Berlin: „Das Wunder der Heliane“

Zum Dritten !

Besuchte Premiere am 18.03.2018

Welch ein Werk! Welch eine Aufführung!

Es war ein Abend, der alles hielt, was man im Vorfeld aus Interviews mit Regisseur und Dirigent erahnen konnte. Es war die Wiedererweckung eines vergessenen Meisterwerks eines genialen Komponisten, der es verstand, mit großen Dimensionen umzugehen. Es ist eigentlich nicht vorstellbar, dass die Opernhäuser diese Oper ihrem Publikum bereits jahrzehntelang vorenthalten, von szenischen Aufführungen in Bielefeld (1988/89), in Kaiserslautern (2010) und Brünn (2011) und der Vlaamse Opera (Anfang der 1970er-Jahre und wieder 2017 sowie der konzertanten Aufführungen in London und 2017 in der Volksoper Wien und im Theater Freiburg mal abgesehen.

Nun hatte mit der Deutschen Oper Berlin endlich ein großes Haus auf Anregung von Regisseur Christoph Loy den Mut, das Werk szenisch zu geben. Das Einheitsbühnenbild von Johannes Leiacker mit holzgetäfelten Wänden, Tisch und Stuhl ist geschmackvoll und ebenso passend wie die Kostüme in schwarz. Der Fremde trägt einen grauen Anzug. Das Kleid der Heliane im ersten Akt muss als Unterstreichung ihrer Schönheit unbedingt sein. In Gent/Antwerpen musste Ausrine Stundyte irgend so ein zerlumptes Teil tragen. Absolut nicht passend.

Christoph Loy ist es perfekt gelungen, das Geschehen schlüssig darzustellen. Es ist ihm vor allem gelungen mit dem Vorurteil einer schwachen literarischen Vorlage und einem schwachen Libretto umzugehen. Man muss ihm hierfür dankbar sein. Es war alles klar nachzuvollziehen. Es ist viel zu oft der Fall, dass das Geschehen auf der Bühne dem gleichzeitigen Musikgenuss schadet. Das war überhaupt nicht der Fall. Musik und Handlung fügten sich gefühlvoll zusammen.

Erich Wolfgang Korngold schafft eine Klangvielfalt, erzeugt einen Klangrausch, dem man sich nicht entziehen kann. Seine Musik darf man durchaus mit anderen bekannteren Komponisten vergleichen. Für eine Erläuterung ist das sicher auch wichtig, aber eines ist sicher: Hört man seine Opern, seine Sinfonie, seine Konzertwerke, seine Lieder, eines seiner Streichquartette oder eine Klaviersonate. Es ist immer erkennbar, dass es ein Werk von Korngold ist. Seine Filmmusiken darf man durchaus miteinbeziehen. Auch sie sind echter Korngold. Im Grunde hat mein Vater in jeder Filmmusik eine Oper versteckt (Zitat von seinem Sohn George).

Orchester und Chor (Einstudierung Jeremy Bines) bewältigten ihre Riesenaufgabe mit Bravour. Zusammengehalten und geführt von einem Dirigenten (Marc Albrecht), der sich selbst als Korngoldianer bezeichnet. Man konnte spüren, dass Dirigent und Regisseur vom Stück absolut überzeugt sind. Es ist ihnen gelungen, ihre Überzeugung auf alle Mitwirkenden zu übertragen. Sicherlich können die äußerst anspruchsvollen Hauptpartien ein Grund sein, das Stück zu ignorieren. In Berlin haben alle Solisten ihre Rolle hundertprozentig ausgefüllt.

Sara Jakubiak hat in Frankfurt als Marietta/Marie (Die tote Stadt) bereits erfolgreich Korngold-Erfahrung gesammelt. Ihre Leistung an diesem Abend war überragende. Dass die Heliane besetzt werden kann, hat man letztes Jahr in der Volksoper Wien und im Theater Freiburg erleben können (Annemarie Kremer) und in Kaiserslautern und Brünn (jeweils Sally du Randt).

Spannender war die Besetzung der mit den Schwierigkeiten des „Tristan“ vergleichbaren Rolle des Fremden; Brian Jagde sang mit nie nachlassender Stimme den dritten Akt so stark wie den ersten. Man kann seine unglaubliche Leistung wohl nur richtig einordnen, wenn man die Mühen seiner wenigen Rollenvorgänger erlebt hat. Josef Wagner war als Herrscher in gleicher Weise gefordert. Besser kann man sich die Gestaltung der Rolle sowohl gesanglich als auch darstellerisch nicht vorstellen. Okka von der Damerau (Botin) und Derek Welton (Pförtner) machten ihre mittleren Partien durchaus fast zu Hauptpartien. Beeindruckend beide! Auch die weiteren Rollen waren perfekt besetzt. Da fällt es kaum ins Gewicht, dass es zu Beginn zwischen den seraphischen Stimmen und dem Orchester zu kleinen „Differenzen“ kam.

Das Wunder der Heliane verlangt aber auch dem Publikum sehr viel ab. Dieser Klangrausch mit so vielen musikalischen Informationen muss immerhin 3 Stunden lang verarbeitet werden.

Wenn man die Musik kennt, so ist das etwas einfacher. Das Premierenpublikum war vor Beginn erkennbar gespannt und erwartungsfroh, während der Aufführung sehr aufmerksam und am Ende der Vorstellung restlos begeistert. Viele waren danach der Überzeugung etwas Großartiges erlebt zu haben. Die Reaktion des Publikums auf „Das Wunder der Heliane“ müsste den Verantwortlichen der Opernhäuser doch aufzeigen, dass die Opernbesucher für Unbekanntes bereit sind, für Stücke abseits des sogenannten Standardrepertoires in schlüssigen und intelligenten Inszenierungen.

Ich denke, daß etwas mehr Werbung und Aufklärungsarbeit genügen würden, Interesse zu wecken. Dann ist das Risiko, mal in einer Spielzeit auf „Die Zauberflöte“ zu verzichten (Mozart und Sarastro mögen es mir verzeihen) geringer. Man sollte die wahrlich geduldigen Operngänger nicht unterschätzen!

Das Publikum will sicher nicht, wie Tags zuvor in der Deutschen Oper geschehen, eine Turandot und einen Calaf, die im Finale ihre Väter niedermetzeln und die Minister jagen, um ihnen Gleiches widerfahren zu lassen. Das Publikum hat diesen Unsinn in dieser Vorstellung geduldig ertragen, auch dank eines überragenden Kalaf (Stefano La Colla) und der Musik von Giacomo Puccini!

Rolf Mildenberger 21-3.2018