Überzeugende Altägypten-Ästhetik mit entbehrlichem Regietheater-Klamauk
Besuchte Vorstellung: 23. Februar 2020
Insbesondere, wenn Oliver von Dohnányi an der Budapester Staatsoper dirigiert – und sie logiert wegen der Renovierung des Haupthauses ja derzeit und leider wohl noch länger im allerdings wunderschön renovierten Erkel-Theater – lohnt eine Fahrt nach Budapest. Als ehemaliger GMD im westsibirischen Ekaterinburg konnte ich von Dohnányi mit relativ selten gespielten Stücken wie „Satyagraha“ von Philip Glass, „Die Passagierin“ von Mieczyslaw Weinberg und „Die griechische Passion“ von Bohuslav Martinu erleben. Es waren immer beeindruckende musikalische Abende, die mir nachhaltig einen wichtigen Teil jenseits des Kanons der etwa 50-60 stets gespielten Werke nahebrachten (Rezensionen von dieser „Trilogie“, wie man die drei Inszenierungen in Ekaterinburg nennt und mit denen man gern einmal auf Tour gehen würde, sind auf meiner Homepage nachzulesen).
Mit Giuseppe Verdis „Aida“ ging es jedoch diesmal ins Herz dieses Opern-Kanons im Erkel, welches sehr gut vom erwartungsvollen Budapester Publikum gefüllt war, das im Prinzip auch nicht enttäuscht wurde. Das auf Grundlage des vom damals in Kairo lebenden Gründer der ägyptischen Antikenverwaltung, des Ägyptologen Auguste Mariette, verfassten Librettos beruhende Drama wurde eigentlich auf Wunsch des in Europa erzogenen regierenden Khediven (Vizekönig) Ismail Pascha der osmanischen Provinz Ägypten zur Eröffnung des neuen Khedivial-Opernhauses von Verdi komponiert. Dieser soll damit unter Druck gesetzt worden sein, dass man das Libretto anderenfalls Richard Wagner geben würde… (Ich bezweifle, dass dieser es angesichts seiner damaligen Arbeit am „Ring“ je angenommen hätte. Zudem war Wagner kein Auftragskomponist!).
János Mohácsi inszenierte diese „Aida“ vor ein paar Jahren schlüssig und mit einer sehr ansprechenden Bebilderung von Zsolt Krell, der über die vier Akte ein jeweils leicht variierendes Bühnenbild schuf, welches eindeutig auf die bekannte altägypztische Ästhetik mit ihren hieroglyphischen Schriftsystemen und Götter-Darstellungen setzt. Damit war ein nahezu perfekter Rahmen für eine in ganz positivem Sinne „traditionelle“ Interpretation geschaffen, wenn den Regisseur nicht im 1. Akt möglicherweise ein schlechtes Gewissen im „Zeitalter“ des Regietheaters befallen hätte. Denn hier greift er mit seiner Kostümbildnerin Kriszta Remete und insbesondere mit seiner Choreographin Johanna Bodor tief in die nun auch schon wieder nur noch als „Regietheatralische Klamottenkiste“ zu bezeichnende Phantasiewelt frei und nahezu völlig werkunabhängig operierender Gags. Diese sollten dem Ganzen wohl einen Anstrich zeitgenössischer Ernsthaftigkeit verleihen und damit Zustimmung bei der Salonpresse sichern…
Es geht schon während des Vorspiels damit los, dass ein Erschießungskommando mit MGs (Gott sei Dank lautlos – in Bayreuth unter Katharina Wagner hätte man es schon laut knallen lassen!) eine verängstigte Gruppe von Kriegsgefangenen aus dem Leben befördert. (Die stehen freilich sofort wieder auf und gehen gelenkig nach rechts ab). Die Äthiopier konnten es ja nicht sein, also ein Indiz für die generelle Grausamkeit am Hofe des Pharaonen? Dann geht es munter weiter mit ständig auf und abziehenden Armeetrupps ganz junger Soldaten mit Stahlhelmen im Design der Nazis im 2. Weltkrieg. Hallo, was sollte das denn nun?! Etwas irritierend war dabei auch noch, dass nicht einmal volljährige Mädchen unter den Waffenträgern waren. Diese waren sich dann aber nicht zu fein, altägyptische Wurfgeschoss-Katapulte und ähnlich überholtes Kriegsgerät (ich dachte kurz an die Deutsche Bundeswehr) umständlich über die Bühne zu zerren… Also, der ganze Klimbim war entbehrlich und auch angesichts der gut platzierten Stellung des stimmstarken und von Gábor Csiki einstudierten Chores im Bühnenbild störend. Viel wäre zudem gewonnen gewesen, wenn das sog. Ballett nicht so sehr einer Bodenturn-Kür bei den Olympischen Spielen geglichen hätte.
