Ermanno Wolf-Ferrari
Besuchte Vorstellung: 29.5.16
Interessant, aber nicht repertoiretauglich
Die Oper „Sly ovvero La leggenda del dormiente risvegliato“ (deutsch: Sly oder Die Legende vom wiedererweckten Schläfer) ist eine Oper in drei Akten und vier Bildern des deutsch-italienischen Komponisten Ermanno Wolf-Ferrari (1876-1948) nach einem Libretto von Giovacchino Forzano (1884-1970). Sie wurde am 29. September 1927 im Teatro alla Scala uraufgeführt. Der Stoff der Oper wurde aus dem Prolog von Shakespeares „Der Widerspenstigen Zähmung“ entnommen, der Titelheld selber, ein verkappter Dichter und Bänkelsänger, weist wiederum ähnliche Charakterzüge wie François Villon auf. Die Oper spielt in London um 1603.
Die Handlung, kurz zusammengefasst, ist, dass Sly im Alkoholrausch auf das Schloss einer Gräfin entführt wird, wo man ihm vorgaukelt, er sei verheiratet und krank und hätte sein bisheriges Leben bloß geträumt. Als Sly schließlich dieses grausame Spiel durchschaut, schneidet er sich die Pulsadern auf.
Den topos des „Königs für einen Tag“ haben vor und nach Wolf-Ferrari noch andere Komponisten in teils abgewandelter Form aufgegriffen: Verdi mit „Un giorno di regno“, Adolphe Adam mit „Si j’étais Roi“ oder Ingomar Grünauer mit „König für einen Tag“. Wiederentdeckt wurde der „Sly“ erst 1996 in Schwerin und durch den großen Einsatz von José Carreras schließlich auch in Zürich (1998) und Barcelona (2000). In Wien hatte der damalige Staatsoperndirektor Ioan Holender abgewunken. Er hielt das Werk für nicht repertoiretauglich.
Im Rahmen des Festivals „Shakespeare 400“, das in Budapest vom 17.Mai bis 2. Juni stattfindet, zeigt die Ungarische Staatsoper verschiedene Opern und Ballette, denen Werke des großen englischen Dichters zu Grunde liegen. Auf dem Programm stehen und standen konzertante wie szenische Opernaufführung und ein Ballett sowie ein Musical: „Der Widerspenstigen Zähmung“ (Goldmark/Ballett), „The Fairy Queen“ (Purcell), „Hamlet“ (Szokolay), „West Side Story“ (Bernstein), „I Capuleti e i Montecchi“ (Bellini), „Die Lustigen Weiber von Windsor“ (Nicolai), „Macbeth“, „Otello“, „Falstaff“ (Verdi), „Sly“ (Wolf-Ferrari), „The Tempest“ (Adès), „Rómeo et Juliette“ (Gounod), „Lear“ (Reimann) sowie „A Midsummer Nights Dream“ (Britten). Ein bewunderswertes und in seiner Dichte äußerst mutiges Unterfangen, das sich die Ungarische Staatsoper hier vorgenommen hat.
Der Sly wurde vom Erkel-Theater Budapest mit dem National Theater Szeged koproduziert. Musikalisch weist Wolf-Ferrari in dieser Oper eine starke Nähre zum Verismo auf und einige interessante Parallelen zu Offenbachs „Les Contes d’Hoffmann“.
Pál Göttinger entrollt die Ereignisse der Oper in den historisierenden Bühnenbildern und Kostümen von Péter Horgas und Nóra Bujdosó in narrativem Duktus unter völligem Verzicht auf eine Aktualisierung. In der Mitte der Bühne befindet sich ein überdachtes Halbrund mit einer Treppe an der Seite. Ein Graffiti an der Wand weist daraufhin, dass sich der Schauplatz des ersten Aktes in der Taverne „Zum Falken“ befindet. Dort stimmt dann auch der dem Alkohol verfallene Sly sein berühmtes „Bärenlied“ an, das seinen Ursprung in der Arie von „Kleinzack“ nicht verleugnen kann. Boldizsár László bot eine vortreffliche Charakterstudie dieses zerrissenen Poeten mit dynamischen Stimmeinsatz und großer seelischer Hingabe. Ihm zur Seite stand Krisztina Kónya als stimmlich markante Gräfin Dolly mit tragfähigem Sopran in allen Registern. Respektabel auch Zoltán Kelemen als ihr Gatte, Graf Westmoreland, mit erdigem Bariton. Antal Cseh gefiel als Schauspieler John Plake mit seinem markigen Bass. Boglárka Laczák war eine umtriebige Wirtin der Taverne zum Falken. In der Doppelrolle eines französischen Edelmanns und eines Musikers ergänzte György Hanczár rollengerecht. Mehrere der kleinen bis Kleinstrollen wurden noch von folgenden Künstlern zur größten Zufriedenheit interpretiert: Attila Gulyásik, Szilveszter Szélpál Tamás Altorjay, István Andrejcik und Attila Réti traten als Freunde des Grafen sowie als Moor, Rothaut, Chinese, Spötter, Alter Diener und Doktor auf. Szilvia Dobrotka, Zita Tímea Somogyvári und Renáta Horák ergänzten noch als possierliche Dienstmädchen. Éva Kovács verlieh ihren zierlichen Sopran der Rosalina, Kristóf Koczor war ein resoluter Gerichtsdiener Snare, István Bocskai der Landrichter, Milán Taletovics ein Soldat, Péter Szondi ein Diener, Péter Tóth ein Koch, Attila Major ein Fuhrmann. Ábel Paillot, Andor Csepregi und Domokos Mari hatten mit ihren schwächelnden Knabensopranen leider keinen nachhaltigen Auftritt.
Da einige der Rollen auch tanzend dargeboten muss an dieser Stelle noch die humorvolle Choreographie von Gábor Katona erwähnt werden, der auch ein Kamel durch zwei Tänzer auf witzige Weise vorführen ließ. Kornélia Kovács hatte den Chor des Nationaltheaters Szeged derart umsichtig einstudiert, dass dieser gleichsam zum Antriebsmotor des Abends geriet. Am Pult des Orchesters des Nationaltheaters Szeged stand Sándor Gyüdi, der auf Dynamik setzte und der veristischen Partitur Wolf-Ferraris zu strahlender Leuchtkraft verhalf.
Freundlicher Applaus mit Bravorufen für den Titelhelden und den Dirigenten beschlossen den lauen Frühsommerabend im nicht restlos ausgefüllten Erkel
Harald Lacina 30.5.16
Fotocredits: Szilvia Csibi