Ein unbekanntes Werk im Festspielhaus
& die Wiederaufnahme der erfolgreichen TURANDOT
Premiere HAMLET am Mittwoch dem 20.6.2016
Wa-Premiere TURANDOT am Donnerstag 21.6.16
Leider kein Vergleich zu Verdi
Oh ihr Opernkomponisten – mein Appell bevor Modernisten jetzt (eine „Hamletmaschine“ gibt es ja schon) auf eventuell falsche Ideen kommen – lasst doch bitte den Shakespeare "Hamlet" weiterhin auf der Sprechtheaterbühne; da gehört er hin und da möge er bitte auch für immer ohne Musik bleiben. Als große Opera scheint er mir nicht geeignet, was heuer in Bregenz viele allerdings anders sahen.
Das Premierenpublikum jubelte überschwänglich – aber das ist Zeremoniell. Die Leute haben Premierenkarten ergattert, sie wollen dafür eine Sternstunde, gar eine Sensation erleben – man will ja etwas haben für sein Geld und man feierte sich, wie jedes Jahr, auch ein bisschen selbst. Einen Reinfall jedenfalls haben sie keinen erlebt. Das war eine durchaus passable Eröffnungsoper…
…für Bregenz – wohl angemerkt!
Sie wird allerdings nicht mehr als eine sprichwörtliche "Eintagsfliege" bleiben, denn von einer substanzreichen Opern-Entdeckung kann meines Erachtens keine Rede sein. Allzu schwach ist dieser Mix aus Verdi, Boito und Ponchielli: Kaum nachhaltig in Erinnerung bleibende Arien, unkomplizierte einfache Ensembles und immer wieder große Chor-Auftritte, ob es handlungsdramatisch Sinn macht oder nicht. Das gilt übrigens sowohl für das Stück als auch die Inszenierung, die ziemlich überladen daherkommt. Immerhin aber gab es Einiges fürs Auge.
Vielleicht liegt es auch am Stoff, denn so ein textlastiges Stück zu veropern ist von je her problematisch. Auf der Opernbühne konnte bisher nur die französische Veroperung HAMLET von Ambroise Thomas aus dem Jahr 1868 in die Annalen der Opernhistorie wenigstens ein bisserl überzeugend eingehen. Man bringt sie ja auf deutschen Bühnen gelegentlich zur Repertoire- und Kenntnis-Anreicherung. Dass dies durchaus gelingt liegt daran, dass Thomas´ kammermusikalische Formgebung dem ursprünglichen Shakespeare sicherlich näher kommt als Faccios Grand-Opera-Version mit Ballett und Riesen-Chor.
Olivier Tambosis Inszenierung versucht die Quadratur des Kreises – wobei er Kreis und Kreisen inszenatorisch sehr real nimmt und umsetzt, denn die Drehbühne bewegt sich unentwegt. Am Anfang sieht es noch toll aus, dann dreht es sich tot, und auch die permanent dazwischenhüpfenden und tobenden Ballett-Hexen (eine Art Ping, Pang, Pong des Tanzes) retten das Stück nicht.
Am Anfang steht ein ziemliches Gewimmel und Gewusel – später im zweiten Teil wird es besser, es wird ruhiger und konzentrierter. Irgendwie entstand bei mir der Eindruck, daß der Regisseur selber die Schwäche der Oper erkannt hat und nun versuchte, das ganze quasi durch übersprudelnde Regieeinfälle und übervolle Bilder etwas zu kompensieren – was immerhin unter dem Aspekt des "Musiktheaters" durchaus gelungen ist.
Tatsächlich fehlt dieser Oper der musikalisch große Bogen, es mangelt an Raffinesse, und die Aktschlüsse sind so wuchtig wie simpel und vorhersehbar. Wer dann am Ende ein großes Opernfinale erwartet, wird noch mehr enttäuscht. Ich glaube nicht, dass irgendein Intendant dieses Stück ins Repertoire nehmen wird. Dafür gibt es zu viele, zuviele sehr gute italienische Opern. Und echte Entdeckungen! Nehmen wir, pars pro toto, nur Riccardo Zandonais CAVALIERI DI EKEBU. Ich hätte noch einige weitere mit Substanz im Angebot ;-))
Immerhin war Franco Faccio ein durchaus intelligenter und mit der Fähigkeit zur Selbstkritik ausgestatteter Künstler, denn er ließ dem Scala-Debakel seines AMLETOs dankenswerterweise keine weiteren Opern mehr folgen, war er doch ein vom großen Maestro Verdis hochgeschätzter und bevorzugter Dirigent – egal ob für AIDA, DONCARLO oder OTELLO. Dort war er der richtige Mann am richtigen Platz.
