Zweiter Premierenbericht vom 18.3.2018
Eine gelungene Wiederbelebung
Korngolds vierte Oper in drei Akten, „Das Wunder der Heliane“, op. 20, wurde am 7.10.1927 im Stadttheater Hamburg uraufgeführt. Vorausgegangen waren die zwei Operneinakter „Der Ring des Polykrates“ und „Violanta“ (beide 1916) sowie „Die tote Stadt“ (1920), die sich bislang als einzige Oper Korngolds im Repertoire behaupten konnte. Und das völlig zu Unrecht. Denn nur wenige Jahre später vollendete Korngold sein wohl expressivstes Werk, „Das Wunder der Heliane“.
Als Vorlage diente dem Librettisten Hans Müller-Einigen (1882-1950) das Mysterienspiel für Musik „Die Heilige“ von Hans Kaltneker (eigentlich Hans von Wallkampf 1895-1919), eines Hauptvertreters des österreichischen Expressionismus. Trotz seiner freien Umarbeitung erkennt man im Libretto dennoch die zentralen Themen Kaltenekers: Schuld und Sühne, Leid und Erlösung. Vielen Werken Kaltenekers begegnet der Vorwurf, mystisch-verkitscht zu sein, man muss aber bedenken, dass sie im Bewusstsein des frühen Todes des an Lungentuberkulose unheilsam Erkrankten entstanden und allesamt erst posthum veröffentlicht wurden. Korngolds Opern hatten zu ihrer Zeit sehr großen Erfolg und so galt der österreichische Komponist mährischer Herkunft – neben Richard Strauss – als meistgespielter Opernkomponist im deutschsprachigen Raum.
Die Handlung der Oper kurz skizziert: Der tyrannische Herrscher regiert sein Land äußerst grausam. Lieblosigkeit herrscht, bis ein Fremder Leben und Freude bringt. Er wird eingekerkert und zum Tode verurteilt. Heliane, die Königin und einzige Person dieser Oper, die einen Namen trägt, erscheint, um den Fremden zu trösten und die beiden verlieben sich ineinander. Auf die Bitte des Fremden hin, entkleidet sich Heliane und der unerwartet hinzutretende König klagt Heliane des Ehebruchs an. Er übergibt ihr einen Dolch, damit sie sich selbst töte. Der herbeigeholte Fremde aber küsst Heliane, entreißt ihr den Dolch und tötet sich. Der Herrscher verlangt nun von Heliane ein Gottesurteil, um die Wahrheit heraus zu finden: Sie soll den Toten erwecken. Entrückt sagt diese zu. An seiner Totenbahre, vor dem König, den Richtern und dem Volk bekennt Heliane nun ihre Liebe und der aufgehetzte Mob will sie verbrennen. Da plötzlich erhebt sich der Fremde, setzt der Macht des Tyrannen ein Ende und beide ziehen in das Reich der ewigen Liebe.
Die Inszenierung von Christof Loy, der die Handlung in das Uraufführungsjahr 1927 verlegte, scheut bewusst nicht davor zurück, dieses „Auferstehungswunder“ auf der Bühne tatsächlich geschehen zu lassen, ohne sich dem Vorwurf, pseudoesoterischen Kitsch zu gestalten, auszusetzen. Das Einheitsbühnenbild von Johannes Leiacker zeigt – wie stets – einen holzgetäfelten eher kargen Raum mit drei riesigen Fenstern zur Linken, zwei Türen im Hintergrund und zwei Eingänge zur Rechten. Die Zwischenvorhänge während der musikalisch äußerst ekstatischen Übergänge werden dazu genützt, diesen Raum mit einem breiten Tisch und ein- bis zwei Stühlen auszustaffieren. Für die Kostüme bevorzugte Barbara Drosihn in erster Linie die Farbe Schwarz und nur fallweise Weiß (für Heliane), um deren völlige Unschuld – körperlich wie mental – zu unterstreichen. Der Ursprung des Namens Heliane ist auf den griechischen Sonnengott Helios zurück zu führen.
