Bayreuth: „Tristan und Isolde“

Fraglicher Buh-Sturm

Besuchte Vorstellung der WA am 28. August 2019

Mit Katharina Wagners Inszenierung von „Tristan und Isolde“ gingen am 28. August die 108. Bayreuther Festspiele zu Ende und mancher Hügel-Pilger fragte sich beim Hinausgehen, ob das ein würdiger Beschluß war.

Doch von Anfang an. Und zu eben diesem Anfang gab es gleich einen Glanzmoment oder besser einen erotischen Höhepunkt, weil Christian Thielemann mit dem ebenso fein und akzentuiert wie mit kräftiger Fülle spielenden Festspielorchester keinen Zweifel daran ließ, daß der „Meister“ hier blanken Sex vertont hat. Das – auf tieferer Bedeutungsebene – Vorspiel der Oper entriß die, die Ohren hatten zu hören, mit magischem Sog in die Ekstase.

Um es gleich zu sagen: die Solisten waren allesamt hervorragend, aber das im ersten und dritten Aufzug akustisch schwierige Bühnenbild von Frank Philipp Schlößmann und Matthias Lippert hat es den Sängern nicht leichtgemacht, was vor allem das Textverständnis angeht. Deutlich wurde das im zweiten Aufzug mit seinem Kasten-Einbau, der die gesellschaftliche Enge darstellt, die die Liebenden die ganze Aufführung hindurch fest im Griff hat und keinen Ausweg aus Zwang und Norm erlaubt. Dieser lautsprecherartige Raum verstärkte die Deutlichkeit des dichten Textes – ein großartig fieser Georg Zeppenfeld als Macho-Marke war allerdings auch ohnedies durchweg verständlich und ungemein präsent. Die sozialen-Einschränkungen solch freier und unbedingter Liebe sind als ineinander geschachtelte Treppen und Brücken an die „Carceri“, also die düsteren Kerkerphantasien Piranesis angelehnt, wie das bibliophil aufgemachte Programmheft bildlich nahelegt. Man darf in diesem ersten Aufzug auch an Escher denken und seine Wege, die keine sind oder in die verkehrte Richtung führen.

Als hätte sie es im Sinne von Katharina Wagners eigenwilliger Interpretation allen noch einmal zeigen wollen, ließ Petra Lang als Isolde keine Sekunde auch nur den Hauch eines Zweifels daran, daß sie nicht das manipulierte Mädchen im Männer-Machtspiel ist, sondern sich das nimmt, was sie will. Man hatte bei den Höhen manchmal Angst, daß sie ins Schreien geraten könnte, aber die eigentlich aus dem Mezzofach kommende Sängerin blieb fest und stark wie ihre Rolle, auch mimisch und gestisch überzeugend.

Was sie will, das ist Tristan und zwar mit aller heftigen Leidenschaft, auf den ersten Blick. Stephen Gould spielte den nur anfänglich Zögernden und dann schnell Entbrannten auf Augenhöhe mit seiner Geliebten. Den Zaubertrank aus dem mittelalterlichen Stoff brauchen die beiden nicht und gießen ihn spielerisch als Opfertrank beim Libationsritus wie bei einer Eheschließung über ihre Hände. Dazu paßt, daß an anderer Stelle, wie beim jugendlichen Flaschendrehen, Isolde die Phiole auf dem Boden kreisen läßt. Zu mehr sind all die märchenmäßigen Liebes- und Todestränke nicht nutze.

Die Inszenierung verlangte einen ebenso starken wie sensiblen Tristan, was Gould stimmlich in allen Nuancen ausfüllte. Christa Mayer als Brangäne klang zu Beginn des ersten und des dritten Aufzuges manchmal leicht metallisch, gewann aber sofort ihr wunderbar warmes, anteilnehmendes Timbre zurück. Das ist eine Freundin, auf die man sich in jeder Notsituation verlassen kann. Ein echter Freund ist auch Greer Grimsley, der vor allem durch sein engagiertes Spiel brillierte; stimmlich geriet er zeitweilen etwas ins Knödeln.

Es ist in den vergangenen vier Jahren viel an der Inszenierung kritisiert und in sie hineingebuht worden, weil Isolde eben nicht den Liebestod stirbt. Marke, der sich das alles offenbar nochmal in der letzten Sekunde überlegt hat und im Zustand gnädigen Verstehens und Verzeihens offenbar von einem Testosteronschock überwältigt wird, zerrt die ihm ursprünglich versprochene Frau von ihrer soeben gestorbenen Lebenshälfte weg in die dunkle Hinterbühne.

