Düsseldorf: „Parsifal“, Richard Wagner

Wenn die Deutsche Oper am Rhein den „Parsifal“ als „spektakulär vertontes Gralsepos“ ankündigt, dann legt sie selbst schon den Link, wo der Abend seine Stärken hat. Das Düsseldorfer Haus präsentiert Wagners letzte Oper auf musikalische höchstem Niveau und in einer Inszenierung, die den Agierenden zwar viel Raum lässt und die Musik atmen lässt, die aber letztlich wenig zu sagen hat. Michael Thalheimer hat sich des Werkes an der Rheinoper angenommen und inszeniert es in einer kühlen, schnörkellosen Welt. Henrik Ahr hat ihm hierfür einen aseptischen nüchternen Raum gebaut, der einfach wirkt, aber dennoch mit einigen Raffinessen aufzuwarten weiß und gerade durch das bemerkenswerte Lichtdesign von Stefan Bolliger Spannung und Dynamik erfährt. Thalheimer reduziert, er schwelgt nicht in der Opulenz der Musik und das hat sicherlich Vorteile, bringt aber auch Probleme mit sich.

(c) Sandra Then

Bei Thalheimer ist Parsifal ein Suchender, der seine eigene Welt nicht zu verstehen scheint. Wenn der tumbe Tor während des gesamten Vorspiels nur ein Mal von hinten nach vorne über die Bühne kommt, zeigt er spielerisch doch das ganze gedankliche Spektrum eines unsicheren Menschen, eines Mannes, der glaubt seine Welt zu kennen und sie doch neu erfährt. Dieser Gedanke ist so gut, wie er zeitlos ist. Hier erzählt sich scheinbar schon die Lebensaufgabe des Helden und lässt gespannt sein, wie er sie umsetzen wird. So scheint es auch im ersten Auftritt des Parsifal eher so, als wären die Gralsritter in seine (gedankliche) Welt gekommen, als denn er in die ihre. Parsifal bleibt ruhig und nahezu teilnahmslos und zeigt sich von den blutverschmierten Gestalten in seiner Umgebung wenig beeindruckt.

 Was an diesem Abend omnipräsent ist, ist das natürlich werkimmanente Thema des Blutes. Die Gralsritter sind alle blutbefleckt, Gurnemanz vor allem, ebenso Amfortas, dessen Wunde scheinbar alle besudelt hat. Mit diesem Gedanken kann man sich freilich anfreunden, letztlich bleibt er aber nur eine bildlich offensive Auslegung, die im Laufe des Abends wirklich zu Tode geritten wird, wenn im 3. Akt direkt eimerweise mit dem Kunstblut gearbeitet wird und Kundry in szenischer Verlegenheitslösung mit Blut die Wände beschriftet. Ansonsten bleibt die Regie oft im Statischen, im Nichtssagenden, die Protagonisten stehen viel an der Rampe und da, wo andere Inszenierungen vielleicht noch etwas hinzuerfinden, eine Geschichte erzählen, nimmt Thalheimer eher etwas weg. Prägnant wird dies, wenn Titurel nur als Stimme im Kopf von Amfortas existiert, was gut gedacht ist, aber Amfortas eben auch zwingt genau das zu spielen und das wird zur Mammutaufgabe, gerade im dritten Akt, wenn der Trauerzug für Titurel einzig über Amfortas‘ Emotionen erzählt werden soll. So nimmt die Regie sich immer wieder selbst den Stoff, mit dem sie sich über die teils endlosen orchestralen Zwischenspiele retten könnte und natürlich freut man sich als Opernfreund auch mal darüber wenn kein übertriebener Aktionismus die Musik stört, aber leider zeigt die Regie auch die Längen des Werkes, in dem sie sich eben allzu oft in Bilder flüchtet, deren Statik erdrückend ist.

 Was der Regie jedoch exzellent gelingt sind die Szenen, die wirkliche Dramatik haben, wie etwa die Szene zwischen Kundry und Parsifal im zweiten Akt. Leider gibt es im Parsifal von diesen Szenen gar nicht so viele. Dennoch: Hier zeigt sich eine gnadenlose Personenregie, die kurz vergessen lässt, dass es sich um ein „Bühnenweihfestspiel“ handelt, da hier unerwartet der Thriller durchkommt. Kundry, die als einzige ein modernes, heutiges Wesen zu sein scheint, gibt Parsifal nicht nur den erleuchtenden Kuss, nein, sie wird zur Komplizin und die Idee, dass Kundry am Ende des zweiten Aktes Klingsor erschießt, kommt zwar etwas unvermittelt, funktioniert aber und erspart allen Beteiligten letztlich eine der kniffligsten Szenen der Theatergeschichte, die allzu oft mit Kichern im Publikum quittiert wird, nämlich die in der Parsifal irgendwie an den im Flug befindlichen Speer gelangen muss. Hier hebt er ihn einfach auf. So kann es gehen.

