Budapest: „Dead man Walking“

(Premiere am 16.9.2020)

Aufführung am 27.2.2021

Respektable Inszenierung eines US-amerikanischen Klassikers

Das Theater an der Wien zeigte die erste Oper des äußerst produktiven US-amerikanischen Komponisten und Pianisten Jake Heggie (31.3.1961) bereits 2007. Die Erinnerung an diese Aufführung ist beim Rezensenten noch wach, da er sich diese Produktion mindestens dreimal angesehen hatte. Gleichwohl ist dies jedoch die einzige von Heggies bislang zehn Opern, die ihren Weg auch auf Bühnen außerhalb der Vereinigten Staaten von Amerika geschafft hatte. Neben Wien wurde sein vielversprechender Erstling auch in Sydney, Montréal, Dublin, Kopenhagen, Madrid, Malmö, Bielefeld, Dresden, Erfurt, Hagen und Schwerin gezeigt. Das zweiaktige Libretto (insgesamt 18 Szenen) samt Prolog stammte von dem US-amerikanischen Dramatiker Terrence McNally (1938-2020), der hierzulande vor allem mit seinem Stück „Master Class“ über Maria Callas bekannt wurde. Der Librettist verarbeitete in seinem Libretto das gleichnamige Buch der US-amerikanischen katholischen Ordensschwester und Aktivistin gegen die Todesstrafe, Helen Prejean (21.4.1939), das 1995 mit Sean Penn und Susan Sarandon verfilmt wurde. Er änderte jedoch den Namen des Verurteilten Matthew Poncelet in Joseph de Rocher und ergänzte einen Prolog, in welchem der Mord selbst gezeigt wird, sodass beim Publikum kein Zweifel an der Schuld des Täters entstehen kann.

Die Uraufführung fand am 7. Oktober 2000 im War Memorial Opera House in San Francisco statt. Nach zwei Aufführungen im September des Vorjahres hat die Ungarische Staatsoper das Werk wieder aufgenommen und am 27.2.2021 auch online gestreamt. Der ungarische Titel der Oper „Ments meg, Uram“ bedeutet so viel wie „Errette mich Herr“ und zielt anders als der Ruf „Dead Man Walking“, der den Verurteilten auf seinem Weg aus der Todeszelle zum Hinrichtungsort begleitet, auf die Hoffnung des Verurteilten auf Vergebung seiner Tat und Erlösung. Das Orchestervorspiel wird durch ein langsames, sich steigerndes Motiv eingeleitet, welches später immer wieder leitmotivartig auftaucht. Heggies Musikstil erinnert an jenen des US-amerikanischen Komponisten Carlisle Floyd (11.6.1926*) und ist gekennzeichnet durch einen Stilmix aus Jazz, Blues und Gospel, melodiösen Linien, manch ungewohnten Rhythmen und schwankenden Harmonien, wobei er dennoch stets tonal bleibt. Allerdings, und dieser Vorwurf bleibt auch nach Betrachtung des Streams aufrecht, wurde der Komponist dem vordergründigen Thema der Todesstrafe nicht gerecht, da er dieses zwar handwerklich gekonnt, lediglich in Zuckerwatte bettete. Andere Themen der Oper wie Schuld, Reue, Vergebung, Liebe und Zuneigung werden ebenfalls angeschnitten und mit gefühlvollen bis hochdramatischen Ausdrucksmitteln musikalisch versehen.

