Martina Franca: „Aladino e la lampada magica“, Nino Rota / „Norma“, Vincenzo Bellini / „Ariodante“, Georg Friedrich Händel

Vom 50. Festival della Valle d’Itria bieten wir heute gleich drei Besprechungen:


“Aladino e la lampada magica”, Nino Rota

© Festival della Valle d’Itria / Clarissa Lapolla

Nino Rota (1911-1979), der Komponist dieser Märchenoper, hatte zu der Zeit, als die Darmstädter Schule für die italienischen Tonsetzer ein Vorbild war, keinen leichten Stand, komponierte er doch tonal. Ihm wurde seine melodischen Einfälle vorgeworfen, und wegen seiner erfolgreichen Arbeit als Komponist des Soundtracks erfolgreicher Filme so bedeutender Regisseure wie Federico Fellini und Luchino Visconti (und einem Oscar für „Der Pate II“) wurde er von den Besserwissern der italienischen Kritik mit Häme übergossen. Auf der Opernbühne setzte er sich beim Publikum aber mit „Napoli milionaria“ und dem „Florentiner Strohhut“ erfolgreich durch. Als sehr gelungen empfinde ich auch seine Einakter „I due timidi“ (Die beiden Schüchternen) und „La notte di un nevrastenico“ (Die Nacht eines Neurasthenikers), in denen auch skurriler Humor nicht zu kurz kommt.

Der an Märchenstoffen immer interessierte Rota vertonte die vielleicht populärste Geschichte aus „Tausendundeine Nacht“ in den Jahren 1963-65 und brachte sie 1968 im Teatro San Carlo zu Neapel zur Uraufführung. Das Werk auf eine Oper für Kinder zu reduzieren wäre falsch, denn die Musik ist raffiniert aufgebaut und vermag auch dem erwachsenen Hörer viel Freude zu bereiten. Sie mit der Tradition der Zauberoper zu vergleichen, wie im Programmheft zu lesen ist, erscheint mir allerdings nicht ganz richtig, ist sie doch durchkomponiert und das Libretto von Vinci Verginelli ohne Prosadialoge.

© Festival della Valle d’Itria / Clarissa Lapolla

Das Bühnenbild von Leila Fteita bestand aus einer riesigen Bücherwand, von der Teile aufgeklappt werden konnten, um Schauplätze (wie die Grotte, in der sich die Wunderlampe befindet) oder Gebäude (wie Aladins Schloss) zu zeigen. Auf der Bühne befand sich nur das Nötigste (etwa ein Tisch und zwei Stühle für Aladins Heim oder ein Vorhang, hinter dem die schöne Prinzessin Badr-al-Budùr ein Bad nahm). Viel Bedeutung kam hingegen den phantasievollen Kostümen derselben Künstlerin zu, vor allem für den maghrebinischen Zauberer, den König, den Minister und den Geist der Lampe bzw. des Rings. Die Regie der Italo-Argentinierin Rita Cosentino eröffnete die Handlung mit einer Gruppe von Kindern, die eine Bibliotheksführung machten. Schließlich bleibt ein Bub zurück und vertieft sich in Aladins Geschichte. Die drei Akte in elf Bildern liefen flüssig ab, und man merkte auch die Freude der Interpreten an ihren Figuren.

Auch musikalisch lief alles bestens unter der Stabführung von Francesco Lanzillotta, der das Orchestra del Teatro Petruzzelli di Bari Rotas gar nicht so einfache Partitur zügig und spritzig wiedergeben ließ. Marco Ciaponi (Tenor) war ein stimmlich und körperlich wendiger Aladin, aber den Vogel schoss Marco Filippo Romano ab, der zunächst den verschlagenen Zauberer gab, dann den König und Vater der Prinzessin. Es war unglaublich, wie es diesem begnadeten Buffobariton gelang, die zwei verschiedenen Persönlichkeiten zu charakterisieren und mit seiner nie übertriebenen Gestik die Komik des eitlen Königs zu zeigen, das alles mit besonders wohllautender Stimme. Sehr gut verkörperte die junge Eleonora Filipponi Aladins verhärmte Mutter (Mezzo). Hübsch Stimme und Erscheinung von Claudia Urru als von Aladin geliebte Prinzessin (Sopran). Rocco Cavalluzzi verlieh dem Minister (Bass) lächerliche Würde, Omar Cepparolli dem Goldschmied mit seinen Juwelen, die schöner waren als die des Königs, Profil. Als besonders unterhaltsam erwiesen sich die Auftritte von Giovanni Accardi als Geist der Lampe (Bass) und Alexander Ilvakhin als Geist des Rings (Bariton). Auch die Kleinstrollen waren in guten Händen bzw. Kehlen und seien pauschal gelobt.

