Weimar: „Lohengrin“

Premiere: 7.9. 2013

Die Frau als „Erlöserin“

Jeder einmal muss die Frau als „Erlöserin“ herhalten – auch, wenn sie am Ende nicht „entseelt zu Boden sinkt“, sondern desillusioniert abgeht. An diesem Abend heißt die „Erlöserin“ Johanni van Oostrum. Wäre sie nicht gewesen, wäre die vom Weimarer Publikum lautstark umjubelte Premiere des „Lohengrin“ vokal nicht ganz so glanzvoll verlaufen. Diesen Namen sollte man sich merken – denn was ansonsten in Weimar geboten wurde, war, gemessen an der Bedeutung einer Weimarer „Lohengrin“-Aufführung (mit der sie sich in die lange Reihe der Neuinszenierungen seit der 1850er-Premiere stellt), weit weniger glanzvoll. Allein Johanni van Oostrum verbürgte unter den Solisten die völlige stimmliche Dignität einer szenisch problematischen, musikalisch unausgewogenen, wenn auch nicht gerade „schlechten“ Aufführung, die bewies, wie schwierig es selbst für ein Staatstheater ist, Wagner adäquat zu besetzen; das Orchester spielt allerdings unter Stefan Solyom genau, unverwaschen, poetisch und dramatisch auf.

Der Lohengrin des Heiko Börner aber ist, was zur trivialisierenden Inszenierung passt, kein strahlender Tenor, sondern quasi ein Mann aus dem mittleren Stimmvolk, der das Beste aus einer hoffnungslosen Situation macht. Er macht seine Sache sozusagen „anständig“, bevor er die Gralserzählung mit jener Energie bringt, die fast vergessen lässt, dass er zwei Akte lang mit leicht verschwommener Artikulation einen baritonalen Lohengrin singt, der in den Höhen stets ins Lagrimoso ausbricht. Nicht jedem mag der leicht weinerliche Ton gefallen, den man nicht mit „deutschem Belcanto“ verwechseln sollte.

Insbesondere umjubelt, geradezu umschrieen wurde Andrea Baker, deren Ortrud zwar zu gewaltigen Ausbrüchen fähig war, aber wer schrille, diskantierende Lautstärke mit dramatischem Ausdruck verwechselt, verpasste glücklicherweise die Chance, die unangenehm überanstrengten Spitzentöne wahrzunehmen. Wer Björn Waag als Telramund hörte und aus früheren Aufführungen in Erinnerung hatte, musste erkennen, dass der einstige glänzende Mozart- und Wagnersänger (der etwa in den 90er Jahren einen unvergesslichen Beckmesser sang) längst nicht mehr so elegant und lyrisch hell klingt wie damals. Nun ist Telramund natürlich kein Guglielmo, aber erst im zweiten Akt gelang es Waag, das sogenannte Charakteristische mit dem Stimmschönen zu verbinden – allein auch dies passte zu einer Inszenierung, die dem Telramund eine sonderbar zwielichtige Rolle zuweist, in der er der vergeblich Triumphierende bleibt. Vortrefflich: Uwe Schenker-Primus‘ Heerrufer, und dies auch, bei aller Problematik der Szene, als Spieler. Gut auch der jugendliche Daeyoung Kim als König.

Zur Regie Tobias Kratzers wäre nur zu sagen, dass sie den „Lohengrin“ als misslingendes Spiel im Spiel anlegt, in dem den dunklen Gestalten die Rollen der funktionslosen Spielverderber zugewiesen werden. Im fast leeren Einheitsraum, in dem man auf ein Wunder wartet, das einen von der Lieblosigkeit erlöst, tut man so, als könnte man sich das Wunder, den charismatischen „Führer“ herbeispielen. Dagegen wäre nichts zu sagen, würde man dieses Lohengrinspiel mit eingebautem V-Effekt konsequent durchführen. Stattdessen hüpft man vom ridikülen Kostümtheater á la 1850 zu pseudotragischen Einbrüchen, die weder innerhalb noch außerhalb der Spielsituation irgendeine Logik besitzen – nicht einmal die Logik des absurden Theaters. Hier wird zu lange nichts ernst genommen, hier wird die Tragödie zugunsten einer „aufgeklärten“ Sicht auf die Oper banalisiert. Umdeutungen müssen absurd bleiben: wenn Elsa als „Lüfte“ die Gegner Ortrud und Telramund ansingt, befindet man sich im Narrenhaus. Gelind charmant, aber immer noch dramaturgisch seltsam, wurde das „Brautgemach“ eingeführt: mit einer Projektion „Brautgemach“ und einem „Volk“, das dem Ehekrieg zunächst paarweise schmusend, dann verstört zuschaut.

Verstand jemand, wieso das Spiel plötzlich in eine Art von Wirklichkeit hineindriftete? Wieso die als ausgesprochen kokett eingeführte Elsa, die das Spiel als Möglichkeit der Selbstdarstellung nutzte, die Sache plötzlich ernst nimmt? Daß Hoffnung enttäuscht werden kann, wie Ernst Bloch im „Prinzip Hoffnung“ schrieb, daß ein „Wunder“ eine absolute Rarität ist, erklärt nicht die Absurditäten der willkürlich erscheinenden Umbrüche dieser inkonsistenten Regiearbeit.

Für den Rezensenten gab es nur eine Szene, die ihn wirklich ergriff: nachdem Telramund den Knaben, der sich als „Gottfried“ mit Schwanflügeln versah, im zweiten Akt in eine der Kostümkisten gesteckt hatte, wurde der Kleine bei Lohengrins Abschied wieder herausgeholt: ein toter Junge, der zu den Worten „Gern hätt ich dir die letzte Fahrt erspart“ und dem Schwanmotiv, das ein klassisches Schmerzmotiv ist, den schmerzlichsten Effekt macht. Endlich waren, eher zufällig, Szene und Musik deckungsgleich geworden – bevor der Effekt durch die überraschende „Auferstehung“ des falschen Gottfried zunichte gemacht wurde. Der Rest war eine fast leere Bühne – übrig blieb eben jener Knabe, die Arme mechanisch bewegend.

Das ist zu wenig für Wagner, auch zu wenig für einen Weimarer „Lohengrin“, in dem das Namensfrageverbot keine Rolle mehr spielt. Den Namen Johanni van Oostrum aber sollte man sich, falls man ihn noch nicht kannte, unbedingt merken.

Frank Piontek
Bilder: Nationaltheater Weimar

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