Vom 2. Akt an geht es durchaus eindrucksvoll und werkverständlich weiter. Eine nicht allzu ausufernde, aber sinnvolle Personenregie lässt die Szenen zwischen Amneris und Aida sowie den beiden und Radames im stets leicht mystischen und damit bestens auf das Bühnenbild abgestimmten Licht auch dramaturgisch (Enikö Perczel) zu spannenden Momenten werden. Das liegt aber auch am ganz positiv gemeinten Begriff „altgedienter“ Sängerdarsteller wie Eszter Sümegi als Aida und Ildikó Komlósi als Amneris, sowie mit einigem Abstand auch Attila Fekete als Radames. Eszter Sümegi verfügt über einen schön timbrierten Sopran mit facettenreicher klanglicher Farbgebung in allen Lagen, mühelose erreichten und lang gehaltenen Höhen, sowie auch einer ansprechenden Tiefe. Hinzu kommt ein guter charakterlicher Ausdruck für die versklavte Königstochter, die ihr offenbar auf den Leib geschrieben ist.
Aus dieser Zeit kommt noch Ildikó Komlósi als Amneris, der man eine noch längere Erfahrung mit der zunächst hochmütigen und dann enttäuschten pharaonischen Königstochter ansieht und die sie nach anfänglichen leichteren vokalen Schwierigkeiten immer besser und am Schluss ausgezeichnet singen lässt. Großartig spannt die Komlósi mit ihrer auch glänzenden königlichen Optik das Ränkespiel um Aida und fällt danach sichtbar umso tiefer. Eine äußerst klangvolle Mittellage und Tiefe ihres ausdrucksstarken Mezzos vereint sich mit einer entsprechenden, stets authentisch wirkenden Mimik.
Attila Fekete legt als Radames gleich aus allen Rohren los. Schnell wird mir klar, dass es mit seiner Technik, sofern man von einer solchen sprechen kann, nicht lange gut gehen kann. Beim letzten Ton der Auftrittsarie …“un trono vicino al sol“ ist es dann schon so weit, und die Stimme versagt. Es geht einigermaßen weiter bis zum Aktschluss, und er lässt ansagen, dass er sich in der Pause medizinisch behandeln lasse. Wie dem auch gewesen sei, er bringt den Radames dann doch noch ansehnlich über die Runden, sollte an die Rolle künftig wohl aber mit einer anderen Technik herangehen. Nur laut singen hat noch nie jemanden glücklich gemacht, leider oft große Teile des Publikums unter dem Motto „Wer am lautesten schreit, hat gewonnen!“
Der Rumäne Agache Alexandru bringt mit seinem kraft- und klangvollen Bariton als Amonasro viel Spannung in den Nil-Akt und stellt seine Tochter auch in aller Dramatik erlebbar vor die grausame Entscheidung, sich zugunsten ihres Volkes gegen ihren Geliebten zu wenden. Das war eigentlich der Höhepunkt des Abends!
Der noch der junge Sándor Köpeczi singt den König mit klangvollem und Größeres erwarten lassendem Bass, und die wohl erst 21-jährige Anna Fürjes ist mit der Hohepriesterin ganz vorn am Bühnenrand leicht überfordert. Das hätte aus dem Hintergrund, wo sie normalerweise auch hingehört, besser noch aus dem Off, viel besser gewirkt. András Palerdi singt einen guten und Respekt gebietenden Ramfis. Tivadar Kiss gestaltet darstellerisch und mit gutem Tenor den von langer Hast nach Memphis gezeichneten Boten.
Oliver von Dohnányi vermochte mit dem Orchester der Ungarischen Staatsoper und dem Chor der Ungarischen Staatsoper eine musikalisch intensive „Aida“ zu dirigieren, in der er die ganze Klangüppigkeit der großen Tableaus ebenso auskostete wie er die feine Mystik des Nil-Aktes mit allen Zwischentönen auszuspielen wusste. Bisweilen übernahm der Klangkörper durchaus klar die Oberhand, ohne jedoch die Protagonisten zuzudecken. Das geschah gelegentlich eher durch den Chor, denn da gibt es eine Besonderheit: Da die Staatsoper am Andrássy út geschlossen ist, tummeln sich alle Chorsänger auf der Bühne des Erkel-Theaters und verstärken hier entsprechend den Geräuschpegel… Dem Publikum gefiel es jedenfalls, zumal die guten Fanfaren zum Triumphmarsch das ihre beitrugen. Nach jedem Akt gab es Applaus, als sei es schon der Schlussapplaus, sogar mit dem in Ungarn so charakteristischen rhythmischen Klatschen, einem hier beliebten Parteitagsklatschen…
Ein guter Abend im Erkel!
Fotos: Péter Rákossy
Klaus Billand/22.3.2020