Bregenz: „Der Kaufmann von Venedig“

Ein wiedergefundener Schatz

DER KAUFMANN VON VENEDIG

(Oper von André Tschaikowsky)

Premiere der Uraufführung am 18.07.13

Das Herzstück der Bregenzer Festspiele 2013 ist sicherlich die Uraufführung der Oper "Der Kaufmann von Venedig" von André Tschaikowsky aus dem Jahr 1978, fertiggestellt bis auf achtundzwanzig Takte der Orchestrierung. Hatte ich anläßlich der Entdeckung von Weinbergs spannender Oper "Die Passagierin" vor zwei Jahren schon gefragt: "Kennen Sie Weinberg ?", so gilt das ebenso für dem Komponisten André Tschaikowsky (1935 – 1979), zu Lebzeiten sicherlich bekannter als Pianist, denn als Komponist. Eigentlich lautet sein Geburtsname Robert Andrzej Krauthammer, geboren in Warschau, lebte er mit der früh geschiedenen Mutter und seiner Großmutter ebendort. Schon beim Kleinkind zeigte sich Sprach- und Musikbegabung, als die Nationalsozialisten die Familie im Warschauer Ghetto gefangen hielten, seine Großmutter schmuggelte ihn unter dramatischen Umständen aus dem Ghetto, während die Mutter bei ihrem neuen Ehemann zurückblieb und ermordet wurde. Nach dem Krieg machte der Hochbegabte unter den Fittichen seiner Großmutter mit neuem Namen bald als Klavierwunder Karriere und studierte ebenso Komposition. Sein nicht einfacher Charakter, wen wundert es nach einer solch` schrecklichen Kindheit, schuf ihm immer wieder Probleme. Seine letzten Jahre verbrachte Tschaikowsky als gefeierter Virtuose in Frankreich und England. Als skurriles Vermächtnis erbte die Royal Shakespeare Company seinen Schädel für Hamlet-Aufführungen, so geriet er sogar noch auf eine englische Briefmarke.

Es ist nicht zu hoch zu bewerten, daß David Pountney und sein Team jetzt endlich seinen "Kaufmann von Venedig" zur Uraufführung brachten. Schon die als Komödie veranschlagte Shakespeare-Vorlage hat es mit der schwierigen Figur des Juden Shylock in sich, denn diese Figur an sich ist schon als antisemitische Karikatur zu werten, wer also, wenn nicht ein Komponist jüdischer Abstammung, würde sich nach dem Holocaust an ein solches Sujet wagen. Das Werk selbst trägt in seinen vier Akten schon einige dramaturgische Schwächen in sich; die Handlung setze ich hier einfach mal als bekannt voraus, denn die Auflösung geschieht eigentlich schon im dritten Aufzug, während der vierte wie ein Appendix daranhängt und mit seinen drei Paaren und der buffonesken Liebesprobe, wie dem melancholischen Ende, ein wenig an "Cosi fan tutte" erinnert. Doch gerade dieser Akt mit seiner wunderbaren Reflexion über die Musik bildet die kompositorische Keimzelle, die Tschaikowsky zur Vertonung inspiriert hat. Hier findet sich auch wundervoll lyrische Musik, die über die grausamen Geschehnisse einen versöhnlichen Schimmer wirft. Tschaikowskys Musik ist für mich nach dem ersten und einmaligen Hören, nicht ganz leicht zu beschreiben: gediegen moderne Töne ohne für die Kompositionszeit (1964-78) avantgardistisch zu sein, das dramatische Geschehen wird auf emotionalem Weg gut unterstrichen, es gibt Anklänge an Alte Musik, wie an die Tonkunst britischer Komponisten des Zwanzigsten Jahrhunderts, ohne nachzuahmen, irgendwie damit sogar eine kleine Hommage an den Jubilar Benjamin Britten. Auf jeden Fall eine sehr bühnenwirksame Musik, besonders packend der dritte Akt mit dem Gerichtsurteil. Ein Werk, dem man in den Spielplänen gerne wiederbegegnen möchte.

Keith Warner siedelt die Handlung im 19.Jahrhundert an; Ashley Martin-Davis`Bühnenbilder wirken mit ihren Anspielungen auf das Bankenwesen dieser Zeit manchmal etwas unterkühlt, seine Kostüme zeigen gesellschaftlichen Rahmen auf, ohne irgendwie zu karikieren, ebenso wirken die ersten Akte in der etwas oberflächlichen Inszenierung leicht aufgesetzt, manchmal streifen sie gar den Slapstick wie in der Kastenprobe des zweiten Aktes. Im dritten Aufzug wird das Spiel dann wirklich konzentriert und packend, während sich der lyrische Finalakt mit den träumerisch surrealistischen Bildern passend absetzt.

Erik Nielsen am Pult der Wiener Symphoniker läßt die "Neue Musik" leuchten, man möchte am liebsten zu den Orchesterkonzerten, die thematisch diese Uraufführung rahmen, noch bleiben, wenn man könnte. Geschickt, ohne larmoyant zu wirken, gibt Adrian Eröd mit ernsthaftem Gestus und männlichem Bariton den Shylock; ihm gegenübergestellt ist der andere Außenseiter; Antonio, der Kaufmann von Venedig, verpflichtet sich ihm mit Leib und Leben für seinen Freund einzustehen, ein unglücklich liebender Homosexueller, der für die melancholische Trübheit und den fast todessüchtigen Gestus einsteht; Christopher Ainslie singt diese zentrale Figur mit lyrischem Countertenor, auch hier eine nicht outrierende Gestaltung. Kathryn Lewek ist mit jugendlichem Sopran die selbstbewußte Tochter Shylocks und nimmt ihres Lebens Fäden in eigene Hände, Jason Bridges als Lorenzo mit leichtem Tenor der passende Partner. Charles Workman ist mit deutlicherer Tenorpräsenz das für Antonio unerreichbare, heterosexuelle Liebesobjekt, Bassiano, gerät an die schelmische Portia, Magdalena Anna Hofmann mit leicht spröden Sopranhöhen. Ihre Vertraute Nerissa, mit angenehmem Mezzo-Timbre Verena Gunz, gerät an Gratiano in Gestalt von David Stouts körnigem Bass-Bariton. Richard Angas als Doge von Venedig, Adrian Clarke als Salerio und Norman D. Patzke als Solanio geben ihren Rollen hervorragendes stimmliches wie szenisches Profil. Hanna Herfurtner punktet mit schönem Sopran als namenloser Knabe. Julius Kubiak und Elliot Lebogang Mohlamme dürfen als Prinzen von Aragon und Marokka für die skurilen Faxen zuständig sein. Der Prager Philharmonischer Chor wirkt als Ensemble wie in den Chorsoli überzeugend.

Insgesamt ein sehr überzeugendes Profil mit einer im Laufe des Abends immer besseren Inszenierung. Ein wichtiges Werk des zwanzigsten Jahrhunderts wurde wiederentdeckt und harrt jetzt darauf von anderen Bühnen nachgespielt zu werden, es würde sich sicherlich lohnen. Da Bregenz medial stets gut vernetzt ist; Ö 1 und ORF 3 live übertragen haben, wird es sicher auch Möglichkeiten geben, diese musikalische Großtat nachzuerleben.

Herzlichen Glückwunsch auch an David Pountney, der für sein Engagement für die polnische Musik (Szymanowski, Weinberg und A. Tschaikowsky), vom polnischen Staat verdientermaßen geehrt wurde.

Martin Freitag, 08.08.13