Das Publikum erfreute sich an dem selten gespielten Werk und spendete reichlich Beifall.


Aladino e la lampada magica
Nino Rota

Palazzo Ducale, Martina Franca

27. Juli 2024

Inszenierung: Rita Cosentino
Musikalische Leitung: Francesco Lanzillotta
Orchestra del Teatro Petruzzelli di Bari


„Norma“, Vincenzo Bellini

Eine Enttäuschung auf der ganzen Linie war hingegen die Aufführung von Vincenzo Bellinis Meisterwerk. Man hatte sich für die ursprüngliche Fassung des Komponisten entschieden, in der Adalgisa ein Sopran ist; das entsprach der Situation der Uraufführung, bei der die als Alt geltende Giuditta Pasta die Titelrolle gab und die hellstimmige Giulia Grisi ihre Rivalin. (Der Diskurs über die Aufteilung der Stimmfächer zu Beginn des 19. Jahrhunderts würde hier zu weit führen). Diese Entscheidung war erstmals in Martina Franca getroffen worden, als der damalige künstlerische Leiter Rodolfo Celletti der auf dem Höhepunkt ihrer Karriere stehenden Grace Bumbry 1977 die Titelrolle anvertraute und Lella Cuberli die der im Laufe der Jahrzehnte zum Mezzo gewordenen Rolle der Adalgisa. Die Aufführung wurde zum wegweisenden Kult.

© Festival della Valle d’Itri / Clarissa Lapolla

Was war dann dieses Jahr falsch? Das begann schon damit, dass Jacquelyn Wagner zwar körperlich die Statur für die Druidenpriesterin hat, aber nicht die Stimme, die nur wenig kräftiger und dunkler klang als die von Valentina Farcas als Adalgisa. Dazu kam eine erschütternde Monotonie hinsichtlich der Expressivität. Alle Phrasen klangen gleich, ob die Sängerin nun süße Erinnerungen oder Rachegelüste zum Ausdruck zu bringen hatte. Und ein paar scharfe Spitzentöne hätte man eher akzeptiert, wären nicht die Verzierungen einer Verflachung zum Opfer gefallen. Airám Hernández war mit seinem wenig heldischen Tenor und Problemen mit gestemmten Höhen alles andere als ein überzeugender Pollione. Der raustimmige Oroveso von Goran Jurić hatte keine Ahnung von Legato, und man war froh, dass er nicht mehr zu singen hatte. Einzig Valentina Farcas vermittelte eine Ahnung von ausdrucksvollem Belcanto. Als Comprimari konnten sich sowohl Saori Sugiyama (Clotilde) als auch Zachary McCulloch (Flavio) trotz der Verunstaltung Ersterer durch eine blonde Perücke im Afrolook und des Letzteren als schlecht geschminkter Kahlkopf durchaus hören lassen. Eine Frage zur Besetzung: Sie bietet sechs verschiedene Nationalitäten auf (USA, Rumänien, Spanien, Kroatien, Japan und Neuseeland) – war wirklich kein einziger italienischer Name weit und breit zu finden? Fabio Luisi war diesmal nicht der ausgezeichnete Dirigent, als den wir ihn kennen, sondern konnte sich bei der Leitung des Orchestra del Teatro Petruzzelli di Bari in Hinsicht auf die Agogik nicht recht entscheiden.

