Essen: „Arabella“, Richard Strauss

Premiere: 14. Mai 2022, besuchte Aufführung: 19. Mai

Stefan Soltesz begann 1997 seine 16-jährige Essener Intendanz mit der „Arabella“ von Richard Strauss, nun beendet sein Nachfolger Hein Mulders seine neunjährige Amtszeit mit dem gleichen Stück. Als Regisseur hat er den Belgier Guy Joosten engagiert, am Pult steht GMD Tomás Netopil.

Das Bühnenbild von Katrin Nottrodt, von der auch die Kostüme stammen, gibt viele Rätsel auf: Im ersten Akt befinden wir uns in einem hyperrealistischen Haus, aus dessen Fenstern wir jedoch nur auf Baumfotografien blicken, während der Vorbühnenbereich mit Rosen abgesteckt ist. Das Szenario erinnert an Bilder des amerikanischen Fotokünstlern Gregory Crewdson und legt viele Fährten.

Ist Arabella vielleicht eine psychopathische Hysterikerin, die sich ihren Mandryka nur herbeifantasiert, in ihrer Fantasie-Rosenwelt lebt und von der Familie weggesperrt wird? Diese Sichtweise wird dadurch unterstützt, dass Arabellas übertrieben uniformierten Verehrer erst die Bühne betreten, wenn Schwester Zdenka im Badezimmer verschwindet.

Auch der Verlobungsball des zweiten Aktes erscheint wie ein bloßer Wunschtraum der Titelfigur, die sich am Ende des ersten Aktes in ihr Rosenreich begibt, worauf der Vorhang fällt und erst wieder hochgeht, wenn Arabella in die Geschichte eintaucht. Rätselhaft ist auch der zweite Akt, der nicht in einem Ballsaal, sondern im Esszimmer der heruntergekommenen Waldner-Familie stattfindet. Die drei Verehrer sind nun wie in einem Albtraum als Schweine maskiert, Mandryka ist wie ein Trapper aus einem Western kostümiert.

Regisseur Guy Joosten und seine Ausstatterin Katrin Nottrodt schicken das Publikum auf viele rätselhafte Spuren, und lange Zeit glaubt man, einer grandiosen Inszenierung beizuwohnen, deren Geheimnisse am Ende entwirrt werden. Dass ist jedoch nicht der Fall, den im Finale wird nichts von den Skurrilitäten dieser Produktion erklärt: Es war bloß die übliche „Arabella“-Geschichte, diesmal nur in einer verwirrenden Ausstattung. Szenisch ist dieser Abend eine Mogelpackung.

Musikalisch ist der Abend wesentlich besser bestellt: Tomás Netopil dirigiert am Pult der Essener Philharmoniker einen vollen süffigen Strauss-Klang, der aber auch tänzerischen Schwung besitzt. Einige orchestrale Feinheiten könnten aber noch aufpoliert werden. Als Arabella glänzt Jessica Muirhead mit großem und leuchtenden Sopran. Ihre Monologe gestaltet sie mit intensiver Innerlichkeit. Heiko Trinsinger als Mandryka singt seine Partie mit geschmeidigem Bariton, bräuchte aber manchmal etwas mehr heldischen Schwung.

Das weitere Ensemble ist sehr unterschiedlich besetzt. Julia Grüter überzeugt als Zdenka mit leichtendem und sehr textverständlichen Sopran. Thomas Paul kann als Matteo mit seinem Tenor schön auftrumpfen. Bettina Ranch und Christoph Seidl geben die Waldner-Eltern sehr zuverlässig, während Santiogo Sanchez und Karel Martin Ludvik als Arabellas Verehrer Elemer und Dominik sehr angestrengt und bemüht klingen. Absolute Spitze ist Karl-Heinz-Lehner in der Minipartie des Grafen Lamoral: Mit großem und raumgreifenden Bass trumpft er so auf, dass man sich fragt, warum Arabella für ihn nicht alle anderen Verehrer einschließlich Mandryka stehen lässt? Mit leichtem Sopran zwitschert Giulia Montanari eine quicklebendige Fiakermilli.

In der nächsten Spielzeit übernimmt dann Merle Fahrholz die Intendanz des Aalto-Theaters, holt hauptsächlich die ausgefallene Spielzeit 2020/21 nach. Eigene Akzente wird die neue Hausherrin erst ab Herbst 2023 setzen können.

Rudolf Hermes, 27.4.22