Bregenz: „Rigoletto“

Ein durchgetaktetes Vergnügungs-Spektakel

Rigoletto-Aufführung am 9. August

Information ist gewöhnlich alles. Doch manchmal hindert einen ein Zuviel an Information auch daran, Dinge unbefangen und freudig zu genießen. So geschehen bei „Rigoletto“, einer der aufwändigsten Inszenierungen, die man sich nur vorstellen kann. Wer vor der Aufführung – wie die Kritikerin – jede Menge Videos, Beiträge und Kommentare zur Bregenzer Version der Verdi-Oper konsumierte, brachte sich damit eventuell um ziemlich viel Genuss. Schade, wirklich schade, denn sonst hätte es rein subjektiv ein noch wesentlich „tollerer“ Abend werden können: Mit dem Schiff, von Lindau kommend, schaukelt man mit einem Großteil der Besucher gemütlich in Österreich an Land, direkt neben die Seebühne.

Eben noch ein Glas Sekt in der Hand, staunen viele nun Bauklötze beim Anblick eines riesigen Clown-Schädels aus Holz in Dimensionen, wie man sie noch nie gesehen hat. Ein enormer Kopf, der noch dazu ein Eigenleben besitzt, lacht, weint, mit den Augen rollt, bis ihm diese im Verlauf der Handlung aus den Höhlen rollen. Unglaublich, unfassbar, nie gesehen! Nase und Lippen sind in grellem Rot geschminkt, die Farbe ist verwischt und korrespondiert mit der im Hintergrund untergehenden Sonne. Dazu: Zwei gigantomanische Hände, rechts und links von besagtem Kopf, dessen Halskrause als Hauptbühne dient. Beide Extremitäten ragen armlos aus dem Wasser, können sich öffnen und schließen, werden von Sängern bestiegen, drücken Gefühle zwischen Hoffnung und Verzweiflung aus. Ja mehr noch: Aus einer Hand ragt sogar ein gelb-weißer, vom TÜV genauestens überprüfter Ballon. In dem Gilda, die Schöne – Rigolettos Tochter – dann mehrfach emporsteigt, bis man sie in 40 Metern Höhe eben noch erkennen kann. Immer wieder wirbeln und turnen Sänger und Nebendarsteller herum. Sie zeigen in Zirkuskostümen aus dem 19. Jahrhundert, wie verspielt diese Verdi-Welt zunächst ist; bevor sie inhaltlich und tatsächlich in den Abgrund stürzt. Wow, was für eine Manege wurde da quasi aus dem Nichts in den glitzernden See gezaubert!

Doch gleich erfolgt die ernüchternde Einsicht: Das kenne ich alles schon. Aus Filmchen im Internet, aus Fernsehbeiträgen, aus Zeitungsartikeln. Der erste Eindruck war also schon vor dem eigentlichen Opernabend da und macht ein unbekümmertes In-Augenschein-nehmen zunichte. Dennoch erweist sich dieser „Rigoletto“ in der Inszenierung von Philipp Stölz als kunterbunte Augenweide, die man nicht so leicht vergisst. Enrique Mazzola und Daniele Squeo tragen als musikalische Leiter mit fein ziselierten, ja durchtechnisierten Tönen dazu bei, dass die Noten makellos über den See schweben. Sehr oft schon ist über das perfektionierte Klangsystem in Bregenz geschrieben worden: Wie sie dort am Sound basteln, bis da nichts mehr wackelt oder sonst ein nicht erwünschtes tonales Eigenleben führt. Gerade diese Unfehlbarkeit wirkt aber auch steril – ein am Mischpult mit-generierter, 100 %iger Verdi lässt individuelle Nuancen vermissen. Vielleicht ist das aber auch zuviel gemeckert, schließlich sorgt die ausgetüftelte Technik in Bregenz dafür, dass der Ton immer genau den jeweils singenden Personen zugeordnet werden kann. Eine Besonderheit, die sich ziemlich positiv auf das Verständnis des Ganzen auswirkt und damit zum Genuss der Story beiträgt.

Diese „geht“ wie folgt: Der moralisch fragwürdige Herzog von Mantua zeigt sich keinem Liebes-Abenteuer abgeneigt. Wobei er notfalls auch ziemlich krumme Wege geht – was den weltbekannten italienischen Komponisten ja nicht daran gehindert hat, dem Fiesling ausgerechnet einige seiner schönsten Arien in den Mund zu legen. Rigoletto, ein buckliger Hofnarr, verspottet die Opfer seines Herrn, statt sie zu schützen. Sein eigenes Herz gilt nur Gilda, seiner schönen Tochter. Der Graf von Monterone verflucht eines Tages Rigoletto, der nichts getan hat, um sein Kind vor den Nachstellungen des Herzogs zu schützen. Schließlich wird auch Gilda von der korrumpierten Hofgesellschaft entführt, welche in ihr fälschlicherweise die Geliebte des Narren sieht. Im Palast erklärt Gilda später ihrem Vater, dass sie von dem sexgierigen Adligen verführt wurde. Daraufhin dingt der erzürnte Rigoletto den Mörder Sparafucile, um den Herzog umbringen zu lassen. Doch Sparafucile ersticht stattdessen Gilda, welche sich zum Schutz über ihren Geliebten wirft. Und damit hat sich der Fluch des Grafen von Monterone gegen Rigoletto bewahrheitet.

Auf, um und um die Bühne (Philipp Stölzl, Heike Vollmer) herum sorgt ein immenses Spektakel dafür, dass es nie langweilig wird. Dazu zählen teure Spezialeffekte, betont knallige Kostüme (Kathi Maurer) Feuerwerk sowie Stunts (Wendy Hesketh-Ogilvie) teils in luftigen Höhen, was den Darstellern eine Menge abverlangt. Von Bregenz ist man solchen aufregenden Tamtam jedoch gewöhnt, die Seebühne hat schon einiges in dieser Richtung gesehen. Und wird wohl weiterhin ausverkauft sein, wenn der Hofnarr Rigoletto 2020 wieder voller Kapriolen – wie auch voller Tragik – über die Bretter springt.

Daniela Eggert 17.9.2019

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