(c) Andreas Etter

Die musikalische Seite in Düsseldorf ist sicherlich die, mit der sich der Abend seine Meriten verdient. Axel Kober am Pult der Düsseldorfer Symphoniker zeigt einmal mehr, was für ein veritabler Wagner-Dirigent er ist. Er wählt die Tempi durch die Bank weg zügig, was gerade im Zusammenspiel mit dem exzellent singenden Chor zu winzigen Wacklern führt, aber das ist auch schon alles, was sich kritisieren lässt. Das Orchester präsentiert sich makellos, sauber, ausgewogen, trumpft in den richtigen Moment auf, um an anderer Stelle mit kammermusikalischer Delikatesse Wagners Musik zum Leuchten zu bringen. Und gerade sich nicht auf das Salbungsvolle, das Betuliche und Pathetische der Musik zu setzen tut dem Abend sehr gut. Das Finale des ersten Aktes dirigiert Kober bemerkenswert zügig und das ist interessant, denn das Fortjagen Parsifals bekommt nach der Kontemplativität der vorherigen Gralsszene eine logische Dynamik und so lassen sich an diesem Abend noch weitere Szenen finden, die auffällig, ja ungewohnt frisch klingen und so einen bemerkenswerten interpretatorischen Ansatz erkennen lassen. Aber auch bei den Sängern zeigt sich eine homogene, exzellent singende Besetzung, die szenisch, wie musikalische zu überzeugen weiß.

(c) Sandra Then

In der Titelpartie zeigt der schwedische Tenor Daniel Frank, dass er auf dem Weg ist, einer der gefragten Wagner-Tenöre dieser Tage zu werden. Bleibt er im ersten Akt noch etwas verhalten, so trumpft er im zweiten und dritten Akt mit sattem Tenorklang auf, der in allen Lagen eine wohlige und weiche Färbung aufweist. Nie obsiegt das zu Heldenhafte, nie die Schärfe; gerade für diese Partie eine Idealbesetzung. Ihm zur Seite in der Partie der Kundry steht Sarah Ferede, die das Teufelsweib Kundry als frechen, ja fast unbeherrschten und eigensinnigen Vamp spielt, die stimmlich alle Facetten der Partie auszuloten weiß und in der Tiefe satt und wohltönend ist. Hans-Peter König ist ein absolut solider Gurnemanz. Mit großer Präsenz und bemerkenswerter Textverständlichkeit trumpft er gerade im ersten Akt auf. Michael Nagy als Amfortas fügt sich in das makellose Sängerensemble ein und zeigt den Amfortas leidend, zerrissen und verzweifelt. Gerade diese schauspielerische Tiefe der Figur ist neben der tadellosen musikalischen Interpretation berührend. Vielleicht die Überraschung des Abends ist Joachim Goltz als Klingsor, der mit einer strahlenden Stimme der Partie die Düsternis etwas nimmt, aber ihr dafür das Dämonische, das Widerspenstige zu geben weiß. Goltz klingt exzellent und zeigt, dass Wagner und gerade diese Partie ihm wirklich liegen.

Die weiteren kleinen Partien des Abends sind durch die Bank weg absolut solide besetzt und runden die musikalische Seite vortrefflich ab.

(c) Sandra Then

So jubelt das Düsseldorfer Haus an diesem Abend zurecht über einen durchaus gelungenen Parsifal. Auch wenn die Regie den Weg der Reduktion wählt, sich nicht in Opulenz oder übermäßiger Interpretation ergeht, so weiß sie doch eine klare Bildsprache zu wählen, die gerade in den dramatischen Moment zu punkten weiß, sich aber immer wieder von der Musik das Zepter aus der Hand nehmen lässt und nicht mehr als bloße Tableaus zu liefern weiß. Auf der einen Seite hat das Längen, auf der anderen Seite gibt die Regie der Musik viel Raum und das haben sich die Musizierenden auch redlich verdient, denn hier liegen die Stärken des Abends: Ein musikalisch erstklassiger Parsifal mit einem Sängerensemble der Spitzenklasse und einem Dirigat, das dem „Bühnenweihfestspiel“ nicht die Weihe nimmt, es aber gründlich entstaubt und lebendig und frisch interpretiert.

Sebastian Jacobs, 16. Oktober 2023


Parsifal
Richard Wagner

Deutsche Oper am Rhein Düsseldorf

Premiere: 17. September 2023
Besuchte Vorstellung: 15. Oktober 2023

Inszenierung: Michael Thalheimer
Musikalische Leitung: Axel Kober