Weimar: „Der Rosenkavalier“

Premiere am 31. Oktober 2014

Octavian von der Peepshow zum alten Pensionisten

Die Idee zum Rosenkavalier entstand im Februar 1909 in Weimar. In einem Brief skizzierte Hugo von Hofmannsthal Richard Strauss seine ersten Ideen dazu. Rechtzeitig zum 150. Geburtstag des Komponisten (der hier übrigens 1889 Kapellmeister wurde) brachte das Deutsche Nationaltheater Weimar eine Neufassung dieses Publikumsrenners auf die Bühne. Vera Nemirova, in Wien durch ihre wenig geglückten Inszenierungen von Pique Dame und Macbeth einschlägig bekannt, führte dabei Regie. Und sie bringt uns (man will schon fast sagen natürlich) von der Ära Maria Theresias in eine unbestimmte Zeit: Die Kostüme von Tom Busch, der auch für das Bühnenbild verantwortlich zeichnet, schwanken zwischen ausgeflipptem Heute (dazu passen auch die sensationslüsternen Protagonisten, die mit Handys immer wieder Schnappschüsse von kompromittierenden Szenen machen) und dem Fin de Siècle, wie sich etwa am Reitrock und den Breeches von Octavian erkennen lässt.

Nach Öffnen des Vorhanges sieht man den Haushofmeister der Feldmarschallin onanierend vor einem Peep-Show-Fenster die Liebesnacht seiner Chefin mit Octavian beobachten. Die eintreffende “gewöhnliche Bagagi” stört ihn bei seinen erotischen Beobachtungen und erhält von ihm die Formulare für die Vorsprache bei der Fürstin zum Ausfüllen, das Volk darf nun auch den Seitensprung durch die Glasscheiben mitbeobachten. Die Drehbühne gibt nun den Blick frei auf das Liebespaar, ein 360-Grad-Bühnenprospekt (mehr oder weniger geschmackvoll tapeziert) zieht sich durch alle drei Akte. Na, das kann was werden, ein Rosenkavalier in der Peep-Show! Man ist auf Schlimmes gefasst. Aber Nemirova geht bald die Luft für Verrücktheiten aus. Hin und wieder erinnern ein paar Szenen an die “Grundschule des Regietheaters”, wie etwa eine kofferpackende Feldmarschallin am Ende von Akt 1 oder das “heftige Fummeln” von Faninal mit der Leitmetzerin beim Warten auf das Eintreffen des Rosenkavaliers. Dass die beiden etwas miteinander haben ist ja durchaus nicht abwegig, dass aber der neureiche Wiener ausgerechnet zu den Worten “Er kommt, er kommt” seinen Orgasmus hat, lässt die Szene allzu sehr in die Nähe der Schmiere abrutschen.

Viel Lärm und Bewegung enthalten die Ereignisse im Hause Faninals, bei denen aber die Führung des Chores (Leitung Markus Oppeneiger) und der Statisterie zu wünschen übrig ließ. Hier wäre ordentlicher zu proben gewesen. Dem standen aber durchaus witzige und interessante Details gegenüber, so etwa die Figur des Leopold (Julius Kuhn), dem anscheinend das unmögliche Auftreten und Gehabe seines Papas äußerst peinlich ist und der lieber heute als morgen die Seiten wechseln möchte. Sein unbemerktes Einschleichen und Beobachten der Fürstin in Akt 1 deutet an, dass er wohl gerne deren künftiger Liebhaber sein möchte. Auch die Federbetten für den Baron Ochs auf Lerchenau, die auf der Festtafel im Faninal’schen Haus drapiert werden oder das Verhalten der beiden behandelnden Ärzte, die sich ausgiebig an der Bar bedienen, zeigt von Humor und bestätigt die Bezeichnung des Rosenkavaliers als “Komödie für Musik in drei Aufzügen”. Wie ja Richard Strauss zu Hofmannsthal selbst gesagt hatte: “Vergessen Sie nicht, dass das Publikum auch lachen sollte! Lachen, nicht lächeln und schmunzeln!” Das gelang Nemirova einige Male wirklich ausgezeichnet.

Beim dritten Akt im Beisl scheitert die Regisseurin aber komplett. Zugegeben die “Geisterbahnszenen” sind nicht gerade einfach auf die Bühne zu bringen und gerade hier bot auch das Bühnenbild nicht die besten Voraussetzungen! Die eigentliche Personenführung gelang dem Regieteam ausgezeichnet, perfekt umgesetzt wurde sie auch von den Sängern. Und das ureigentliche Themas des Rosenkavaliers, die Zeit, wird im Finale unkonventionell beleuchtet: Nachdem die Feldmarschallin abgetreten ist, ziehen sich Sophie und Octavian typische Hauswesten von Pensionisten über, setzen sich auf ein Sofa, lehnen sich aneinander und helfen sich gegenseitig die Fernbedienung fürs TV-Gerät zu bedienen – bewegend! Ein wirklich schöner Moment, besonders nach dem immer wieder zu Tränen rührenden Terzett der drei Frauenstimmen. Dass der Mohr sich am Ende als Valzacchi herausstellt, der sich mit dem weißen Taschentuch die schwarze Farbe abwischt, das erschloss sich dann aber nicht wirklich.

