München: „Lady Macbeth von Mzensk“

Besuchte Aufführung: 1.12.2016, (Premiere: 28.11.2016)

Sympathie für eine Mörderin

Sie war lange nicht mehr an der Bayerischen Staatsoper zu sehen gewesen, Schostakowitschs Oper „Lady Macbeth von Mzensk“. Die letzte Inszenierung am Nationaltheater München stammte aus dem Jahr 1993. In den Hauptpartien waren damals u. a. Hildegard Behrens und Donald McIntyre zu erleben. Nun ging eine Neuproduktion über die Bretter der Bayerischen Staatsoper, und zwar eine sehr beachtliche.

Ordnung schafft die Polizei, wo Menschen wohnen…

Seine Uraufführung erlebte das Werk am 22.1.1934 an der Leningrader Oper. Bereits zwei Tage später gab es in Moskau unter dem alternativen Titel „Katerina Ismailowa“ eine weitere Inszenierung zu sehen. Der Erfolg dieser beiden Produktionen war enorm. Der Siegeszug der Oper schien nicht mehr aufhaltbar zu sein. Bereits im Jahre 1935 war sie in Amerika und Europa zu sehen. Schostakowitsch avancierte rasch zum bedeutendsten russischen Komponisten seiner Zeit. Das Glück sollte indes nicht allzu lange anhalten. Nachdem Stalin am 26.1. 1936 eine Aufführung der „Lady Macbeth“ am Bolschoi-Theater, an dem eine Adaption der Leningrader Inszenierung gezeigt wurde, noch vor dem vierten Akt verlassen hatte, begann der Stern der Oper zu sinken. Ob dem Diktator das Stück missfiel, weiß man nicht. Das ist indes naheliegend. In der Folge sah sich Schostakowitsch mannigfaltigen Angriffen gegen sich und sein Werk, dem ein vulgärer Charakter nachgesagt wurde, ausgesetzt. Auch der Vorwurf „formalistisch“ zu komponieren wurde gegen ihn erhoben. Und das war damals das Schlimmste, was einem Tonsetzer in Russland passieren konnte. So geschah es, dass Schostakowitsch dort zur persona non grata wurde. In der Folge verblasste auch im Westen das Interesse an der „Lady Macbeth“. Im Jahre 1963 kam dann doch wieder eine Neufassung unter dem bereits 1934 in Moskau verwendeten Titel „Katerina Ismailowa“ zur Aufführung. Seit einigen Jahrzehnten erfreut sich das Werk auch in westlichen Gefilden wieder größerer Aufmerksamkeit, was nicht zuletzt dem Umstand zu verdanken ist, dass es Mstislaw Rostropowitsch gelang, die Partitur in einer Fassung von 1935 nach Europa zu schmuggeln. Es existieren mehrere Fassungen von der Oper. An der Münchner Staatsoper war die Urfassung zu erleben.

Anja Kampe (Katerina), Anatoli Kotscherga (Boris)

Es ist eine sehr harte Geschichte, die hier geschildert wird. Es dürfte wohl kein anderes Werk der Opernliteratur geben, das derart ambivalent, satirisch und grotesk anmutet. Vier Tote sind am Ende zu beklagen. Die sexuell und geistig unbefriedigte Katerina Ismailowa tötet nacheinander ihren Schwiegervater und ihren Ehemann, bevor sie am Ende als Gefangene auf dem Weg nach Sibirien Selbstmord begeht und dabei die Zwangsarbeiterin Sonjetka mit in den Tod reißt. Sie ist eine ausgemachte Mörderin, bei der jede Form von Mitgefühl eigentlich unangebracht wäre. Regielegende Harry Kupfer, inzwischen stolze 81 Jahre alt, sieht das indes anders. Ihm gelingt das große Kunststück, dass man in seiner Münchner Inszenierung schließlich Sympathie für Katerina empfindet. Man sollte sie schlichtweg verurteilen, stattdessen entwickelt man Mitgefühl mit der Verbrecherin. Vielleicht liegt es ja daran, dass die Protagonistin trotz der von ihr begangenen Morde Menschlichkeit und Humanität nicht ganz abstreift. Ein letzter Rest von Moral bleibt ihr bis zu ihrem Ende erhalten.

