Berlin: „Das Wunder der Heliane“

Premiere am 18.3.2018

Die Wiederauferstehung des Genitivs

Was wollte uns die DO im vorab sagen, wenn sie auf dem Plakat zur Jahresvorschau eine Heliane mit ausgeprägtem Silberblick präsentierte? Und was soll es bedeuten, dass auf der Homepage des Hauses eben diese Heliane nur für Sekundenbruchteile, aber ganz und gar eindeutig die Augen rollt?

Mokiert sie sich darüber, dass sie neunzig Jahre nach ihrem ersten, wenig erfolgreichen Auftreten am Haus nun wieder hier erscheinen muss, und glaubt sie vielleicht selbst nicht daran, dass ihr nun ein Erfolg beschieden sein wird? Ist doch Berlin nach wie vor das ungeeignetste Pflaster für pseudoreligiösen Kitsch, wie ihn das Libretto leider präsentiert, dazu noch in einer altertümelnden Sprache voller Peinlichkeiten, besonders wenn diese im Verein mit einer modernen Optik auftritt.

Allerdings gibt es für den an der deutschen Sprache Interessierten ein Aha-Erlebnis, wenn er auf das einst häufige Vorkommen des Genitivs achtet. Die schwül-ekstatische Geschichte um die Erlösung nicht durch asketische Menschen-, sondern durch sinnenfrohe Geschlechterliebe, die man sich nach einem Wozzeck, einer Cavalleria eigentlich schwer vorstellen kann, passt zur mit Klangreizen prunkenden, streckenweise geradezu narkotisierenden Musik, die einen Effekt auf den anderen folgen lässt, den Rausch zum Dauerzustand macht und deshalb auch zu Ermüdungserscheinungen beim Hörer führen kann. Hier treibt die Gattung Oper das Artifizielle auf die Spitze und gerät damit in eine Sackgasse.

Immerhin hat es in den letzten Jahren nach einer Aufnahme mit Tomowa-Sintow, Welker und Gedda, aber dieser in einer kleineren Rolle, bei der Decca einige Rettungsversuche gegeben: 2007 in London, 2010 in Kaiserlautern mit einem Metropolis-Bühnenbild, 2017 in Wien an der Volksoper und in Freiburg konzertant. Und wenn im Programmheft eine Reihe von Heiland über Heliand zu Heliane konstruiert wird, müssten Feministinnen eigentlich jubeln.

Auch Christof Loy an der Deutschen Oper bezieht sich mit seinem Bühnenbildner Johannes Leiacker auf die Entstehungszeit mit einem Einheitsbühnenbild, eine holzgetäfelte Halle, karg mit Tisch und Stuhl möbliert und nichts von Saus und Braus verratend, die man sich bei einem totalitären Herrscher, auch wenn er dem Volk Lust und Liebe verbietet, vorstellen kann. Schwarz für Chor und Solisten sind die Kostüme von Barbara Drohsin, nur der Fremde trägt einen grauen und damit etwas lichteren Anzug, Heliane bei ihrem ersten Erscheinen ein bräutliches Gewand, später strenges Kostüm zum Pelzmantel und schließlich auch Schwarz, aber mit sündig schwarzem Unterrock. Genau wie Bühne und Kostüme auf höchstem handwerklichem und künstlerischem Niveau sind, ist die Personenregie, sei es die für die Solisten, sei es die für den Chor und für diesen ganz besonders, von nicht zu überbietender Schlüssigkeit, und man wünscht sich inständig, dass auch populäreren Werken öfter eine solche zuteil werden könnte, dass der Eindruck trügt, je beliebter eine Oper sei, desto gröber und entstellender gehe die Regie mit ihr um, und nur bei unbekannten, bisher vernachlässigten Werken wie Korngolds „Wunder der Heliane“ gebe es die Garantie für einen respektvollen Umgang mit ihnen.

Auch Marc Albrecht, seit Jahren Generalmusikdirektor an der Nederlandse Opera Amsterdam, merkt man das leidenschaftliche Engagement für das Werk Korngolds an, er zaubert mit dem Orchester der Deutschen Oper phantastische Klangbilder, findet auch, so in dem wunderbaren Vorspiel zum dritten Akt, sich dem Dauerrausch entziehende, nicht minder eindrucksvolle Töne. Eigenartig ist hier das mehrfache Auf- und Zuziehen des Vorhangs. Der Chor unter Jeremy Bines leistet einmal mehr Grandioses.

Durchweg und zurecht gefeiert wurden auch die Solisten. Die Amerikanerin Sara Jakubiak, vor allem in Frankfurt tätig, war eine optisch ideale Heliane, die sich mit schöner Selbstverständlichkeit nackt zeigen konnte, aus der Kunstfigur eine zur Anteilnahme provozierende Gestalt kreierte und mit gut tragender, höhensicherer, wenn auch etwas anonymer Stimme keine Mühe hatte, sich gegenüber dem Orchester zu behaupten. Ihr „Ich ging zu ihm“, der vokale Hit des Werks und von großen Sängerinnen der Vergangenheit gern gesungen, wurde auch in dieser Aufführung zum Höhepunkt des Abends. Zunächst für einen Bariton halten konnte man Brian Jagde, sonst eher im italienischen Fach zu Hause und zunehmend auch die tenoralen Qualitäten seiner robusten Stimme als Der Fremde mit strahlenden Spitzentönen zur Geltung bringend. Mit virilem, dunkel getöntem Bariton sang Josef Wagner den eifersüchtigen Gatten und gewann der Partie neben allem unsympathisch Gewalttätigem auch Anteilnahme heischende Züge der Verzweiflung ab. Sehr sonor und eigentlich auch des „Gemahls“ würdig klang Derek Welton als Pförtner, schütterer als von ihm gewohnt Burkhard Ulrich als blinder Schwertrichter. Okka von der Damerau machte mit dunkel glühendem Mezzosopran viel aus der Rolle der verstoßenen Botin, Gideon Poppe konnte sich in der Partie des jungen Mannes profilieren. Optisch in präziser Choreographie wie akustisch gut aufeinander abgestimmt, waren die Richter, unter ihnen Clemens Bieber und Stephen Bronk, ein Seh- wie Hörgenuss. Als die beiden seraphischen Stimmen verkündeten Sandra Hamaoui und Meechot Marraro zu Beginn und Schluss: „…und auferstehen werden, die dahin gesunken sind um Liebe.“

Wenn das Werk überhaupt zu retten ist, dann nur durch eine so grandiose Aufführung an einem so großen Haus, wie es die Deutsche Oper Berlin ist, und das Publikum dankte der Mühewaltung mit begeistertem Applaus.

Fotos Monika Rittershaus

19.3.2018 Ingrid Wanja