Hamburg: Abschlußkonzert des Festivals „Kosmos Bartók“

„Viel Spaß“ wünschte am Ende seiner Einführung Harald Hodeige dem Publikum, nachdem er kenntnisreich und mit zahlreichen Musikbeispielen die beiden Werke, mit denen das Abschlußkonzert des vom NDR veranstalteten Festivals „Kosmos Bartók“ bestritten wurde, vorgestellt hatte. Der Sender hatte am vergangenen Dienstag bereits auf „Käpt´n Blaubarts Burg“ als besonderen Höhepunkt verwiesen und vielleicht darf man sich ja auch mit humoriger Brechung dem komplexen Werk dieses vielfältigen Komponisten nähern, mit dessen „Mikrokosmos“ sich so mancher Klavierschüler herumgeschlagen hat, um später erst zu begreifen, was Bartók tatsächlich ausmacht. Da wird in der Tat der Mikro- zum Makrokosmos, es ist ungebrochene Freude an echter Volksmusik zu entdecken, die dann in artifizieller Metamorphose zur Kunstmusik wird, aber auch seelische Abgründe tun sich auf. Da ist es mit dem Spaß dann zu Ende.

Bartók verließ sein Heimatland, als die Nähe zum Faschismus immer bedrohlicher wurde, und heute ginge es ihm wohl ähnlich. Intellektuelle und Künstler wandern gerade jetzt aus dem Orbán-Ungarn aus, um weiter frei denken und schaffen zu können.

Bartók schrieb sein 3. Klavierkonzert 1945 im amerikanischen Exil und das letzte Kriegsjahr sollte auch sein Todesjahr werden. Anders als in den beiden Vorgängerwerken kehrt der Komponist in diesem Konzert mit mehr Milde und Harmonik zu seinen Wurzeln zurück. Der Musikwissenschaftler Wolfgang Rathert sieht hier den Versuch, die „Kulturen der östlichen Volksmusik und der westlichen Kunstmusik und den Selbstbezug als Auseinandersetzung mit differenziertesten seelischen Spannungen zu einer Synthese zu bringen.“ Das Spätwerk hätte somit also einen äußerlich und innerlich ausgleichenden sowie harmonisierenden Charakter.

© Andy Spyra

Igor Levits gleichermaßen lässiges und hochkonzentriertes Spiel entspricht diesem Habitus, denn der Pianist versteht es ebenso, die volkstümlichen Aspekte mit einer geradezu zärtlichen Sensibilität aus den Tasten zu streicheln, wie er den harschen Passagen akzentuiert und mit aller Deutlichkeit die nötigen Ecken und Kanten verleiht, wenngleich gerade im ersten Satz Dissonanzen sparsam eingesetzt sind. Eine ausgefeilte Rhythmik und grundlegende Heiterkeit prägen dieses Allegretto, von den freudvollen, melodischen Passagen läßt sich Alan Gilbert anstecken; sein Dirigat ist beschwingt, tänzerisch und zugewandt im besten Sinne. Er und der Pianist halten Kontakt und das frohe Miteinander springt vom ersten Ton an auf das NDR Elbphilharmonie Orchester über. Hier herrscht tatsächlich der angesprochene Spaß; Gilbert leitet den exakt und leidenschaftlich spielenden Klangkörper sichtbar gutgelaunt.

Das folgende Adagio religioso ist, wie die Bezeichnung schon vermuten läßt, geheimnisvoll und enthält an einen Choral erinnernde Klavierpassagen; Anleihen an die Pentatonik wirken wiederum ursprünglich-volksmusikalisch, eine ländliche Atmosphäre unterstreichen Vogelrufe. Levit beugt sich zuweilen tief über die Klaviatur, über der seine Hände manchmal sekundenlang schweben – Vorbereitung des Anschlags und dessen Ausführung sind eine organische Einheit. Manchmal durchzuckt ihn die gedachte Musik, um sich in Sekundenbruchteilen als Klang zu äußern.

Attacca schließt sich das Allegretto vivace an, in dem erneut ungarische Anklänge variiert werden; straff, ja fordernd führt Gilbert nun das Orchester und tupft energisch die Einsätze mit den Fingerspitzen in das Halbrund. Furios führen Pianist und Orchester das Finale aus, indem das Hauptthema aufgegriffen wird, wodurch das Konzert eine geschlossene Einheitlichkeit erhält.

Für den begeisterten Applaus mit zahlreichen Bravo-Rufen bedankt sich Levit mit dem Brahms-Intermezzo op. 117 No. 2 – eine Piano-Passage zerstört der Klingelton eines Handys. Wie dämlich und ignorant muß man eigentlich sein, um diese Dinger nicht ausstellen zu können?

© Andy Spyra

Die Husterei hält sich an diesem Abend in Grenzen, aber viele haben immer noch nicht begriffen, daß man sich an der Garderobe gratis Hustenbonbons holen kann, die man vor Beginn des nächsten Stücks auswickelt. Man fragt sich auch, was Eltern dazu bringt, sehr kleine Kinder in solch ein Konzert mitzunehmen, die zwischendrin gähnen, einschlafen, gestikulieren und mit ihrem Gezappel die Umsitzenden, die viel Geld für die Karten bezahlt haben, nerven. Damit verleidet man nicht nur den anderen und sich selbst den Musikgenuß, sondern sorgt dafür, daß die Kinder solche Veranstaltungen im künftigen Leben meiden werden.