Anja Kampe (Katerina), Misha Didyk (Sergej), Goran Juric (Pope), Chor der Bayerischen Staatsoper

Kupfers Mitleid mit Katerina überträgt sich schnell auf das Publikum. Wieder einmal wurde deutlich, dass wir es hier mit einem ausgewiesenen Meister in Sachen hoher Regiekunst zu tun haben. War er früher ein ausgemachter Verfechter des modernen Musiktheaters, hat er sich inzwischen mehr Zurückhaltung auferlegt. Er bringt in die Lady Macbeth“ keine werkfremden Elemente ein, sondern inszeniert geradlinig und werktreu am Text entlang ohne irgendwie geartete Provokationen. Man erkennt das Stück gut wieder. Zusammen mit seinem altbewährten Bühnenbildner Hans Schavernoch und Yan Tax (Kostüme) hat er das Werk in die vorrevolutionäre Ära der beginnenden Industrialisierung verlegt. Das Ganze spielt sich in einer Fabrikhalle mit Laufstegen, Brücken und Leitern ab. Derartige Bilder kennt man von dem Team Kupfer/Schavernoch schon zur Genüge. Eindrucksvoll ist dieses Umfeld dennoch. Eingenommen wird das Bühnenbild ferner von dem schäbigen Zimmer, in dem Katerina mit ihrem Schicksal hadernd auf einer nüchternen Matratze liegt. Dieser Raum kann hoch- und heruntergefahren werden, was auch mal von dem Schäbigen besorgt wird. Entsprechend dem düsteren Charakter der Handlung ist das Bühnenbild stets dunkel ausgeleuchtet. Im dritten Akt ist die Fabrik halb zerstört. Ein Steg führt ins Leere. Hier zeigt sich bereits das Ende Katerinas an. Im vierten Akt erblickt man auf einem Hintergrundprospekt einen See, der hier an die Stelle des ursprünglichen Flusses tritt.

Ermordung des Boris

In diesem kargen Ambiente wartet Kupfer wieder einmal mit einer grandiosen Personenregie auf. Sowohl Solisten als auch der Chor werden von ihm routiniert und mit großer Sicherheit geführt. Da wird es wirklich an keiner Stelle langweilig. Wie gebannt folgt man dem Geschehen auf der Bühne, wobei die Spannungskurve im Verlauf des Abends noch zunimmt. Kupfer ist schon ein Könner. Das groteske Element des Werkes wird von ihm geschickt eingefangen und eindrucksvoll umgesetzt, so wenn er die Fabrikarbeiter und die Frauen angesichts der dramatischen Ereignisse auf der Bühne unvermittelt zu tanzen beginnen lässt. Dieses Bild macht großen Eindruck. Auch sonst spielt der Tanz in Kupfers Inszenierung eine gewichtige Rolle. Regime- und Kapitalismuskritik, wie man es eigentlich von ihm erwartet hätte, verkneift sich der Regisseur. Das Volk in Gestalt der Arbeiterschaft zeichnet er dennoch ausgesprochen negativ. Den Zwangsarbeitern im vierten Akt dagegen gehört seine ausgesprochene Sympathie. Hier zieht er gekonnt gegen jegliche Art von Unterdrückung – nicht nur der Frau – ins Feld und plädiert für mehr Menschlichkeit. Katerinas Selbstmord erscheint als stiller Protest gegen jede Form von Knechtschaft und Despotie. Das war alles recht überzeugend.

