauf der Zeit von einer Sekunde bis hin zu Milliarden von Jahren. Das Bühnenbild wird hier von zwei Grabmälern geprägt, auf das die Vornamen Klaus und Anna der Sänger von Tannhäuser und Elisabeth eingraviert sind. Tannhäuser und Elisabeth werden Zeugen ihres eigenen Todes. Im Folgenden werden sieben Verwesungsphasen ihrer toten Körper aufgezeigt. Statisten tauschen immer wieder Skulpturen der toten Leiber aus. Schließlich sind die Körper Skelette. Nur der Staub der Liebenden darf sich am Ende vereinigen. Auch hier haben wir es mit einer guten Symbolik zu tun. Elisabeth hat die ganze Zeit über am rechten Rand der Bühne gesessen. Am Ende erhebt sie sich und kniet gleichzeitig mit dem sterbenden Tannhäuser nieder. Nun können beide in den seligen Frieden eingehen, von dem die Pilger künden.

Als Fehlbesetzung für die Partie des Tannhäuser erwies sich Klaus Florian Vogt. Schon seine ausgesprochen helle, kopfige und bar jeder soliden Körperstütze geführte Stimme erwies sich als Hypothek für die Rolle, die unbedingt mit einem schweren, dunkel timbrierten Tenor besetzt werden sollte. Zudem ist Vogts Auslotung des Tannhäuser viel zu lyrisch, die dramatische, exaltierte Seite der Partie ging ihm gänzlich ab. Unter diesen Umständen war es kein Wunder, dass er gerade in den große Stimmkraft erfordernden Stellen wie das Lied auf Venus und die Erbarm-Dich-Mein-Rufe nicht überzeugen konnte. Die hier extrem wichtige Ausdrucksintensität blieb unter diesen Umständen total auf der Strecke. Ganz anders Anja Harteros, die die Elisabeth mit einem Höchstmaß an lyrischer Emphase und Leuchtkraft ihres bestens fokussierten, farben- und nuancenreichen sowie gefühlvoll eingesetzten Prachtsoprans sang.

Ganz hoch in der Publikumsgunst stand der Wolfram von Eschenbach von Christian Gerhaher. Angesichts der imposanten Wort-Ton-Durchdringung, der perfekten Linienführung auf einem langen Atem, der bedächtigen Tongebung und der ausgemachten Pianokultur ist das durchaus nachvollziehbar. Der Stimmsitz war indes insbesondere an den leisen Stellen variabel. Mit wunderbarer italienischer Gesangstechnik und einfühlsamem Legato sowie einer vorbildlichen Diktion ließ Georg Zeppenfeld als Landgraf Hermann von Thüringen seinen prachtvollen, sonoren und obertonreichen Bass dahinströmen. Eine stimmlich sinnliche, profund intonierende Venus war Elena Pankratova. Gut gefiel Dean Power, der mit sauber verankertem Tenor und eleganter Phrasierung den Walther von der Vogelweide gab. Einen robusten, solide sitzenden Bass brachte Peter Lobert für den Biterolf mit. Vokal nicht sonderlich auffällig waren Ulrich Reß’ und Ralf Lukas’ Heinrich der Schreiber und Reinmar von Zweter. Schön im Körper sang Elsa Benoit den jungen Hirten. Die vier Edelknaben waren mit Solisten des Tölzers Knabenchors besetzt. Mächtig ins Zeug legte sich der von Sören Eckhoff hervorragend einstudierte Chor der Bayerischen Staatsoper.

Christian Gerhaher (Wolfram von Eschenbach)

Im Graben begeisterten GMD Kirill Petrenko und das bestens aufgelegte, mit großer Verve aufspielende Bayerische Staatsorchester. Das Dirigat war weich und getragen, wo es nötig war aber auch glutvoll und energisch, wie beispielsweise bei der fulminanten Venusberg-Musik. Transparenz wurde an diesem Abend ganz groß geschrieben. Es war fast jedes Instrument herauszuhören. Wieder einmal wurde offenkundig, was für ein grandioser Dirigent Petrenko doch ist. Bei ihm war Wagners Werk in besten Händen.

Fazit: Ein Abend, der gemischte Gefühle hinterließ.

Ludwig Steinbach, 10.6.2017

Die Bilder stammen von Wilfried Hösl