Seien wir ehrlich – wenn die überirdische Musik, die auch überzeugte Anti-Wagnerianer schon hat umkippen lassen, nicht wäre, hätte das wohlbekannte Ende der Oper Potential zu Edelkitsch oder wenigstens übersteuerter Romantik. Viel schlimmer als der gemeinsame Tod ist jedoch die drohende Ehehölle, an deren Ende zu erwarten steht, daß einem der beiden Nicht-Liebenden vor Gericht ein blutiges Messer in einer Plastiktüte gezeigt wird.

Die Schwächen der Inszenierung liegen woanders. Wenn man die Unbedingtheit der Liebe schon in den Fokus stellt, dann sollte man das auch konsequent umsetzen. Wie das geht, verrät Wagner selbst: der „Liebestod“ ist, wie so vieles, in der Bezeichnung durch die Rezeption verunklärt. Es ist nämlich tatsächlich „Isoldes Verklärung“ und das darf, ja muß man transzendent verstehen. Mit dem „Liebestod“ hat Wagner die Einleitung des Werks, also eben das genannte Vorspiel bezeichnet und da bleibt die Assoziation mit dem „petit mort“, wie im Französischen der sexuelle Höhepunkt gerne genannt wird, nicht aus. Der Begriff der Verklärung ist kaum ohne eine religiöse Konnotation denkbar und hier stellt sich die Frage, inwieweit „Tristan und Isolde“, zwar völlig anders als der „Parsifal“, aber doch auch eine religiöse Oper ist. Die beiden Protagonisten sterben gleichsam als Märtyrer ihres übergeordneten Prinzips, der kompromißlosen, beherrschenden Liebe. Um aus dem Nähkästchen der Hocherotik zu plaudern: wer einmal erlebt hat, wie in der innigsten Verschmelzung sich jegliches Ich auflöst und im erhöhten Fließen eines diffusen WIR alle Unterscheidung zwischen Leib und Seele mystisch verlischt und der Begriff der Zeit nicht mehr gilt – der hört Anfang und Ende dieser Oper wahrscheinlich so, wie sie gemeint sind.

Und dann dürfen im zentralen Duett die beiden Liebenden halt nicht nebeneinander stehen, als seien sie nur gute Bekannte, zwischen den an Fahrradständer erinnernden Chromzwingen, die mal Käfig sein können und deren offenbar lose Elemente ein anderes Mal von beiden mit nicht wirklich überzeugend erkennbar scharfen Kanten zum gemeinsamen Suizidversuch in die Unterarme geritzt werden. Hier bleiben die Bilder und Requisiten unentschieden, aber nicht im Sinne des offenen Symbols, sondern in Richtung einer Unklarheit, die aus nicht zu Ende gedachten Ideen resultiert.

Die Farbsymbolik in den Kostümen gerät in ihrer konsequenten Umsetzung etwas plakativ. Sicher ist es sinntragend, wenn Tristan und Isolde von Beginn an beide in treues Blau gekleidet sind, aber gerade am Ende, wo Marke wie ein Mafioso und seine Gangster-Entourage Gelb als Neid- und Eifersuchtsfarbe tragen (glaubhaft unsympathisch und stimmstark: Raimund Nolte als Melot), und für die Tristans Gefolgsleute das hoffnungsvolle Grün requiriert ist, denkt man ein bissel an Spielfiguren auf dem Marke-ärgere-dich-nicht-Brett.

Das rechtfertigt aber bei weitem nicht den Buh-Sturm, den das ansonsten begeisterte Publikum auf Katharina Wagner gleich zweimal niederregnen ließ. Man hatte ohnehin den Eindruck einer eher unruhigen Zuhörerschaft, zumal einige Frühklatscher sich nicht an die heiligen Regeln hielten und in die ausklingende Musik hinein applaudierten. Glücklicherweise wurden die schnell von aufrechten Tempelhütern niedergezischt.

Thielemann und das Festspielorchester badeten geradezu im brandenden Applaus – der kleine Kiekser des Englischhorns zu Beginn des dritten Aufzugs war da schon vergessen.

Liebhaber der subtilen Symbolik schienen übrigens kurz vor Schluß auf ihre Kosten zu kommen. Zuerst schien es ein reizender Regieeinfall, als über dem sterbenden Tristan immer wieder offenbar ein kleiner Todesbote flatterte. Die Assoziation an den Schmetterling als Sinnbild der entfliehenden Seele bot sich an, aber es hatte sich ein anderer Nachtschwärmer auf die mit Erbs-Tüll halbtransparent verhangene Szenerie verirrt: eine Fledermaus im Festspielhaus suchte nach dem Ausgang. Man will ihr wünschen, daß sie ebenso glücklich das Haus verließ wie all die Hügel-Jüngerinnen und -Jünger, die sich schon auf das nächste Jahr freuen. Dann, Kinder, gibt´s Neues!

Andreas Ströbl 4.9.2019

Bilder (c) Enrico Nawrath