Essen: „Tristan XS“, Richard Wagner

Premiere: 2. Oktober 2020

Konzertante Szenen aus „Tristan und Isolde“

Eigentlich wollte das Essener Aalto-Theater die Saison mit Richard Wagners „Tannhäuser“ eröffnen, doch coronabedingt wurde die Premiere durch Christoph Willibald Gluck kleinbesetzten und pausenlosen „Orfeo ed Euridice“ ersetzt. Daniela Köhler und Daniel Johannsson, die im „Tannhäuser“ die Elisabeth und die Titelpartie singen sollten, kommen nun „Tristan XS“ – Konzertante Szenen aus Richards Wagners „Tristan und Isolde“ – zum Einsatz. Die Konzeption und Auswahl des eindreiviertelstündigen Abends stammt von dem Tenor Hans-Georg Wimmer und wurde für eine Produktion in Rostock erstellt. Die Fassung für Kammerorchester, in der gerade einmal 30 Musiker zum Einsatz kommen stammt von Armin Terzer.

Auf der großen Bühne des Aalto-Theaters ist der Bereich des abgedeckten Orchestergrabens für die beiden Solisten freigehalten. Die von Tomas Netopil geleiteten Essener Philharmoniker sind dahinter positioniert. Den räumlichen Abschluss bildet eine große Leinwand, auf der manchmal Bilder der Sänger oder die Texte zweier Wesendonck-Lieder projiziert werden.

Sopranisatin Daniela Köhler und Tenor Daniel Johansson debütieren beide in ihren Rollen, die sie auswendig singen. Beide Interpreten überrumpeln mit beachtlichem Stimmmaterial, kluger Durchdringung der Rollen und guter Textartikulation. Daniela Köhler hat ihre Karriere am Staatstheater Karlsruhe begonnen. Über die Helmwige hat sie sich bis an das schwere Wagner-Fach vorgearbeitet, in Loriots „Ring an einem Abend“ hat Köhler bereits in Mainz und Essen die Brünnhilde gesungen. Im neuen Bayreuther „Ring“ wäre sie als „Siegfried“-Brünnhilde zu hören gewesen.

Daniela Köhler verfügt über einen hellen und klaren Sopran, der eine große Durchsetzungskraft besitzt. Ihre Mittellage glänzt mit metallischer Kraft. In der Höhe funkeln manchmal noch Soubrettentöne durch. Darstellerisch besitzt sie zudem eine große Präsenz und spielt, obwohl es sich hier um konzertante Szenen handelt, ihre Rolle mit wenigen Gesten und Gängen ganz aus dem Geist der Musik heraus.

Tenor Daniel Johannson ist schon seit einigem Jahren parallel im jugendlichen Heldentenor- und Spintofach unterwegs. Er singt sowohl den Stolzing als auch den Cavaradossi. In Essen war er schon als Lohengrin zu erleben. In der anspruchsvolleren Partie des Tristan scheint er aber noch viel besser aufgehoben zu sein denn als Gralsritter. Seine Stimme besitzt eine helle Färbung, er artikuliert bestens und verfügt über den großen Atem, um die weiten Bögen der Rolle zu meistern. Singt er im 2. „Tristan“-Akt ein schönes Liebesduett, so steigert er sich in den Fieberphantasien des 3. Aktes noch einmal. Nach dem Eindruck der Essener Aufführung müssten beide Interpreten auch in einer ungekürzten und szenischen „Tristan“-Produktion ein echter Gewinn im schweren Wagner-Fach sein.

Trotz kleiner Besetzung entlockt Tomas Netopil den Essener Philharmonikern einen starken Wagner-Klang. Wagners Musik entwickelt auch mit 30 Musikern einen großen emotionalen Sog. Mit gerade einmal 7 Bläsern dominieren diese auch gar nicht, sondern der Klang ist gut ausbalanciert. Netopil führt mit fließenden Tempi durch die Partitur wählt weder übertrieben langsame, noch zu schnelle Geschwindigkeiten. Der Gesamtklang ist zwar schlank, aber dennoch von romantischer Wärme geprägt.

Dieser Abend ist zwar als „Konzertante Szenen“ angekündigt, und statt einer Regie gibt es eine szenische Einrichtung von Marijke Malititus. Der Einsatz von Videos und Beleuchtung wirkt jedoch unschlüssig und manchmal störend. Zudem wird man als Zuschauer von der zu hoch eingestellten Beleuchtung einiger Notenpulte geblendet. Aufgrund des starken darstellerischen Einsatzes der beiden Akteure hat man den Eindruck, dass man mit Hilfe einer ordnenden Regie-Hand auch in kurzer Zeit einen szenisch starken Corona-Kammerspiel-Kurz-„Tristan“ hätte produzieren können. Seit Heiner Müllers Bayreuther „Tristan“ von 1993 ist es ja zur Regiemode geworden, dass sich das Liebespaar körperlich nicht mehr nahekommt. Der Pariser „Tristan“ von Peter Sellars und Bill Viola hat zudem gezeigt, dass man diese Oper auch mit einer durchgehenden Video-Bebilderung stimmungsvoll auf die Bühne bringen kann.

Der Essener „Tristan XS“, der übrigens die erste Wagner-Produktion in NRW während der Corona-Pandemie ist, wird noch am 11. und 21. Oktober sowie am 26. November und 11. Dezember gespielt.

Rudolf Hermes, 3.10.2020