Essen: „Elektra“

Premiere: 19.3.2015

Szenisch hinter dem Werk zurückbleibend

„Mama, where is Papa?“ steht auf der Hinterwand geschrieben, welche – wie auch die seitlichen Bühnenbegrenzungen von Patrick Bannwart/Maria Wolgast von blutigem Rot überschwemmt sind. Diese vier Worte lesen sich, als sollte Unterstufenschülern die Handlung von „Elektra“ in Kurzform erläutert werden. Regisseur David Bösch wirkt selber noch außerordentlich jung, trotz seiner realen 38 Jahre. Seit 2010 inszeniert er auch im Bereich des Musiktheaters, und das bei guten Adressen. In Bälde wird er an Covent Garden das Schreckenswerk aller Opernregisseure, Verdis „Trovatore“, herausbringen. Man muss seine Essener „Elektra“ also wohl als einen Ausrutscher oder einen irgendwie gearteten Black-Out bewerten. Was als Konflikt auf der Hand liegt, wird mit überdimensionalen Lettern unterstrichen, eine tiefenpsychologische Deutung hingegen bestenfalls ansatzweise geliefert: Kinderbettchen samt Puppeninventar, das von Elektra manisch behütete Vaterbildnis. Nein, diese szenischen Angebote sind zahm und zahnlos, erzeugen keine Gänsehaut, die bei einer „Elektra“-Aufführung eigentlich entstehen müsste.

Elektra betritt die Szene, bevor die Streicher-Eruptionen dies ankündigen. Aber das lässt sich u.U. noch begründen. Rebecca Teem hat sich vom Mezzo zum hochdramatischen Sopran entwickelt und einschlägige Partien an mittleren Häusern wie Lübeck und Braunschweig gesungen, Brünnhilde ist sie bald wieder in Frankfurt. Die Deutsche Oper Berlin beschäftigte sie mit Aufgaben auch darüber hinaus. Die Stimme der Amerikanerin besitzt ein gesundes, gesättigtes Timbre, welches ein wenig an Ursula Schröder-Feinen erinnert; die Spitzentöne besitzen Power und wirken angenehm gerundet. Die schönsten Passagen am Premierenabend erlebte man in der Erkennungsszene, wo Rebecca Teem geradezu mit Sirenengesang aufwartete. Aber wie die genannte Kollegin ist sie keine Heroine von der Erscheinung her. Sie spielt zwar mit dramatischem Engagement, bleibt aber eigentlich immer nur eine nette Frau. Mit den Extremgefühlen der Opernheldin ist sie nicht zu identifizieren. Die Tänzchen, welche ihr Bösch verordnet, wirken überdies grenzenlos erheiternd. Man denkt mehr an Robert Stolz als an Richard Strauss.

Bei Klytämnestras Auftritt lässt der Regisseur Tierleichen an Haltestricken vom Bühnenhimmel niederstürzen. Etwas plakativ, aber das spart Personal. Nur die Vertraute und die Schleppträgerin sind um die Königin. Hoheitsvoll bei aller psychischen Zerrüttung gestaltet Doris Soffel die Gattenmörderin. Man sieht eine noch immer attraktive Frau, was auch der Gesang unterstreicht. Einige bewusst hohl gesetzte Töne gehören naturgemäß zum Porträt der Figur. Hinreißend das Gelächter, frieren machend die Todesschreie aus dem Off. Ägisth (prägnant: Rainer Maria Röhr) muss hingegen auf der Vorderbühne krepieren.

Orest alias Almas Svilpa tritt wie ein vermummter Rübezahl auf. Aber gut: wenn er die Kapuze zurück schlägt und sein Gesicht zeigt, erhält das Wiedersehen von Bruder und Schwester einen prägnanten, sogar berührenden optischen Akzent. Viel bewirkt auch die potente, maskuline Stimme des litauischen Baritons, der – ungeachtet bedeutender Gastspiele an anderen Häusern – seit nahezu zwei Jahrzehnten dem Ensemble des Aalto Musiktheaters angehört. Wo gibt es das sonst? Wenn sich Orest nach dem Mord an der Mutter die Pulsadern aufschneidet und auch Elektra sich massakriert, liefert Böschs Inszenierung einige der wenigen triftigen Kommentare. Allerdings wirkten die Rufe von Chrysothemis nach dem Bruder jetzt nicht mehr stimmig – denn „wo bleibt Elektra“?

Dass Katrin Kapplusch (leuchtkräftig, wenn auch nicht ganz unangestrengt singend) in einem grünen Partykleid auftreten muss, ist möglicherweise nicht primär die Idee der Kostümbildnerin Meentjee Nielsen , aber auch das weiße Kleide Elektras ist weder der Figur schmeichelhaft noch drückt es über den Charakter der Figur etwas aus. Ansonsten eher neutrale Outfits. Bei den Nebenrollen wäre Albrecht Kludszuweit mit seinem vokal einwandfreien Auftritt als junger Diener hervorzuheben. Anderswo mehr Dunkel als Licht.

Tomás Netopil lässt die Musik von Strauss in allen Farben gleißen und brodeln, akzentuiert spannungsreich. Insofern war der starke Premierenbeifall berechtigt. Er schützte offenkundig den Regisseur.

Christoph Zimmermann 20.3.16
Bilder (c) Aalto / Matthias Jung