Musikalisch wurde man als Gast aus Wien erstaunlich verwöhnt. Stefan Solyom, der schwedische Chefdirigent der Weimarer Staatskapelle, fand meist den richtigen Ton, griff manchmal recht forsch zu und ließ die Dialoge nur so dahinpurzeln, was den Sängern einiges abverlangte, aber bravourös gemeistert wurde. Beim Finalterzett setzte er leider zu sehr auf Dramatik und Dynamik, da wären feinere Töne wünschenswert gewesen. Und auch die Staatskapelle Weimar präsentierte sich in Hochform, einzig das manchmal zu radikale Hervortreten der Bläser hätte nicht sein müssen, da können die Akzente auch subtiler kommen.

Der Star des Abends war für mich Katarina Giotas, die einen draufgängerischen, virilen Octavian sang: Stets in jugendlichem Übermut forcierend, alle Verwandlungsszenen auf offener Bühne souverän meisternd, ihre Stimme blüht in der Höhe richtig auf und hat dennoch das wunderbare Mezzo-Timbre, das in dieser Rolle gefordert ist. Die Schwedin fand in der Südafrikanerin Johanni van Ostrum einen kongenialen Widerpart als Feldmarschallin. Ihr Monolog im ersten Akt braucht sich vor berühmteren Vorgängerinnen nicht zu verstecken und wie sie mit sanfter Wehmut am Ende mit Faninal über die “jungen Leut” resümiert, das berührte ungemein. Die Österreicherin Elisabeth Wimmer hatte eine sehr emanzipierte Sophie zu gestalten und erfüllte diese Aufgabe perfekt. Fast zu perfekt, jede Geste saß wie gefordert, manchmal würde man sich wünschen, die Sängerin würde sich mehr Freiraum von den Regieanweisungen nehmen. Ihr Sopran scheint auch schon leicht über diese Rolle hinaus gewachsen zu sein, denn die federnde Leichtigkeit fehlt ihr manchmal schon. Es wäre schön sie in “gewichtigeren” Partien zu sehen, vielleicht in ihrer Heimat? Denn ihr Vertrag in Weimar endet im Sommer.

Dirk Aleschus gab sein Rollendebüt als Baron Ochs auf Lerchenau, und der gebürtige Neubrandenburger, der schon bei den Salzburger Festspielen Cover für Günther Groissböck war, tat dies mit Bravour. Der Zweimeter-Mann stellte die Idealbesetzung für den lüsternen Kerl dar, der jedem Rock nachläuft. Man merkt ihm auch an, wie sehr er das szenische Spiel liebt. Am Premierentag hemmte ihn leider eine Erkältung etwas, und es ist das ewige Problem von nicht so arrivierten Sängern, sich dann ansagen zu lassen oder abzusagen. Aber Aleschus meisterte seine Aufgabe dennoch hervorragend, der Schüler von Kurt Moll outrierte auch nie, obwohl allein das Kostüm und die Maske ihn an die Grenze zur Parodie brachten. Die Lacher, die Strauss ja forderte, hatte er jedenfalls immer auf seiner Seite.

Ein gewichtiger Herr von Faninal mit Ähnlichkeiten zu (dem in Thüringen sicherlich nicht bekannten) Hannes Kartnig war Uwe Schenker-Primus, der in absoluter Textdeutlichkeit den neureichen Schnösel perfekt umsetzte. Heike Porsteins Jungfer Marianne Leitmetzerin bewies, dass sie alles in der Welt ist, nur keine Jungfer. Schrill und witzig machte sie aus dieser Rolle eine kleine Charakterstudie! Vom Intrigantenpaar Valzacchi (Jörn Eichler) und Annina (Sayaka Shigeshima) ließ eher letztgenannte Aufhorchen. Witzig kokettiert sie mit dem Baron, ihr Mezzo hat durchaus Potenzial. Andreas Koch war sowohl als Polizeikommissar als auch als Notar pointiert unterwegs, Jens Schiedeke gefiel als Haushofmeister bei der Feldmarschallin besser als sein Faninal’sches Pendant Jong-Kwueol Lee. Klaus Wegener war der Wirt und mit Jaesig Lee hörte man einen Sänger, wie er sein soll: mit Schmelz und strahlender Höhe.

Alles in allem eine gelungene Produktion, hätte die Regisseurin auf so manchen “Regietheaterunfug” verzichtet, könnte man von einem rauschenden Erfolg berichten. Amüsiert hat sich das Publikum aber auf alle Fälle, ein paar schüchterne Buhs gegen das Regieteam taten dem elfminütigen Applaus keinen Abbruch.

Ernst Kopica 1.11.14
Fotos: Vincent Leifer/Nationaltheater Weimar