Budapest: „L’Incoronazione di Poppea“

13.3. (Premiere am 10.10.2020

Stream der Vorstellung vom 26.11.2020)

Um ein Jazzquintett musikalisch erweiterte Fassung

Ende der 70ger Jahre hatten Nikolaus Harnoncourt und der allzu früh verstorbene Jean Pierre Ponnelle in Zürich mit ihrer exemplarischen Interpretation der drei großen Bühnenwerke Monteverdis eine wahre Renaissance des Cremoneser Meisters eingeleitet. Der prunkvolle und festliche Stil der damaligen Inszenierungen ist in der heutigen Zeit längst überholt und man möchte als Zuschauer auch nicht die reale Welt eines Kaisers Nero (Kaiser von 54 bis 68) vorgesetzt bekommen. Das Problem jeder Aufführung der Poppea (italienisch: Mohnblume) besteht darin, dass die Oper lediglich in zwei kargen Abschriften aus Neapel und Venedig erhalten ist. Und Monteverdi dürfte auch nicht völlig allein an der Komposition gearbeitet haben, sondern, wie es auch in damaligen Malerwerkstätten üblich war, von seinen Schülern (unter ihnen Francesco Cavalli, Benedetto Ferrari und Francesco Scarati) unterstützt worden sein.

Das aber bedeutet für eine Aufführung, eine eigene Instrumentation und Harmonisierung zu schaffen. Und diese Aufgabe fiel dem jungen ungarischen Komponisten Máté Bellas (1985*) zu, dessen neue Orchestrierung die ursprünglichen Rezitative nicht veränderte. Von den seit 1904 entstandenen zwölf Rekonstruktionsversuchen von Monteverdis Partitur, griff Bellas auf die kritische Ausgabe des italienischen Komponisten und Musikwissenschaftlers Gian Francesco Malipiero (1882-1973) von 1931 zurück. Er komponierte für die Aufführung jedoch neue Ritornelle und ein Jazzquintett für Trompete, Tenorsaxophon, Kontrabass, Klavier und Schlagzeug, welches von Kornél Fakete-Kovács (1970*) arrangiert wurde. Das Ergebnis kann sich hören lassen! Dem Komponisten Bellas ist mit seiner „Poppea“ eine moderne und spannende Neuinterpretation gelungen. Dem Dirigenten Gergely Vajda wiederum gelang der Spagat, den Zusehenden diese beiden nur scheinbar konkurrierenden Musikensembles, nämlich das Orchester der Ungarischen Staatsoper sowie das Kornél Fekete-Kovács Quintett, gekonnt als eine musikalische Einheit vorzuführen. Das Libretto des italienischen Juristen, Librettisten und Dichters Giovanni Francesco Busenello (1598-1659) orientierte sich an den „Historien“ und „Annalen“ von Tacitus (um 58-um 120), den „Kaiserviten“ Suetons (70-122) sowie der „Römischen Geschichte“ von Cassius Dio (163-235).

Busenello zeigte die Ereignisse des kaiserlichen Aufstiegs nach den Regeln des klassischen Dramas an einem einzigen Tag. Die umstrittene Moral der Handlung und die einleitende Rivalität der drei allegorischen Charaktere Fortuna, Virtu und Amor werden am Ende der Oper nur durch die Liebe des Kaiserpaares zueinander gemildert. Lediglich eine Einblendung gegen Ende der Oper verrät, dass Nero in einem Wahnanfall seine zum zweiten Male schwangere Gattin in den Bauch trat, woran sie starb und er daraufhin seine Geliebte (Statilia Messalina) heiratete. Die dreiaktige Oper wurde für die Aufführung radikal gekürzt und in zwei Abschnitten von einer gesamten Spieldauer von knapp 130 Minuten geteilt. Regisseur András Almási-Tóth führte die zeitlose Geschichte um Liebe, Intrige und Eifersucht in den abstrakten Bühnenbildern von Lili Izsák vor. Krisztina Lisztopád kleidete die Mitwirkenden, mit Ausnahme der Allegorien, alle in heutige Kostüme. Zu Beginn der Oper sitzen Fortuna und Virtu auf zwei Kunststoffpodesten in gelb und blau, auf denen sich ein riesiger gelber Schwimmreifen in Form eines Seepferdchens bzw. ein blauer Sessel befinden. Auf dem roten Podest in der Mitte schläft (noch) Amor. Dieses wird später zum Liebesbett von Nero und Poppea. Ein Regenbogen links oben, senkrechte Leuchtstofföhren auf der rechten Seite und in der Mitte eine Unzahl an rosafarbenen Luftballons sollen die Welt dieser Allegorien versinnbildlichen.