In der Titelrolle überzeugte die US-amerikanische Sopranistin Sara Jakubiak mit einer expressiven Höhe und einem hellleuchtenden Timbre. Die Partie steht an Schwierigkeitsgrad der Kaiserin oder der Turandot in nichts nach und die Sängerin schaffte diese gewaltige Leistung mühelos. In sämtlichen Registern vermochte sie ausgewogen und dabei äußerst sinnlich, wortgenau und präzise zu singen. Und sie zog sich auch auf Wunsch des zum Tode verurteilten Fremden vor ihm nackt aus, worin man, folgt man Kaltnekers erotischer Theologie, eine Überwindung der Erbsünde sehen kann. Hatten doch Adam und Eva, nachdem sie vom Baum der Erkenntnis eine Frucht gegessen hatten, schamhaft ihre Blöße bedeckt. Und indem Heliane nun die Erbsünde, deren Folge ja der Tod allen Lebens war, gleichsam aufhebt, bereitet sie das Fundament, um auch den Fremden vom Tod aufzuwecken und schließlich die gemeinsame Rückkehr ins Paradies zu ermöglichen.
So kitschig ist das alles nicht, sondern ein hochinteressantes erotisch-theologisch gefärbtes Heilskonzept. Ihr zur Seite stand der US-amerikanische Tenor Brian Jagde als der Fremde, der seinen schwierigen Part, vergleichbar mit Tristan, souverän in der Kehle hatte. Der niederösterreichische Bassbariton Josef Wagner war ein eiskalter Herrscher, der sich mit Vehemenz dagegen stemmte, die Liebe in sein Reich einzulassen. Besessen vom Gedanken, von seiner Gattin betrogen worden zu sein, schreitet er zum Äußersten und verlangt von ihr, die bereits ein sterbenskrankes Kind aus dem Volk geheilt hatte, das mittelalterliche Gottesurteil der sogenannten „Bahrprobe“ (ius cruentationis), die auch im Nibelungenlied erwähnt und sogar bis ins 17. Jhd. noch angewendet wurde, zu vollziehen. Und er wird dabei noch durch den herbeigeeilten Mob bestärkt. Okka von der Damerau ergänzte dieses Trio perfekt als intrigante Botin, die die Königin verachtet und zutiefst hasst und insgeheim hofft, den König für sich gewinnen zu können. Ihr abgedunkelter Mezzosopran kam dabei perfekt zur Geltung! In kleineren aber ebenso wichtigen Rollen ragten stimmlich und darstellerisch besonders der blinde Schwertrichter Burkhard Ulrich und der Pförtner Derek Welton aus dem Ensemble heraus. Zum überwältigenden Erfolg des Abends trugen aber noch die sechs Richter Andrew Dickinson, Dean Murphy, Thomas Florio, Clemens Bieber, Philipp Jekal und Stephen Bronk, sowie Gideon Poppe als Der junge Mann bei. Sandra Hamaoui und Meechot Marrero erklangen als seraphische Stimmen aus dem Off. Ergänzt wurde das singende Ensemble noch von den engagiert spielenden Bodyguards des Königs Thomas Felletschin, Klaas Lewerenz, Gieorgij Puchalski, Alexander Rohde, Sebastian Schapitz und Florian Schmiemann.
Dirigent Marc Albrecht produzierte wahre Klangkaskaden und aufrauschende Wogen am Pult des Orchesters der Deutschen Oper Berlin. Die ausgeklügelt instrumentierte, farbenreiche Partitur, die jene der bekannteren „Toten Stadt“ noch bei weitem übertrifft, präsentierte er aus dem Graben in Vollendung. Die Musiksprache erinnert an den späten Strauss (Daphne) und Schreker. Gegen Ende der Oper meint man gar Tristananklänge herauszuhören. Ab dem zweiten Akt steigerte sich der musikalische Ausdruck noch durch Hinzutritt des von Jeremy Bines blendend einstudierten Chores der Deutschen Oper Berlin. Und die gesamte Inszenierung wurde noch von Olaf Winter mit sensibler Hand eingeleuchtet. Das Publikum zeigte sich begeistert und zahlreiche Bravorufe waren zu vernehmen. Allerdings auch ein einzelner Buh-Ruf für den Regisseur, der, meiner Meinung nach, völlig unberechtigt war. Wer diese Produktion versäumt hat, wird sie demnächst auf DVD nachstudieren können. Viel Vergnügen schon jetzt beim Erleben einer der aufregendsten Opern des 20. Jhd.
Harald Lacina, 19.1.2018