Die musikalische Interpretation von Paolo Carignani mit den Wiener Symphonikern war adäquat; wuchtig, subtil schön und stellenweise sogar ziemlich beeindruckend; sinnlose Plage, Müh ohne Zweck – mehr als dieses Siegfried-Zitat möchte ich dazu ironisierend nicht anmerken.
Frank Philipp Schlößmanns Leuchtbirnchen-Reihen umrahmen den klassischen tiefroten Theater-Vorhang als optischen Rahmen; im Hintergrund ein zweiter Rahmen. Merke: Wir spielen also Theater im Theater – immerhin eine klare Ansage und wesentliches Handlungsmoment. Das Erscheinen des Geists von Hamlets Vater gemahnte mich zum zweiten ironischen Wagner-Zitat: selige Öde auf wonniger Höh.
Das alles hat in der gleissend hell illuminierten Stein- bzw. Eiswüste zuviel eines plakativen Kinobildes. John Boormanns „Excalibor“ lässt grüßen oder war es der „Highlander“? Zuviel der Effekte… zu kitschig theatralisch für meinen Geschmack. Beleuchtung: Manfred Voss. Für die wirbelnde Choreografie zeichnetet Ran Arthur Braun verantwortlich,und die durchaus beeindruckende Couture entwarf Gesine Völlm.
Auch die unendlich gähnend langen Fechtszenen – schön nach alter Musketier-Manier (Klasse Arbeit der Fechtmeister) – auf langen Tischen in wilder Action inszeniert, hätte mehr auf die Seebühne gepasst, doch da gibt es ja schon das Kung-Fu-Fighting-Ballett.
Womit ich bei der diesjährigen TURANDOT, die sich heuer ins zweite Aufführungsjahr sehr erfolgreich begibt, wäre. Fast alle Vorstellungen sind wieder ausverkauft; ein wichtiges Kriterium für eine beliebte Volksbühne.
Immerhin bekommt Bregenz kaum Zuschüsse, wenn man es z.B mit Wien oder Salzburg vergleicht. Auch kleinere Inszenierungs-Retuschen (die meine glaubwürdige Kritikerkollegen festgestellt haben), ändert nichts am Folkloristischen Grundkonzept, auf welches ich schon im letzten Jahr ausgiebig hingewiesen habe.
Marco Arturo Marelli bedient weiter alle chinesischen Klischees: es gibt es die putzige, aber dennoch respektable China-Legoland-Mauer, weiterhin beeindruckt die allgegenwärtige von innen beleuchtete Terrakotta-Armee (einmal oben auf der Mauer platziert und parallel halb im Bodensee versunken), es gibt vielfältige Drachen und Lampions, die üblichen Wasserspiele und Feuerwerk, schöne Balletteinlagen und aus Japan importierte Kungfu-Fighting-Tänzer. Disneyland-Atmosphäre. Also alles Dinge, die das Publikum erfreut und die man liebt. Ein kritischer Sitznachbar nuschelte mir ins Ohr: Genauso so stellt sich bestimmt der typische Amerikaner China vor. Ja… dem könnte man zustimmen.
Musiktheater gibt es natürlich auch, da sind die kommentierenden Handlungsträger Ping, Pang und Pong trefflich angelegt. Und sporadisch bricht auch mal eine überraschend auftretende Schickimicki-Party-Gesellschaft die sonst oft etwas statisch wirkende Atmosphäre auf.
Nicht zu vergessen: Puccini, der große Maestro, spielt auch selbst mit. Anfangs sitzt er in seinem Arbeitszimmer und komponiert – dort wird er dann in der Folterszene auch wieder ans sein Bett gefesselt. Sterben wird er natürlich nicht, als Liu sich umbringt – er muss ja noch das große Alfano-Finale singen – sonst wäre die Oper sogar zurecht und biographisch begründet ad hoc und an dieser Stelle zu Ende gegangen. Mehr hat Puccini, wie man weiß, partiturmäßig nicht niedergeschrieben. Das kann man aber eigentlich keinem Publikum der Welt antun…
Sic! Auch ich gebe offen zu, ja eigentlich auch nur wegen der schönen Arien und eben diesem grandiosen Schluss in dieses Monster-Werk zu gehen 😉 Obwohl man nicht das ganz großen Alfano-Finale spielt, sondern eine passable, aber durchaus wirkungsvolle Reduzierung.
