Berlin: Die Deutsche Oper Berlin geht raus

Zemlinsky zum Zweiten

Im Haus an der Bismarckstraße wird bis Ende Oktober der Orchestergraben renoviert und erweitert, weshalb der Spielbetrieb bis dahin an anderen Orten stattfindet. Auftakt dieser Serie auswärts war am 5. 9. 2022 ein Abend im Konzerthaus am Gendarmenmarkt, mit dem die Deutsche Oper einen fulminanten Saisonstart hinlegte. Zemlinskys Eine florentinische Tragödie kombinierte Dirigent Marc Albrecht mit zeitgenössischen Kompositionen von Korngold und Berg, die im ersten Teil des Konzertes erklangen.

Korngold bekam 1918 von der Wiener Volksbühne den Auftrag für eine Schauspielmusik zu Shakespeares „Viel Lärm um Nichts“, doch realisierte erst das Burgtheater eine Aufführung des Werkes in Schönbrunn. 1920 stellte der Komponist fünf Nummern zu einer Suite zusammen, die Albrecht an den Anfang des Programms stellte.

Die Ouvertüre bietet einen tänzerisch-munteren Auftakt, dem ein lebhaftes Thema folgt. „Mädchen im Brautgemach“ ist ein langsamer, melodienseliger Satz, „Holzapfel und Schlehwein“ ein gewichtig stampfender Marsch. Nach einem träumerischen Intermezzo endet die Suite mit einer „Hornpipe“ von ausgelassenem Tumult. Marc Albrecht konnte schon hier seine große Affinität zur Musik des beginnenden 20. Jahrhunderts ausstellen und die unterschiedlichen Stimmungen der einzelnen Sätze faszinierend einfangen.

Die Sieben frühe Lieder komponierte Berg zwischen 1904 und 1908, machte sich aber erst 1928 an deren Orchestrierung. Ungewöhnlich ist die Interpretation durch einen Mezzosopran, wie man sie im Konzert erlebte. Doch die Bekanntschaft mit der ungarischen Sängerin Dorottya Láng war ein Glücksfall. Die voluminöse, das Orchester mühelos dominierende Stimme mit reizvoll androgyner Tiefe betörte mit einer Fülle von Farben und Ausdrucksnuancen – traumverloren, trunken, rauschhaft, ekstatisch. Auch die exponierten Töne waren stets gerundet im Klang, schwebend und leuchtend. Albrecht ließ das Orchester der Deutschen Oper Berlin in vielen Facetten schillern und rauschen, doch war die Mezzosopranistin allen Klangballungen souverän gewachsen.

Zemlinskys Oper nach Oscar Wildes A Florentine Tragedy wurde 1917 in Stuttgart uraufgeführt. Das Hauptwerk des Konzertes war gleichfalls kompetent besetzt, erfordert es doch vor allem für die Partie des Kaufmanns Simone, der seine Frau Bianca nach Rückkehr von einer Reise mit einem Liebhaber überrascht, eine heldische Stimme von immensem Anspruch. Da gilt es, den gigantischen Klangblöcken des Orchesters standzuhalten und die Partie konditionell zu bewältigen. Mit Wolfgang Koch war ein Sänger aufgeboten, der mit gewaltigem Potential dem hohen Anspruch jederzeit gewachsen war. Der energische, körnige Bariton mit brutal-gefährlicher Tongebung entsprach der Figur perfekt. Sein despotisches Auftreten gegenüber Bianca war Furcht einflößend. AJ Glueckert als Liebhaber Guido wartete mit heroischem Tenor und makelloser Diktion auf. Die wenigen Einwürfe Biancas absolvierte Jennifer Holloway mit hellem Sopran, konnte am Schluss nach Guidos Ermordung durch ihren Mann gemeinsam mit ihm in der aufrauschenden Kantilene ihre Salome-Erfahrungen einbringen. Nach dem schrill dissonanten Auftakt der Ouvertüre setzte Albrecht den Wechsel der stürmischen und schwelgerischen Passagen effektvoll ein. Auch den Kontrast zwischen den riesigen Klangmassen und den flirrend-filigranen Gespinsten arbeitete er prägnant heraus und setzte mit der aufgepeitschten Spannung des beklemmend ausmusizierten Duells den Höhepunkt. Starker, lang anhaltender Beifall.

Bernd Hoppe, 9.9.22

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