Berlin: „Frankenstein“

Uraufführung am 30.1.2018 in der Tischlerei

Teamwork

Ein Beispiel gelungener Teamarbeit bietet die Deutsche Oper Berlin: Nachdem auf der Hauptbühne bei Carmen die Flüchtlinge ausgeschlachtet wurden, verwendet man auf der Werkstattbühne in der ehemaligen Tischlerei ihre Organe zur Schaffung des Kunstmenschen oder besser Monsters, der Schöpfung des Gelehrten Frankenstein. Und so häufen sich denn auch auf der auf von drei Seiten von Zuschauerreihen umgebenen Bühne die blutigen Glieder und Eingeweide, und der Darstellung der Geschichte, wie sie Mary Shelley in ihrem Roman erzählt, dürfte nichts mehr im Wege stehen, werden doch auch im Programmheft zum Stück kluge und einleuchtende Gedanken geäußert.

Ein Riesenkessel wird herbeigeschafft, die Ingredienzien für den Kunstmenschen hineingeworfen, viel Dampf aus Trockeneis erzeugt und das arme Monster total vergessen, denn eigentlich scheint es den Schöpfern des „Musiktheaters“ erst einmal eher um die vorgetäuschte Kinderlosigkeit des Ehepaars Percy und Mary Shelley (ein Kind erreichte immerhin das Erwachsenenalter) zu gehen als um Wohl und Wehe des künstlichen Menschen ohne Gefährtin. So erleben die Zuschauer Zeugungsakt, Geburt und frühen Tod des leiblichen Kindes, weitere Zeugungsversuche, deren Ergebnislosigkeit die Gattin höhnisch mit dem Hin- und Herschwenken eines blutigen Tampons verkündet, und schließlich die Selbstbefruchtung des Mannes (das Programm spricht von „Gebärneid“), die zur Geburt eines ähnlich seltsamen, wenn auch nicht unsympathischen Wesens führt, wie es auch das Kind beider Gatten war. Reichlich unmotiviert sitzen am Bühnenrand zwei unförmige Stoffpuppen als Monster und Gefährtin. Die Tragik des Frankensteingeschöpfs, das unschuldig schuldig wird und sich schließlich selbst verbrennt, bleibt völlig außen vor. Ein Wesen mit Boris-Karloff-Maske taucht nur kurz und unmotiviert auf.

Angeregt wohl von der Tatsache, dass der Untertitel von Shelleys Roman sich auf Prometheus bezieht (am Schluss fällt ein eher Geier als Adler vom Himmel, um in die bereitwillig dargebotene Leber des neuen Menschenschöpfers zu hacken), zitiert man Goethes berühmte Ballade, was der beste Teil des Abends ist, des weiteren bedient man sich Rameaus („Fatal Amour“) und des Doppelgängers aus Heines/Schumanns „Dichterliebe“. Es gibt auch einen Komponisten, der diese Musikstücke bearbeitete (für ein Orchester, das laut Programmheft aus „verstimmtem Klavier, Harmonium, Celesta, Cello, Klarinette, Saxophon, Schlagzeug, singender Säge“ besteht und von Jens Holzkamp, mit Sir-Simon-Rattle-Frisur und wie seine Musiker im grünen Arztkittel geleitet) und Eigenes schuf auf Texte von Marius von Mayenburg, John Milton und Goethe schuf, nämlich Gordon Kampe.

Rezitiert wird außer aus dem Roman „Frankenstein“ aus den Tagebüchern von Mary und Percy Shelley u.a. Maximilian von Mayenburg, der auch Regie führt, und Paul Hübner zeichnen als Autoren des Werks. Das Ganze geht auf einen Kompositionsauftrag der Deutschen Oper zurück.

Zwei Sänger und zwei Schauspieler teilen sich die vielfältigen Aufgaben, sämtlich mit Miniport ausgestattet, was allmählich zum weitverbreiteten Ärgernis wird. Dabei hat Sandra Hamaoui einen durchaus tragfähigen, farbenreichen Sopran, Andrew Dickinson einen zwar nicht schönen, aber grellen und durchdringenden Tenor. Christopher Nell ist der zeugungssüchtige Percy gleich Frankenstein, der furchtbar schreien muss, was die Lunge und die Verstärkung hergeben, Anna Rot lässt als Mary sehr viel mehr Kultiviertheit in der Sprachbehandlung hören.

Das größte Ärgernis ist die, abgesehen von den Zitaten, mangelnde musikalische Substanz des Abends, die sich auch nicht durch das umtriebige Hin und Her zwischen der Geschichte des Frankenstein-Geschöpfes und der seiner literarischen Urheber kaschieren lässt.

Fotos Thomas Aurin

31.1.2018 Ingrid Wanja