Eine kleine ketzerische Anmerkung für unsere jungen Opernfreunde und alle Opernanfänger: „Nessun dorma“ ist nicht von Pavarotti (!) und auch nicht von Paul Potts (!!) obwohl es viele viele Monate auf Platz eins in den Charts der großen Hitparaden war. Ersterer damals übrigens als quasi Leitmotiv zur Fußball-WM; allerdings erheblich länger als letzterer, der aber auch eine Menge CDs verkauft hat.
Zu den Sängern im HAMLET
Ein beachtliches Sängerensemble war zu hören. Überragende Tenorleistung von Pavel Černoch – immerhin hat er diese stimmmordende Partie (er ist fast permanent auf der Bühne und hat auch viel Text zu singen) bravourös, intelligent und überzeugend durchgestanden. Trefflich besetzt Claudio Sgura als dänischer König Claudio und Dshamilja Kaiser in der Rolle der Königin Gertrude, Hamlets Mutter. Iulia Maria Dan als Ofelia begeisterte das Publikum ebenso wie Paul Schweinester als Laerte, Sohn des Polonio und Bruder der Ofelia.
Gianluca Buratto war ein überzeugender wuchtiger Geist des ermordeten Königs und Eduard Tsanga als Hofmarschall Polonio überzeugte ebenso wie Yasushi Hirano als Totengräber. Insgesamt eine durchgängige Top-Besetzung für diese Rarität. Ebenso prächtige aufspielend in diesem Vielpersonenstück auch die Comprimarii: Sébastien Soulès als Hamlets Freund Orazio, Bartosz Urbanowicz als Offizier Marcello, Jonathan Winell als König Gonzaga, Sabine Winter als dessen Gattin.
Als besonderes Highlight des Abends empfand ich den Prager Philharmonischen Chor (Leitung: Lukáš Vasilek), verstärkt mit Mitgliedern des Bregenzer Festspielchors (Einstudierung: Benjamin Lack) – wobei letzterer für mich ohnehin zu den Spitzenchören Europas zu zählen ist, was sie auch wieder bei der TURANDOT unter Beweis stellten.
Die stimmliche Beurteilung der TURANDOT-Sänger
möchte ich mit einem durchgehenden Lob versehen, wobei sich eine genaue Differenzierung durch die via Microport individuell verstärkten Stimmen als schwierig darstellt. Insgesamt war der Klangeindruck natürlich auch durch die geniale Tonstudio-Regie und die über 500 perfekt in die Chinesische Mauer integrierten Spitzenlautsprecher wieder eine Wucht – klanglich steht das alles für eine Open-Air Bühne an der absoluten Weltspitze. Bisher unerreicht das "Maß der Dinge"!
Wobei mich immer wieder die phänomenale Arbeit der Ton-Ingenieure beeindruckt, die es tatsächlich schaffen, jeden Sänger auf den Meter genau ortbar erklingen zu lassen. Auch wurde wie immer die Differenzierung des Chores durch das 360-Grad Raumklang-Prinzip zu einem Sensourround-Erlebnis erster Güte.
Die Wiener Symphoniker unter Paolo Carignani brillierten in vollendetem HiFi und die schon erwähnten Chöre aus Bregenz und Prag sind ein Erlebnis. Die weiteren Credits finden Sie hier.
Ihr Peter Bilsing 29.7.16
Bilder (c) Karl Forster
P.S. Ein Opernfreund-Reisetipp
Und wiederum wie jedes Jahr mein persönlicher TIPP für alle Bregenz-Fans und Reisende mit dem Auto oder Motorrad. Bitte bleiben Sie etwas länger vor Ort!
Tun Sie sich nicht die quälenden Temperaturen unten am Bodensee an (locker mal 36 und mehr Grad – da kann man nachts kaum schlafen!). Weiter oben in der BREGENZER WALD Region ist es bis zu 10 Grad kühler und man findet für 50 Euro in herrlichen Pensionen und Hotels Unterkunft (ein Fünftel dessen, was man teilweise in Bregenz vor Ort verlangt). Und ab drei Tagen gibt es die Gästekarte Region-Bregenzer-Wald, wo sie alle 10 Luftseilbahnen, sämtliche öffentlichen Verkehrsmittel, Schwimmbäder und Museen gratis haben.
Auf die köstliche Gastronomie (Bild oben: Vorarlberger Kaasknödel) muß ich nicht noch extra hinweisen, oder? Aber die exzellenten Wandermöglichkeiten in hochalpiner Wegevielfalt, die möchte ich noch extra erwähnen, denn Vorarlberg ist immer und jederzeit ein Reise wert; auch für Familien mit Kindern noch bezahlbar 😉