© Festival della Valle d’Itria

Die Regie von Nicola Raab entbehrte trotz des stimmigen Bühnenhintergrunds von Leila Fteita (eine rissige, in verschiedenen Farben changierende Mauer, auf die bei Adalgisas erstem Auftritt Bäume projiziert wurden) jeder Sinnhaftigkeit. Sieben junge Damen umwieseln Norma (der Regisseurin dürfte entgangen sein, dass es zwar in Rom Spezialistinnen für das Legen der richtigen Falten einer Toga gab, dies aber bei den Barbaren kaum Usus war, denn sie störte die Ouvertüre mit einer Zeremonie dieser Art). Sie tragen einen Stuhl herein, auf dem zunächst Norma sitzt, dann Adalgisa, um ihn während des Duetts der beiden wieder hinauszutragen. Sie werfen auch einen Ball auf die Bühne, den Oroveso aufnimmt und verwundert anstarrt, hat er doch keine Ahnung von Normas Kindern. Diese werden nicht von Clotilde, sondern von besagten Damen weggeführt. Der unter Marco Medved gut singende Chor steht nicht auf der Bühne, sondern ist in zwei Käfige links und rechts verbannt. Diese Beschreibung muss genügen, um die völlige Spannungslosigkeit der Aufführung zu illustrieren.

Ein ermattetes Publikum spendete am Schluss gar nicht so wenig Beifall.


Norma
Vincenzo Bellini

Palazzo Ducale, Martina Franca

28. Juli 2024

Inszenierung: Nicola Raab
Musikalische Leitung: Fabio Luisi
Orchestra del Teatro Petruzzelli di Bari


„Ariodante“, Georg Friedrich Händel

Ein verdient großer Erfolg war hingegen Händels Werk, das durch die Salzburger Aufführungen mit Cecilia Bartoli wieder stärker ins Bewusstsein des Publikums gerückt ist. Im schwarz-weißen Bühnenbild von Herbert Schäfer, vervollständigt durch hintereinander liegende graue Türen mit weißen Profilen, sowie einem Globus, der je nach dramaturgischem Bedürfnis zu sehen war, und den schwarz-weißen Kostümen von Vasilis Triantafillopoulos, die viel mit schwarzen und weißen Schleiern spielten und schon auch mal Ariodante mit Sockenhaltern zeigten, führte Torsten Fischer eine lebhafte Regie, die den Sängern viel Beweglichkeit, aber keine absurden Turnübungen abverlangte. Die in Barockopern üblichen Verwechslungen und Intrigen fanden einen flotten Ablauf, sodass man sich bestens auf die Musik und deren Interpretation konzentrieren konnte.

Garant für eine musikalisch spannende Wiedergabe war einmal mehr Federico Maria Sardelli mit seinem Orchestra Barocca Modo Antiquo. Die Freude an der Musik dieses auf Originalinstrumenten spielenden Ensembles überträgt sich unmittelbar auf den Hörer, die Hörerin. In der Titelrolle brillierte Cecilia Molinari mit wunderschönem Mezzo, langem Atem und stupender Technik. Dazu gesellte sich (wie bei allen Sängern) eine enorme Spielfreude. Die Sängerin wurde während der Vorstellung mehrfach bejubelt und musste ihre große Arie kurz vor dem Finale auf Drängen des Publikums wiederholen. Der Intrigant Polinesso, für den gern auch ein Kontratenor gewählt wird, wurde von Sardelli, getreu Händels ursprünglicher Wahl, mit einem Mezzo besetzt. Teresa Iervolino, furchterregend schwarz-weiß geschminkt wie der berühmte Joker aus den Filmen, sang prächtig und schenkte dem Unhold alle Facetten der Bösartigkeit. Nach stimmlich etwas steifem Beginn sang Francesca Lombardi Mazzulli (Sopran) anrührend die zu Unrecht der Treulosigkeit angeklagte Ginevra. Der Bass Biagio Pizzuti gab einen belkantesken König von Schottland, Manuel Amati mit leicht nasalem Tenor einen temperamentvollen Lurcanio, Bruder Ariodantes. Die Dalinda des Soprans Theodora Raftis fiel stimmlich etwas blass aus, fügte sich aber gut in die Handlung. Als Edoardo ergänzte überzeugend Manuel Caputo.

© Festival della Valle d’Itria

Fazit: Die beste Produktion der beim heurigen Festival gezeigten drei Opern und ein wie wild applaudierendes Publikum, welches das Haus am Ende nur ungern verließ.


Ariodante
Georg Friedrich Händel

Teatro Verdi, Martina Franca

29. Juli 2024

Inszenierung: Torsten Fischer
Musikalische Leitung: Federico Maria Sardelli
Orchestra Barocca Modo Antiquo


Eva Pleus, 13. August 2024