Bregenz: Herheims Erzählungen

im Festspielhaus

Kommen wir nun zum Festspielhaus 2015. So sah die Historie der letzten Dekade aus, man gab Werke, die das Herz nicht nur jedes Opernfachmanns höher schlagen ließen, sondern hier wurde man auch der hohen musikhistorischen und kulturellen Verantwortung eines ernst zu nehmen subventionierten Opernhauses gerecht. Immerhin ein ausgewogenes Programm für anspruchsvolle Musiktheater-Liebhaben und aufgeklärten Entdecker, deren musikalischer Erlebnishorizont sich nicht auf die gängigen 20 omnipräsenten immer gleichen Alltagswerke von "A" wie Aida bis "Z" wie Zar und Zimmermann beschränkte. Was waren das für JUWELEN:

Geschichten aus dem Wiener Wald Karl Gruber (2014)

Der Kaufmann von Venedig André Tschaikowsky (2013)

Solaris Detlev Glanert (2012)

Achterbahn UA Judith Weir (2011)

Die Passagierin Mieczysław Weinberg (2010)

König Roger Karol Szymanowski (2009)

Karl V. Ernst Krenek (2008)

Tod in Venedig Benjamin Britten (2007)

Der Untergang des Hauses Usher Philip Glass (2006)

Maskerade Carl Nielsen (2005)

Der Protagonist und Royal Palace Kurt Weill (2004)

Die bisherigen Aufführungen im Festspielhaus waren eine exzellente und anspruchsvolle Auswahl fabelhafter neuer oder auch völlig vergessener Werke; regelrechte Meilensteine in der Inszenierungsgeschichte. Damit war für echte Opernfreunde über die letzten zehn Jahre zumindest das Bregenzer Festspielhaus eine Verpflichtung, obwohl Menschen über 172 cm Größe kaum ordentlich sitzen können. Nun hat sich der Kurs geändert – ab sofort heißt es auch im Festspielhaus

"Eviva l´opera populare"

Hic et nunc gab man erst einmal Hoffmanns Erzählungen – weltbekanntes, beliebtes und an fast allen Opernhäusern dieser Welt bisher regelmäßig präsentes und vom Abovolk heißgeliebtes Werk.

Um sich nun nicht ganz so direkt der simplen Opern-Volksanbiederung auszusetzen, hat man immerhin mit Stefan Herheim einen großen Namen aus dem Bereich des Regietheaters engagiert. Wie zu erwarten, zeigte uns Regisseur Herheim, daß wir natürlich alle bisher diese Oper in den letzten 100 Jahren völlig falsch verstanden haben, denn der Protagonist, nämlich unser Künstler Hoffmann (es geht ja in der Geschichte um sein Leben und die Liebe zu vier Frauen) ist eigentlich schwul; eher gar eine Transe mit Strapsen, welche heuer auch die Rolle verschiedener anderer Figuren übernimmt – sind sie nun Teil der Oper, oder vom Regisseur hinzu erfunden. Genauso wie der Stuntman, der sich am Anfang eine große Revuetreppe zur Verblüffung des Publikums herunterstürzt, wie einst Belmondo in dem Filmjuwel Ein irrer Typ (1977). Passt zwar nicht zum Libretto, war aber zumindest für mich die einzige unterhaltsame Sequenz an diesem Abend.

Und erneut die Marotte Herheims (jüngst bei Manon Lescaut in Essen zu goutieren) tritt der Komponist in einer stumme Rolle – hier also Jacques Offenbach – ständig auf, dirigiert das Orchester mit oder freut sich kindlich am schönen Gesang. Auf- und Abtritte aus dem Publikum bzw. organisierte Zurufe von einem vermeintlich empörten Besucher:

"Schluss mit dem schwulen Scheiss!"

sind eingebaute Koketterie des Regisseurs bzw. Reminszenzen an Konwitschny und die Regie der 80-er Jahre; alte Opernsuppe lange überholt und schon fast gähnend déjà vue. Immerhin war die Beschaffenheit des Bühnenbildes, nämlich jene schon angesprochene Riesen-Showtreppe als Kernelement, ein praktikabler Einfall, denn so konnte man recht sinnvoll bei Dauerregen bzw. Gewitter (also dem Abbruch auf der Seebühne) problemlos die semikonzertante Turandot-Weiterführung für die teuren Karteninhaber ebenda ohne Umbau präsentieren. Leider war die Riesentreppe, die für die Akte 2-4 sich in der Mitte öffnen sollte mit technischen Antriebs-Mängeln behaftet – eine Riesenpeinlichkeit für eine Organisation wie die Bregenzer Festspiele, die gerade ihre hochgradige perfekte Technik bei jeder Gelegenheit zurecht loben lässt und deren technische Effekt-Zauberkasten sich auf der Außenbühne bisher meist vorbildlich und einmalig unter Beweis stellte. Die Treppe öffnete sich nur halb, was eine kurze Unterbrechung zur Folge hatte – Probleme, deren man schon bei den Proben gewahr wurde, ohne sie abstellen zu können. Ein Debakel! Da sucht der geplagte Kritiker lieber Zuflucht oben in den wunderbaren Bregenzer Wald Bergen.

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P.S. noch ein persönlicher Tipp für Festspiel-Reisende

Wohnen Sie nicht in Bregenz in viel zu überteuerten Hotels! Ein bisserl weiter oben im Bregenzer Wald gibt es, auch ohne Vorbuchung, immer schöne Zimmer ab 29 Euro. Im 4-Sterne-Hotel in Damüls zahlte ich dieses Jahr 49 Euro. Und man hat, ab drei Tagen Aufenthalt über die Gästekarte alle Seilbahnen, Schwimmbäder + Busse der großen Region Vorarlberg gratis. Wo gibt es so etwas denn sonst noch?

Bilder: Bregenzer Festspiele / Anja Köhler / Bil priv.

Schönen Sommer-Urlaub

wünscht

Ihr

Peter Bilsing 29.7.15