27.11.2021
Es sollte so schön werden wie bereits sechsundzwanzigmal zuvor und nur einmal, 2020 wegen Corona, nicht: roter Teppich und Baldachin vor dem Eingang, Treppenhaus und Foyers voller kostbarer Blumengestecke, kleine Orchestergruppen zur Einstimmung spielend, eine Tombola, Herren- und Damenspenden, Champagner-, Bier- und Weinbars an allen Ecken und Enden, ein Galadiner und ein Ball und natürlich ein Konzert mit Sängerstars , Chor und Orchester der Deutschen Oper, alle Mitglieder wie die Zuschauer mit der roten Schleife der Aidshilfe am Revers. Und es wurde schön bei der 27. AIDS-Gala der Deutschen Oper , auch wenn anstelle des roten Teppichs so strenge wie freundlich-fähige Kontrolleure Impfstatus und Personalausweis prüften, nur der Bühnenrand mit Blumen geschmückt war, man sein bescheidenes Glas Wein selbst bezahlen musste und manches Gesicht oberhalb der ausnahmslos gewissenhaft getragenen Masken eigenartig fremd erschien.
Covid-19 hat fast vergessen lassen, dass es nach wie vor eine weitere Bedrohung der Menschheit mit der immer noch unheilbaren, wenn auch behandelbaren AIDS-Krankheit gibt, für die die Einnahmen aus den Eintrittskarten für die Gala bestimmt sind. Daran erinnerten die drei Redner vor Beginn des Konzerts: Intendant Dietmar Schwarz, Der Noch-Regierende Bürgermeister Michael Müller, neuerdings Abgeordneter im Deutschen Bundestag, und das Mitglied des Vorstands der Deutschen AIDS-Stiftung Kristel Degener.
Besonders an zwei von der Stiftung unterstützte Unternehmungen wurde erinnert: das Haus in der Reichenberger Straße in Berlin-Kreuzberg, das Kranke aufnimmt, und die Hilfe für Erkrankte in Südafrika.
Immer wieder gelingt es den Verantwortlichen für das Konzert, hochkarätige Künstler dazu zu bewegen, unentgeltlich in der Deutschen Oper aufzutreten. In diesem Jahr, in dem Reisen nicht ungefährlich ist, waren es vor allem Sänger, die im Monat Dezember, in dem nach langer Ring-Zeit wieder italienische Oper auf dem Programm steht, ohnehin in Berlin weilen. Zu ihnen gehört Alex Esposito, der sich längst vom Leporello zum Filippo im Don Carlo entwickelt hat, auch wenn sein Bassbariton noch kein wirklicher basso profondo sein dürfte. Mit der Arie des Mefistofele aus Boitos gleichnamiger Oper konnte er auch sein komisches Talent zur Geltung bringen einschließlich vorgetäuschter gellender Pfiffe. Ebenfalls in Don Carlo wird Nicole Car als Elisabetta zu erleben sein. In der Gala sang sie eine das Terzett „Soave sia il vento“ aus Così fan tutte dominierende Fiordiligi, deren „Come scoglio“ und war Teil der Barcarole aus Les Contes D’Hoffmann. Der Mozartdame ist sie wohl bereits entwachsen, auf Verdi und Puccini darf man gespannt sein.
Den beiden Sängern wird sich als Rodrigo im Don Carlo Etienne Dupuis zugesellen, der in der Aids-Gala die zweite Arie des Renato aus Un Ballo in Maschera mit düster-sonorem Bariton eher als Rache-, denn als Arie wehmütiger Erinnerung sang. Nicht in Berlin, aber in Dresden singt Riccardo Massi den Don Carlo, ein attraktiver italienischer Tenor, der an der Deutschen Oper mit seines Namensvetters letzter Arie und dem unvermeidlichen „Nessun dorma“ auf Fermatenseligkeit setzte. Einen eher im Belcanto angesiedelten Tenor präsentierte Edgardo Rocha mit einem emphatischen Gounod-Romeo, einer Zarzuela-Romanze von Pablo Sorozábal und im Sextett aus Lucia di Lammermoor. Erst so richtig auftrumpfen konnte der Mezzosopran Rihab Chaieb mit Dalilas „Mon coeur“. Zahlreicher vertreten waren die Soprane mit Nina Minasyan mit rasanten Koloraturen für Gilda und das Lucia-Sextett anführend, mit Aida Garifullina als mädchenhafte Norma und umwerfend in der Zarzuela, Asmik Grigorian, einen Schritt weiter ins Dramatische gehend, erfreute mit einer reichen Puccinistimme für Manon Lescaut und einer berührenden Rusalka.
Der Chor der Deutschen Oper bewies, dass er bereits fleißig Verdis Sizilianische Vesper auf Französisch probt, dem Orchester war das einzige deutsche Stück, das Vorspiel zum 3. Akt zu Lohengrin vorbehalten. Am Dirigentenpult stand die Kanadierin Keri-Lynn Wilson, die nicht nur modisch mit einem Frackkleid mit Cutouts an den Schultern, sondern auch mit einer fürsorglichen, umsichtigen Begleitung für die Sänger auffiel. Die Moderation besorgte wieder Max Raabe, der inzwischen in die Schuhe des unvergessenen Loriot hineingewachsen ist und nur noch selten, so mit einem Amelia mit der Betonung auf „li“ und einer Verortung von „Eri tu“ nach der Schlussarie Riccardos zeigte, dass er nicht ein so großer Opernkenner wie das verehrte Vorbild ist.
Hoffen wir, dass die 28. Aids-Gala 2022 genauso schön wird, aber unter günstigeren Umständen stattfinden kann.
Fotos Marcus Lieberenez
18.11.2021 Ingrid Wanja