Aufführung am 25.8.2013
Daniel Barenboim
Verdi – Wagner – Berlioz
Einige tausend Personen mehr als die Arena di Verona kann die Berliner Waldbühne mit ihren 22000 Sitzplätzen aufnehmen, sogar 100 000 sollten es sein, als sie mit Olympiastadion und anderen Bauten im (geographischen) Westen Berlins für die Olympischen Spiele 1936 errichtet wurde. Nach dem Krieg fanden hier Filmvorführungen, Sportveranstaltungen und Rockkonzerte statt, von deren eines mit den Rolling Stones zur Zerstörung des Zuschauerareals führte und die jahrelange Verödung des Freilichttheaters zur Folge hatte. Der den DDR–Behörden willkommene Nebeneffekt war die Möglichkeit zur Verteufelung westlicher Musik im zweiten deutschen Staat. Wechselnde Kulturmanager und Agenturen pachteten Jahre später die Waldbühne, ein Zelt, das zumindest die Künstler vor den Unbilden eines leider recht instabilen Berliner auch „Sommer“–Wetters schützt, wurde errichtet, so daß seit Jahren die Berliner Philharmoniker trotz ihrer empfindlichen Instrumente ihr Sommerkonzert unter wechselnden Dirigenten hier durchführen können. Am 25.8. nun fand unter günstigem Wetterstern ein Konzert des West–Eastern Divan Orchestra statt mit Werken von – wie könnte es anders sein – von Verdi, Wagner, aber auch Berlioz.
1999 von Daniel Barenboim und Freunden in der Kulturhauptstadt Weimar gegründet, besteht das Orchester aus jungen Musikern jüdischer, arabischer, türkischer und andalusischer Abstammung. Der ständige Sitz ist augenblicklich Sevilla, aber sobald die Berliner Staatsoper restauriert sein wird, wird es hier ab 2016 eine Akademie für Stipendiaten aus Israel und den arabischen Ländern geben. Das Orchester zeigt auf regelmäßigen Sommertourneen sein Können, spielte 2005 in Ramallah und 2011 im Rahmen einer Südkorea –Tournee an der Grenze zu Nordkorea. Weder in Israel noch in Ägypten waren bisher Auftritte möglich. In einem Interview in einer Berliner Tageszeitung äußerte sich denn auch Daniel Barenboim pessimistisch nicht nur im Hinblick auf die jetzt begonnenen Friedensverhandlungen als auch auf die Möglichkeiten, in den krisengeschüttelten arabischen Staaten spielen zu können. So könnte man seinen Satz „Das Orchester ist ein Mythos geworden“ nicht nur als Positivum verstehen, sondern auch als Sorge darüber, daß der Wunsch, vom gemeinsamen Musizieren könne man schließlich zu generell friedlichem Zusammenleben finden, sich als Trugbild erweist. Auf das Orchester jedenfalls haben sich die neu entfachten Konflikte nicht negativ ausgewirkt, konnte der Dirigent beteuern.
Zur Tradition auch der klassischen Waldbühnen–Konzerte gehört der Einzug ganzer Familien – und Freundesverbände mit Picknickkörben und die Lagerung auch vor den Sitzplätzen auf dem Rasen. An diesem Abend mit viel Prominenz waren brave Stuhlreihen aufgestellt, klappte es im Unterschied zu anderen Abenden auch mit der Organisation perfekt, war zudem wohl wegen der Zusammensetzung des Orchesters Sicherheitspersonal an allen Ecken und Enden zu sehen. Einlaß ist traditionell bereits zwei Stunden vor Beginn eines Konzerts, so konnte man miterleben, wie zunächst der Konzertmeister, später der Maestro selbst noch letzte Hand an einzelne Phrasen der zu spielenden Werke legten.
Zu Beginn erklang die Ouvertüre zu Verdis „La Forza del Destino“ und befremdete ein wenig, da das Orchester einen leicht helleren und schärferen Klang hat, als man es von den hiesigen gewöhnt ist. Es erfreute auf jeden Fall das jugendliche Ungestüm der Musiker, und es überzeugten die raffinierten Rubati, zu denen Barenboim sie anhielt. Für die vorwiegend den Streichern vorbehaltenen Traviata – Vorspiele breitete das Orchester einen nuancenreichen Klangteppich aus. Besonders für Wagner hätten seine Musiker Interesse aufgebracht, hatte Barenboim in seinem Interview erklärt. Tristan-Vorspiel und Liebestod für Orchester ließen effektvoll herausgearbeitete Steigerungen, so im Anschwellen des Tons bei den dunklen Instrumenten, vernehmen, das Orgiastische des Liebestods wurde wunderbar hörbar gemacht. In frischer, festlicher Entschlossenheit gespielt, fand das Vorspiel zu den „Meistersingern“ den besonderen Beifall des Publikums.
Besonders gut paßten die Klangfarben des West Eastern Divan Orchestra zu Hector Berlioz‘ „Symphonie fantastique“, zu einem rhythmisch phantastischen Walzer voll feiner Agogik, und ohne falsche Zurückhaltung bei den irrsinnigen Phantasien von Hinrichtung und Hexensabbath. Technische Meisterschaft und reife Interpretation ergänzten einander auf glückliche Weise.
Das Programmheft wurde weitgehend von einzelnen Musikern gestaltet, wobei der Israeli, der sich zu Wagner äußert, seine Vorbehalte gegenüber den „Meistersingern“ damit begründet, zu ihren Klängen seien Juden in die Gaskammern getrieben worden. Darüber findet man nichts in der einschlägigen Literatur und googelt auch vergeblich.
26.8.2013 , Ingrid Wanja
Foto: Monika Ritterhaus