Nach der Pause wird die Geschichte in einer völlig Neuordnung des Bühnenraumes weitererzählt. Der Orchestergraben verschwindet. Die Bühne zerfällt und driftet an die Seiten, während Auditorium und Orchester, nachdem die Stuhlreihen entfernt wurden, nach vorne rücken und in die Spielaktion eingebunden werden. Dort, wo sich vor der Pause die nach Art eines Amphitheaters ansteigenden Sitzreihen befanden, hat nun das Jazzquintett Platz genommen. In der Mitte der Bühne bleibt nur ein großes weißes Podest, auf welchem Nero am Ende der Aufführung Poppea krönt. Zunächst überreichen Libertino und Littore Nero die abgeschlagene Hand des toten Seneca, Alle Sänger bewegen sich auf den verstreuten Bühnenteilen und zwischen dem Publikum bis zum Ende der Oper umher. Bori Keszei, die einige Jahre auch an der Wiener Staatsoper in kleinen Rollen auftrat, war eine hinreißende und ehrgeizige Poppea, und, obwohl noch verheiratet, wild entschlossen, an der Seite ihres Geliebten Kaiserin zu werden. Ihr heller Sopran wurde beiden Gesichtern dieser faszinierenden Persönlichkeit, der skrupellosen Intrigantin wie der verführerischen Geliebten, gerecht. Tenor Tibor Szappanos war ein würdevoller Kaiser Nero, dem es bisweilen schwer fiel, seine Leidenschaften unter Kontrolle zu halten. Auch er ist noch verheiratet und muss sich erst von seiner ersten Gattin Octavia trennen, bevor er Poppaea Sabina ehelichen kann. Es fällt ihm schwer, seine Leidenschaften zu kontrollieren. Als verstoßene Gattin Octavia konnte sich Andrea Szántó mit ihrem warmen Mezzosopran einem kleinen Flirt mit Ottone, dem Geliebten von Poppea, nur schwer entziehen.

Krisztián Cser verkörperte diesen mit schauspielerischer Verve und wohligem Bass. Eszter Zemlényi gefiel als Drusilla, die den untreuen Ottone verzweifelt liebt, der seinerseits jedoch Octavia wie auch Poppea nachstellt, mit gut geführtem Sopran. Hausbassist Péter Fried war ein würdiger Philosoph Seneca und Erzieher Neros, der seinen Selbstmord anordnet und ihm Drogen übermitteln lässt. Weshalb dieser mit seinen Händen Tai-Chi-Bewegungen ausüben muss, lässt sich freilich nicht nachvollziehen. Sterbend wir er in eine Badewanne gelegt mit einem schwarzen Tuch bedeckt und mit dampfender Säure übergossen. Sopran Mária Farkasréti gefiel in der komischen Rolle der Nutrice, der Amme Octavias. Ein Wiedersehen gab es auch mit Mezzosopran Bernadett Wiedemann in der Rolle von Poppeas Vertrauter Arnalta, die mit ihrer Gestaltungskraft jeden ihrer Auftritte zum Erlebnis werden ließ. Die drei Allegorien wurden von Countertenor Zoltán Daragó als Amore, Sopran Diána Kiss als Fortuna und Mezzosopran Andrea Brassói-Jőrös als Virtu anmutig gespielt und dynamisch und mit Impetus gesungen. Die Musikstudenten Attila Varga-Tóth und Lőrinc Kósa durften ihren Tenor bzw Bariton noch als Hauptmann Liberto und als Gerichtsdiener Littore vorführen. In der kleinen Rolle des Lucano war noch Tenor Gergely Dargó zu erleben. In dieser Fassung wurden die Rollen des Pagen Valletto, des Hoffräuleins Damigella, sowie der Götter Pallas Athene. Merkur und Venus gestrichen. Ebenso wurde auf die zwei Tribunen, zwei Konsuln, zwei Soldaten und Senecas Angehörige verzichtet.

Alle Mitwirkenden sangen übrigens mit Mikroports. Der Vorteil gegenüber einer üblicher Weise 3 ¾ Stunden dauernden Aufführung dieser Fassung der Oper lag in der stärkeren Konzentration auf lediglich drei Paare in diesem Bäumchenwechseldichspiel unter Verzicht auf die Diener- und Götterebene, was Monteverdis Oper auch in der heutigen Zeit unter Einbeziehung einer moderat modernen musikalischen Aufbereitung auch für ein größeres Publikum anhörens- und ansehenswert macht. Ich hatte bei Betrachtung des Streams den Eindruck, dass im Theater nur eine kleine Anzahl von Zusehenden, geschuldet den strengen Corona Maßnahmen, die auch das Kulturleben in Budapest bestimmen, saß. Obwohl Monteverdi nicht gerade zu meinen Lieblingskomponisten zählt, muss ich gestehen, dass diese gekürzte und musikalisch aufbereitete Fassung auch mir gefiel.

Harald Lacina, 15.3.

Fotocopyright: János Kummer / Hungarian State Opera