Anja Kampe (Katherina), Anatoli Kotscherga (Boris), Sergey Skorokhodov (Sinowi)

Ganz in das Fahrwasser der Regie begab sich auch GMD Kirill Petrenko mit seinem hervorragenden Dirigat. Zusammen mit dem bestens disponierten Bayerischen Staatsorchester nahm er der Partitur ihre Härte und präsentierte sie sehr emotional. Nein, böse und grotesk wirkte sein Dirigat an keiner Stelle. Das satirische Element wurde zugunsten von großangelegten Gefühlen weitgehend zurückgedrängt. Dabei dominierten im Orchester dennoch die dunklen Farben. Die spezifischen Coleurs wurden vom Dirigenten perfekt herausgearbeitet und in einen dynamisch sehr differenzierten und nuancenreichen Klangteppich eingebettet. Aber auch das dramatische Element kam bei Petrenko nicht zu kurz. Die großen Ausbrüche der Musik wirkten ausgesprochen imposant. Insgesamt ist ihm ein ungemein packendes, vielschichtiges Dirigat zu bescheinigen, das einen ganz in seinen Bann zog.

Misha Didyk (Sergej), Anja Kampe (Katherina)

Sängerisch getragen wurde die Aufführung von Anja Kampe, die in der Partie der Katerina eine Glanzleistung erbrachte. Sie hat sich das Konzept von Kupfer trefflich zu eigen gemacht und in jeder Hinsicht bravourös umgesetzt. Schon von der darstellerischen Seite aus war sie sehr überzeugend. Aber auch gesanglich gelang es ihr vorzüglich, die von der Regie intendierte Sympathie mit der Titelfigur auszulösen. Sie verfügt über einen gut fokussierten, wandlungsfähigen, warmen und höhensicheren dramatischen Sopran, mit dem sie jeder Facette ihrer Partie ganz und gar gerecht wurde. Insgesamt gelang ihr ein phantastisches Rollenportrait, das am Ende auch einen gehörigen Schuss an Melancholie aufwies. Ebenfalls prächtig war Misha Didyk, der einen auslandenden, kräftigen und baritonal fundierten Tenor für den Sergej mitbrachte, den er auch überzeugend spielte. Sergey Skorokhodov sang den Sinowi mit sauber geführtem Tenor und vor allem zu Beginn sehr emotional angehauchten Tönen so schön, dass die Abneigung Katerinas gegen ihn nur schwer nachzuvollziehen war. Nicht zu befriedigen wusste Anatoli Kotscherga in der Rolle des Boris Timofejewitsch. Nurmehr mit recht rudimentär anmutenden Bassreserven ausgestattet blieb er vokal sehr blass und dem Schwiegervater Katerinas das Böse gänzlich schuldig. Schauspielerisch war er besser. Vielleicht wäre für diesen Part Alexander Tsymbalyuk die bessere Wahl gewesen, der mit prachtvollem, sonorem und eindringlichem Bass den Polizeichef und den alten Zwangsarbeiter sang. Auch das profunde Bassmaterial, mit dem Goran Juric den lüsternen Popen sang, war sehr ansprechend. Mit voluminöser, pastoser Altstimme wertete Anna Lapkovskaja die kleine Rolle der Sonjetka erheblich auf. Solide war Heike Grötzinger s Axinja. Eine etwas tiefere Gesangsstütze hätte man sich von Kevin Conners gewünscht, der anderseits darstellerisch einen guten Schäbigen abgab. Etwas dünnstimmig gab auch Dean Power den Lehrer. Unter den zahlreichen kleinen Nebenrollen ragten noch Christian Rieger (Verwalter), Peter Lobert (Sergeant) und Milan Siljanov (Mühlenarbeiter) hervor. Auf hohem Niveau bewegte sich der von Sören Eckhoff einstudierte Chor der Bayerischen Staatsoper.

Fazit: Ein Abend, der die Fahrt nach München wieder einmal voll gelohnt hat!

Ludwig Steinbach, 3.12.2016

Die Bilder stammen von Wilfried Hösl