Martina Franca: „Le joueur“, Sergej Prokofjew

Der ersten Oper von Sergej Prokofjew war kein glückliches Los beschieden. Zwischen November 1915 und April 1916 entstanden, sollte das Werk mit einem vom Komponisten selbst geschriebenen Libretto, das auf Dostojewskijs „Der Spieler“ basiert, Ende Februar 1917 am Marinskij in Petersburg uraufgeführt werden. Die Sänger protestierten aber wegen der schwierig zu singenden Musik und wurden bei ihren Protesten von zwei in der Theaterkommission sitzenden konservativen Künstlern wie Glazunow und Cui vehement unterstützt. Der Ausbruch der Oktoberrevolution machte jede weitere Hoffnung auf eine Aufführung zunichte. Nach Jahren im Ausland und u.a. der Komposition von „Die Liebe zu den drei Orangen“ kehrte Prokofjew 1927 nach Russland zurück, wo er das Werk überarbeitete. Da er in der Heimat keine Interessenten fand, überließ er die Uraufführungsrechte schließlich dem Brüsseler Théâtre de la Monnaie, wo es in französischer Übersetzung und mit verhaltenem Erfolg 1929 endlich auf die Bühne kam. Die russische Erstaufführung kam überhaupt erst 1963 zustande, und das in konzertanter Form.

Die Überarbeitung hatte der Komponist vorgenommen, nach dem er schon den „Feurigen Engel“ geschrieben hatte, was die Musik mehr an letzteres Werk annähert als an „Die Liebe zu den drei Orangen“. Das betrifft auch das Sujet, denn nach dem grotesk-heiteren Thema der „Orangen“ stehen in dem ersten und dem dritten Werk an die Grenzen psychischer Erkrankung stehende Obsessionen im Mittelpunkt. Die im fiktiven Roulettenburg angesiedelte Handlung um dem Spiel hoffnungslos verfallene Menschen, die in ihren Ruin taumeln, wird von einer Musik getragen, die einem neuen erzählenden Rhythmus folgt und auf eine Form des Ausdrucks setzt, die sich völlig von den Werken der russischen Vorgänger Prokofjews unterscheidet.

Der Komponist selbst meinte, es brauche für die Umsetzung der Szenen einen besonders geschickten Regisseur, was vor allem für die große (lange) Szene am Roulettetisch im 4. Akt gilt. In Martina Franca hat man mit David Pountney einen Künstler gefunden, dessen Regie hochmusikalisch ausgefallen ist. Zum Teil expressionistisch angehaucht, fanden die Bewegungen der Sänger immer in Übereinstimmung mit den ironisch-sarkastischen Tönen des Orchesters statt. Das Bühnenbild von Leila Fteita darf ruhig als genial bezeichnet werden: Die mit den Roulettenummern bedeckten Wände spiegelten sich am Plafond und gaben ganz die bedrückende Atmosphäre wieder, die das Leben von dem Spiel verfallenen Menschen kennzeichnet. Adäquat die von derselben Künstlerin entworfenen Kostüme und hervorragend die je nach Situation zwischen Grün, Rot und Grau changierende Beleuchtung durch Alessandro Carletti.

Aleksej, den es als Hauslehrer in die Familie des spielbesessenen Generals verschlagen hat, verliebt sich in Polina, die Stieftochter des Generals, und rutscht gleichzeitig ins Spielmilieu ab. Die Rolle ist vokal ausnehmend fordernd, aber der Tenor Sergej Radchenko bezwang furchtlos die hohe heldische Tessitura und spielte auch die zwischen ihren Leidenschaften aufgeriebene Figur ausgezeichnet. An der Seite des Russen verkörperte die Griechin Maritina Tampakopoulos die schwierige Rolle der Aleksej nicht liebenden und unter starken Stimmungsschwankungen leidenden Polina. Ihr dramatisches Sopranmaterial eignete sich gut für die ihren hysterischen Charakter zeichnende Musik. Die Bassrolle des Generals würde ein in der Tiefe substanzreicheres Organ verlangen, als es der Engländer Andrew Greenan besitzt, aber er versetzte sich so köstlich in die Figur des in die Lebedame Blanche verliebten Mannes, der auf den Tod seiner Großmutter warten muss, um mit deren Erbschaft seine Schulden begleichen zu können, dass dieses Handicap wenig störte. Die Mezzorolle der Großmutter gibt einer Singschauspielerin die Möglichkeit zu zwei großen Auftritten, die Silvia Beltrami mit gesunder Stimme und messerscharfer Diktion bestens nützte. (Die angeblich im Sterben liegende alte Dame taucht unerwartet in Roulettenburg auf, enterbt den General und verfällt ihrerseits dem Spielteufel – eine Szene, bei der man als Zuschauer nahezu Schadenfreude empfindet).

Der englische Tenor Paul Curievici verlieh dem hinterhältigen Marquis, der dem General zu Wucherkonditionen Kredit gibt und Polina verführt, die richtigen skurril-gemeingefährlichen Züge. Die Russen Alexander Ilvakhin (Mr. Astley, Bariton) und Xsenia Chubunova (Blanche, Alt), der Serbe Strahina Djokic (Baron Wurmerhelm, Bass), der Chilene Gonzalo Godoy Sepúlveda (Potapytch, Bariton) und (neben Silvia Beltrami der einzige Italiener) Sandro Rossi (Fürst Nilsky, Tenor im Falsett) vervollständigten auf konzentrierte, überzeugende Weise das internationale Ensemble, das auch in der Rouletteszene neben anderen Sängern verschiedene Rollen bestritt. Jan Latham-Koenig erwies sich mit dem begeistert mitgehenden Orchestra del Teatro Petruzelli di Bari als bestens vorbereiteter und schwungvoll agierender Sachwalter von Prokofjews Werk.

Ein schöner und lautstark bejubelter Abschluss des heurigen Festivals.

Eva Pleus 18.8.22

Bilder: Clarissa Lapolla