Dirigent Kornél Thomas legte sein Augenmerk am Pult des Orchesters der Ungarischen Staatsoper auf die besonders vielfältige und reiche Farbenpalette sowie die nuancierten Tempi in Heggies Musik. Regisseur András Almási-Tóth erzählte die Geschichte um den Mörder Joseph de Rocher in teils stilisierten, teils projizierten Szenenbildern von Norbert Tóth, Zsombor Czeglédi und Balázs Fügedi, während Krisztina Lisztopád für die authentischen Kostüme verantwortlich zeichnete. In der packenden Hinrichtungsszene, der die Angehörigen der Opfer beiwohnen, wird Joseph de Rocher auf ein Bett festgebunden und während er die Anwesenden noch um Verzeihung bittet, sieht man sein übergroßes Herz bis zum finalen Stillstand pochen… Die Choreographie stammte von Eszter Lázár. In dieser Produktion treten auch die beiden ermordeten blutverschmierten Opfer (Zsombor Bodó und Eszter Asbolt) immer wieder als schemenhafte Geister tanzend auf. Erst nachdem Joseph de Rocher seine Tat gestanden hat verschwinden sie wieder. Andrea Meláth stattete die Rolle der katholischen Ordensschwester Helen Prejean mit ihrem anschmiegsamen, warmen Mezzosopran aus, während Kammersänger Máté Sólyom-Nagy, Ensemblemitglied des Theaters Erfurth seit der Spielzeit 2002/03, den Todeskandidaten im Angola Staatsgefängnis, Joseph de Rocher, glatzköpfig mit Tattoos auf den Unterarmen und mit erdigem Bariton trotzig und verzweifelt mit wahrer Inbrunst sang. Mezzosopran Katalin Károlyi oblag die schwierige Rolle der Mutter des Mörders, Mrs. Patrick De Rocher, immer Nahe der Tränen in ihrem in der Höhe doch etwas schrillem Vortrag. Gabriella Fodor gefiel als Sister Rose, einer Mitarbeiterin und engen Freundin der Ordensschwester Helen, mit ihrem ausdrucksstarken Sopran. Tenor József Mukk und Bassbariton Antal Cseh ergänzten als maliziöser Father Grenville und allmächtiger Gefängnisdirektor George Benton. Tenor Péter Balczó und Sopran Andrea Brassói-Jőrös in den Rollen von Howard und Jade Boucher, den Eltern des ermordeten jungen Mannes, konnte man den Schmerz und die unsägliche Wut über den Verlust ihres Sohnes nachempfinden.

Bariton Csaba Szegedi und Sopran Beatrix Fodor, als Ehepaar Owen und Kitty Hart, beklagten wiederum den gewaltsamen Verlust ihrer Tochter. Die beiden Elternpaare hören vom Zuschauerraum aus der völlig gebrochenen Mutter des Mörders, Mrs. Patrick de Rocher, nicht ohne Zwischenrufe, zu. Tenor Gergely Ujvári und der Maltese Rafael Abebe-Ayele mit seinem Knabensopran waren als der ältere und der jüngere Halbbruder von Joseph de Rocher zu sehen. Die übrigen Rollen wurden gesanglich wie darstellerisch ausgezeichnet interpretiert von Bariton Róbert Rezsnyák (A Motor Cop / First prison guard), Bariton Máté Fülep (Second prison guard), Mezzosopran Xénia Sárközi (Sister Lilianne / Sister Catherine), Tenor János Vince sowie den vier Bässen Géza Zsigmond, Attila Gulyásik, Sándor Dobos und Attila Fenyvesi (Mithäftlinge 1-5) in orangefarbener Gefängniskluft. Aus dem Chor ergänzten noch Altistin Dorottya Győrffy und Sopran Eszter Magyari als First Mother und Mrs. Charlton sowie die Statistin Zsuzsanna Szeőke, die in der Rolle der Nurse eine Todesspritze am Arm des Delinquenten anbringt bevor auch sie sich zurückzieht. Der Chor der Ungarischen Staatsoper sowie der Kinderchor waren von Gábor Csiki und Nikolett Hajzer bestens einstudiert und sangen mit Mund-Nasen-Maske. Bei allen möglichen Einwänden, die man hinsichtlich der Musik erheben könnte, ist der Ungarischen Staatsoper mit dieser Inszenierung doch ein respektabler Wurf gelungen! Bravo!

Ein witziges Detail ereignete sich dann noch während des Verbeugungsprozederes. Der Dirigent wollte dabei, wie sonst üblich, die Hände seiner Nachbarn ergreifen, welche diese jedoch – wohl aus Angst vor einer möglichen Ansteckung – zurückzogen… „Zu Tode gefürchtet, ist auch gestorben!“

Harald Lacina, 1.3.2021

Fotocredits: Péter Rákossy