Eigentlich hätte diese Besprechung zwei Titel verdient; der zweite hätte mit dem letzten Satz des Librettos von „Herzog Blaubarts Burg“ lauten können: „Nacht bleibt es nun ewig“. Düsternis und, bei aller Hoffnung auf Erlösung durch Liebe, traurige Resignation durchzieht Bartóks „szenische Symphonie“, wie Zoltán Kodály die Adaption des französischen Märchens „La barbe bleue“ aus dem späten 17. Jahrhundert nannte.

Es ist hier eine konzertante Aufführung und ähnlich wie die entsprechende Produktion von Dvořáks „Rusalka“ vor zwei Jahren arbeitet die „Elphi“ mit farbigem Licht und der Plazierung von Mitwirkenden im ganzen Raum. So beginnt der Sprecher Dávid Csizmár auf dem ersten Rang und leitet in der Tradition frühneuzeitlicher Theaterpraxis mit sonorer Stimme das Drama ein.

Michelle De Young ist, anders als die Rolle im Programmheft dargestellt, eine Judith weitab von Klischees naiver Mädchenhaftigkeit. Zudem ist die biblische Judith keine „Halsabschneiderin“, sondern eine echte Heldin und die ist auch die amerikanische Mezzosopranistin in ihrem Glauben an die erlösende Kraft der Liebe, wenngleich sie letztendlich als eine Königin der Nacht endet. Mit warmer, fülliger Stimme und großartig plastischer Mimik formt sie die Figur der jungen Frau, die trotz aller entdeckter Grausamkeiten an der Liebe zum finsteren Herrscher festhält und Licht und Luft in das dunkle Gemäuer bringen will. Ihr gesanglicher, dominanter Vortrag bleibt nahe an einer naturalistischen Gestaltung, was dem Ganzen eine unwiderstehliche Greifbarkeit verleiht.

Darin sehr ähnlich ist ihr Gerald Finley, dessen Herzog eher traurig und letztlich einsam ist, weil die Frauen in seinem Dasein offenbar nur noch Erinnerungen sind. Sein viriler Baßbariton zeichnet die dunkle Figur in ihren seelischen Abgründen, für welche die sieben Kammern hier eher metaphorisch stehen, als daß sie märchenhaften Realitäten entsprechen. Das ist kein Schlächter, sondern ein resignierter, unglücklicher Mann.

Obwohl sie im hinteren Bereich des Orchesters stehen, dringen beide Solisten fast immer problemlos und wohlartikuliert durch den massigen Apparat.

© Andreas Ströbl

Die klangatmosphärischen Bilder unterstreichen die Lichtinstallationen; so steht Rot für die Foltergeräte in der ersten Kammer. Die Farbe changiert zu Orange, das die schimmernden Rüstungen in der zweiten Kammer illustriert. Gelbes Licht markiert die Schätze Blaubarts, die hinter der dritten Türe glitzern, und die Farbe Grün malt die trügerische Idylle eines Gartens, dessen Blumen bald welken.

Gleißend hell wird es dann, wenn das Reich Blaubarts in ganzer Weite erstrahlt, flackernde Deckenleuchten illuminieren Glanz und Größe, vom 2. Rang ertönen die herrschaftlichen Fanfaren. Das Fortissimo ist atemberaubend, die Musik soghaft-magisch und mächtig.

Das Blutthema ist, kongruent zum Libretto, immer präsent, denn der vergossene Lebenssaft klebt an allem und färbt selbst den Schatten der Wolken.

Stimmte der Herzog dem Öffnen der ersten fünf Türen noch selbst zu, so will er das Aufschließen der letzten verweigern; Judith bleibt jedoch standhaft. Ein See aus Tränen schimmert in fahlem Türkis und der finale Anblick der drei Frauen, die für Morgen, Mittag und Abend stehen und all die Tränen vergossen haben, schockiert Judith endlich. Daß sie selbst als Personifikation der Nacht ihr Schicksal beschließen muß, begräbt all ihre Hoffnung auf ein Miteinander und die Rettung des düsteren Herrschers. Violettes Licht bereitet den Weg in die endgültige Schwärze.

Lange andauernder, begeisterter Beifall, von vielen stehend entboten, bejubelt eine großartige Gesamtleistung und ein Werk, das leider viel zu selten zu hören ist.

Andreas Ströbl, 11. Februar 2024


Hamburg, Großer Saal der Elbphilharmonie

Abschlußkonzert des Festivals „Kosmos Bartók“
10. Februar 2024

Bela Bartók:
Konzert für Klavier und Orchester Nr. 3 Sz 119
Herzog Blaubarts Burg Sz 48

Musikalische Leitung: Alan Gilbert
Klavier: Igor Levit
Mezzosopran: Michelle De Young
Baßbariton: Gerard Finley
Sprecher: Dávid Csizmár
NDR Elbphilharmonie Orchester