Berlin: „Der Schatzgräber“

Zweite Vorstellung am 6. Mai 2022 (Premiere am 1. Mai 2022)

Kalt lassende Perfektion

Das Allerschlimmste, Deportation und Ermordung durch die Nationalsozialisten blieb ihm erspart. Die Verfolgung durch die Nazis hatte der jüdische Komponist aus Österreich Franz Schreker durchaus erfahren müssen, hatte seine letzte Oper Christopherus, die 1932 in Freiburg uraufgeführt werden sollte, zurückziehen müssen. Posthum wurde er in die Künstlerschar aufgenommen, der „entarte Kunst“ zum Vorwurf gemacht wurde, seine Werke, die in der ersten Hälfte der Zwanziger häufiger aufgeführt wurden als die von Richard Strauss, verschwanden von den Spielplänen.

Heute ruht er in einem Ehrengrab auf dem Dahlemer Waldfriedhof, und inzwischen haben alle drei Berliner Opernhäuser ihm ihre Reverenz erwiesen. Bereits zu DDR-Zeiten führte die Staatsoper Der Schmied von Gent auf, nach der Wende Der ferne Klang in der Regie von Peter Mussbach. Die Komische Oper folgte mit Die Gezeichneten in der Regie von Calixto Bieito, und am 1.5. dieses Jahres gab es die Premiere von Der Schatzgräber an der Deutschen Oper in der Regie von Christof Loy. Mitte der 70er Jahre hatte der Versuch einer Renaissance mit und nach einem Kongress in Graz begonnen. Besondere Verdienste erwarb sich Kirsten Harms in ihrer Bielefelder Zeit mit der Inszenierung von Flammen, Christopherus und Das Spielwerk und die Prinzessin. Aber eine Schreker-Schwemme wie in den Zwanzigern, als Der Schatzgräber an über 50 Theatern aufgeführt wurde, sollte es nicht mehr geben. Damals hatte der Komponist, der abgesehen bei Flammen auch sein eigener Librettist war, den Nerv der Zeit getroffen mit seinen zumindest erotisch emanzipierten Frauen, beeinflusst von Freud und Hirschfeld und dem Taumel von Lebensgier und Verzweiflung nach einem verlorenen Weltkrieg. Komponiert wurde das Werk in den letzten Jahren des Kriegs, uraufgeführt in Frankfurt 1920. Jahrzehnte nach den ersten veristischen Opern kehrt die Gattung zum Märchen, allerdings zum desillusionierten und desillusionierenden, zurück.

Dass man den Abend in der Deutschen Oper mit Interesse verfolgt, aber danach nicht den Wunsch verspürt, sich ihm noch einmal auszusetzen, liegt an der Unvereinbarkeit der Ingredienzien, aus denen er zusammengesetzt ist. Da ist einmal die schwelgerische, in raffinierten Harmonien funkelnde Musik, die, abgesehen von den eingestreuten schlichteren Balladen, nicht von einem Höhepunkt zum anderen eilt, sondern nur aus solchen zu bestehen scheint. Dazu gibt es einen schrecklichen mittel-altertümelnden Text mit vielen Wagnerpeinlichkeiten wie „wonnig und hehr“ oder unzähligen „Horten“. Zu dem nun wieder passt absolut nicht die perfekt gemachte Bühne von Johannes Leiacker in beinahe faschistoider schwarzer Marmorpracht als Einheitsspielort voller mal höfisch gesitteter, mal hemmungslos kopulierender gemischter Militär- Zivilgesellschaft, in der zumindest Els, der so ziemlich alle angeblich verfallen sind, hoffnungslos untergeht in ihrem unschuldigen Servierschürzchen inmitten anderer Servicekräfte. Sogar die Königin, ein stumme Rolle, kann ihr in lasziver Hinfälligkeit, wie auch zu Kräften gekommen nach der Rückkehr des Schatzes und paarungswillig, die Show stehlen. Es scheint eine Gemeinsamkeit aller drei Loy-Inszenierungen an der Deutschen Oper zu sein, dass es hoch her geht auf der Bühne, dass sie dabei aber Kühle, wenn nicht Kälte ausstrahlt.

Nicht leicht haben es die Sänger, sich gegenüber dem Orchester zu behaupten, obwohl Marc Albrecht ihnen durchaus akustischen Raum zu schaffen versucht, überhaupt der denkbar beste Anwalt der Musik Schrekers zu sein scheint, ja es wohl ist. So sind der Els von Elisabet Strid spätestens im Epilog schöne Momente vergönnt, hat sie im Verlauf der über drei Stunden aber auch häufig damit zu kämpfen, sich gegen das Orchester durchzusetzen, was auf Kosten des Timbres geht. Von Textverständlichkeit kann dann kaum noch die Rede sein. Die garantiert am ehesten der Narr von Michael Lawrenz, nicht nur rein optisch ein Farbtupfer im Schwarz-Weißen mit seiner roten Narrenkappe, sondern die menschlichste Figur und die die prägnantesten Töne verbreitende dazu. Einen soliden Tenor führt der schwedische Sänger Daniel Johansson ins Feld, der auch das italienische Repertoire singt, aber doch eher dem Deutsch-Heldischen zuzuneigen scheint. Clemens Biebe r bewährt sich einmal mehr als Ensemblemitglied in der Partie des Kanzlers, tadellose Leistungen kommen auch von Thomas Johannes Mayer als Vogt, Patrick Cook als Albi und Tuomas Pursio als König. Doke Pauweis schwebt anmutig als Königin durch die Szene. Bei allen konnte man sich über die aufmerksame Personenregie freuen, die ihnen zuteil geworden war. Nur einen kurzen, aber eindrucksvollen Auftritt hat der Chor (Jeremy Bines).

„Die Tat allein macht stolz und frei“, heißt es an einer Stelle im Schatzgräber, und die Deutsche Oper kann stolz darauf sein, dieses Unternehmen gestemmt zu haben, ob die heute so vehement geforderte Nachhaltigkeit damit erreicht wird, bleibt abzuwarten.

Ingrid Wanja / 7. Mai 2022

Fotos: Monika Rittershaus