Bayreuth: „Tristan und Isolde“

Liebesrausch in der Folterkammer

Aufführung vom 20.08.2017

Wagners vielgerühmter narkotisierender Musik in seiner Oper „Tristan und Isolde“ setzt Katharina Wagner in ihrer Bayreuther Inszenierung aus dem Jahr 2015 einen verstörenden und beklemmenden Kontrapunkt entgegen. Die rauschhafte Liebe zwischen Tristan und Isolde steht von Anfang an unter einem ungünstigen, düsteren Stern. In den nachtschwarzen Bühnenbildern von Philipp Schlössmann und Matthias Lippert verirren sich die Liebenden im 1. Akt in einem Treppenlabyrinth, das wirkliche Nähe zunächst nicht aufkommen lässt. Umso leidenschaftlicher fällt dann allerdings doch das Liebesbekenntnis der beiden Protagonisten aus, zu dem sie des Liebestranks nicht mehr bedürfen. Tristan schüttet die Flasche aus, in der Isolde fälschlich den Todestrank wähnt. Diese Variante in der Inszenierung Katharina Wagners ist nicht eben neu, motiviert indes überzeugend Markes so gar nicht edles und königlich-erhabenes Handeln, vor dem Brangäne und Kurwenal Herrn und Herrin zu retten versuchen. Sie stellen sich der Annäherung Tristans und Isoldes mit Vehemenz, letztlich aber erfolglos entgegen.

In safrangelbem Anzug erscheint König Marke wie ein Mafioso im 2. Akt in jener Folterkammer, in der sich Isolde und Tristan vergeblich vor den Blicken ihrer Peiniger zu verbergen versuchen. Suchstrahler von Markes Schergen werfen immer wieder ein grelles Licht auf die wohl berühmteste Liebesszene der Opernliteratur. Ein mühsam von Tristan errichtetes Zelt, durch einige Plastiklichtsterne eher rührend, da unwirksam mit romantischem Flair versehen, bricht schon nach kurzer Zeit in sich zusammen und löscht alles Private und Intime dieser Situation brutal aus. Eisengitter engen die Liebenden ein, zum Schluss legen sie sich sogar eigenhändig Schlingen um den Hals. Tristan wird am Ende wie ein zum Tode Verurteilter mit Augenbinde und an Händen gefesselt von Marke schutzlos der Messerattacke Melots ausgeliefert. Er ist eben in Markes Augen nicht der schuldlos Schuldige, sondern der Verräter, dem der Prozess gemacht wird.

Im 3. Akt gibt es kein Happy End, auch nicht im Tode. Die Hoffnungsvision, die Gottfried von Straßburg in seinem Tristan-Epos noch verklärend in Form eines Chiasmus verkündet hatte – „ein man ein wip, ein wip ein man,/Tristan Isolt, Isolt Tristan“ -, wird durch Markes Handeln geradezu gewalttätig zertrümmert. Er reißt Isolde von der Leiche Tristans los, schleppt sie wie eine Beute fort und verwehrt ihr den Liebestod und damit die Vereinigung mit dem Geliebten im Tode, während seine Mannen die Anhänger Tristans dahinmeucheln. Das hatte noch bei der ersten Aufführung des Tristan in diesem Bayreuther Sommer zu wütenden Protesten einiger Festspielbesucher geführt, in der besuchten Aufführung am 20.08.2017 wurde auch die Regiearbeit Katharina Wagners und ihres Teams aber in den allgemeinen Jubel einbezogen.

Und zu bejubeln gab es in der Tat einiges. Christian Thielemann breitete mit dem grandiosen Festspielorchester einen geradezu süchtig machenden Klangteppich aus. Schmerz, Ekstase, Sehnsucht und Erfüllung, alle nur möglichen Gefühlsschattierungen in diesem singulären Liebesdrama gibt Thielemann in seiner Interpretation der Partitur mit einer Leidenschaft wieder, die ihres Gleichen sucht. Im letzten Akt brandeten allerdings die Klangwogen so hoch, dass selbst ein so stimmgewaltiger Sänger wie Stephen Gould an seine Grenzen kam. In den mörderischen Fieberphantasien des Schlussakts, in denen Tristan Isolde in zahlreichen Phantasmagorien herbeisehnt, stemmte sich Gould mit brachialer Tenorgewalt gegen die Orchesterflut. Das ging auf Kosten der Stimmschönheit und der gerade im letzten Akt immer wieder betörenden lyrischen Passagen. Dennoch: Goulds Tristan ist im Augenblick konkurrenzlos. Besonders das Liebesduett im 2. Akt „Oh sink hernieder, Nacht der Liebe“ wurde zu einem Mysterium klangschönen, kraftvollen und dennoch verinnerlichten Gesangs.

P etra Lang als Isolde war die eigentliche Überraschung des Abends. Während sie im ersten Akt noch mit einigen Intonationsschwierigkeiten zu kämpfen hatte, blühte ihre dunkel timbrierte, bisweilen gar bronzene Mezzosopranstimme im Verlauf der Aufführung zu einer Leuchtkraft und erotischen Ausstrahlung auf, die man ihr so ohne weiteres nicht zugetraut hätte. Gerade auch in den hohen Lagen wirkte die Stimme jugendlich frisch und unangestrengt. Ihren großen Schlussmonolog „Mild und leise wie er lächelt“ begann und beendete sie in allerschönstem Piano, und das nach Stunden dramatischen, exponiertesten Gesangs! Dass Petra Lang darüber hinaus eine begnadete Schauspielerin ist, wusste man bereits seit langem. Schade nur, dass ihre Artikulation geradezu unterirdisch ist. Man versteht nicht ein einziges Wort, was umso bedauerlicher ist, da man in Bayreuth auf Übertitel verzichtet. Ob die auch als Gesangspädagogin mehr als erfolgreiche Künstlerin hier nicht noch einmal selbst „Nachhilfeunterricht“ nehmen sollte?

Als Brangäne stand Christa Mayer Petra Lang stimmlich und darstellerisch in nichts nach. Wenn man überhaupt beckmesserisch einen Einwand vorbringen möchte, dann den, dass sich die beiden Frauenstimmen in ihrem Charakter zu sehr ähnelten und sich daher nicht in gewünschter Weise voneinander abhoben. Mit balsamischer, sonorer Bassstimme verkörperte René Pape König Marke und konterkarierte mit seiner einfühlsamen, empathischen musikalischen Interpretation die ihm aufgebürdete Fieslingrolle. Ian Paterson als Kurwenal, Raimund Nolte als Melot, Tansel Akzeybek als Hirte und Junger Seemann sowie mit Abstrichen Kay Stiefermann als Steuermann wussten ebenfalls sehr zu gefallen.

Das Publikum im natürlich ausverkauften Festspielhaus applaudierte enthusiastisch und feierte alle Beteiligten mit lang anhaltenden Standing Ovations. Das auch um so lieber, als die mehrstündige Sitzaskese auf ungemütlichen Klappstühlen manchem Besucher den Angstschweiß auf die Stirn getrieben haben dürfte, den Operngenuss vorzeitig wegen eines Krampfs im Oberschenkel abbrechen zu müssen. Der Rezensent blieb glücklicher Weise verschont und genoss die herrliche Akustik des Festspielhauses in vollen Zügen.

Norbert Pabelick

Fotos ©Enrico Nawrath