Gesamtbericht
vom 12.04. bis 21.04.2014
„Schön, Sie wiederzusehen“
wird man als Besucher auf Plakaten der zweiten Baden-Badener Osterfestspiele begrüßt. Schön, wieder bei den Osterfestspielen im Schwarzwald sein zu können, ist man nach kurzer Wiedereingewöhnung geneigt zu antworten. Wieder sind die Berliner Philharmoniker zehn Tage zu Gast in Baden-Baden und absolvieren ein Riesenprogramm. „Die müssen immer, wir dürfen, wenn wir Lust haben“, könnte man sagen, wenn man sich sein Programm zusammenstellt. Das ist zweifellos der Konkurrenzveranstaltung in Salzburg strukturell nachgebildet, aber deutlich reichhaltiger. Dabei war es wieder in dem schon 2013 bewährten Raster aufgebaut. 10 Tage lang kleine Formate jeweils um elf Uhr und um zwei Uhr; die „große“ Veranstaltung jeweils am Abend um 18 Uhr; wer könnte sich das nicht merken? Und mit einem kleinen Faltblatt sieht man mit wenigen Blicken, wo man hingehen sollte; so man denn Karten hat, denn für den Tageskassen-Verkauf war fast nichts mehr übrig geblieben.
Es herrscht Festspielstimmung in der Stadt. Überall werden die Aufführungen thematisiert. Hunderte von beschrifteten Blumenkästen weisen auf die Veranstaltungen hin. SWR2 und das Festspielhaus laden im Rahmen ihrer Kulturpartnerschaft während der ersten Osterfestspiele der Berliner Philharmoniker in Baden-Baden in die gemeinsame Festivallounge ins Kulturzentrum LA 8 ein. Dort veranstaltet der SWR im Dunstkreis der Festspiele Hörfunksendungen und dort hält der schon seit über einem Jahrzehnt für das Festspielhaus Baden-Baden tätige Dozent Dariusz Szymanski vormittags um Elf seine Vorträge zu den Veranstaltungen des gleichen Abends – frei für jedermann in gepflegter entspannter Atmosphäre. Kenntnisreich, humorvoll und fundiert, dabei leicht verständlich für den normalen Musikinteressierten sind die eineinhalbstündigen Vorträge. Wenn es Dariusz Szymanski nicht gäbe, man müsste ihn erfinden.
Mit 28400 Zuschauern zog das Festspielhaus auch für die zweiten Osterfestspiele 2014 eine sehr positive Bilanz. Die in absoluten Zahlen leicht rückläufige Zuschauerzahl ist auf darauf zurückzuführen, dass es eine Opernvorstellung weniger im Festspielhaus gegeben hat; die Auslastung ist demnach noch gestiegen. Nach den Festspielen ist vor den Festspielen: das Programm für 2015 lag schon überall aus.
MUSIKTHEATER
Die Programmierung der Veranstaltungen im Festspielhaus erfolgte wieder risikomindernd im Blick auf ein konservatives Publikum, das mit seinen Kartenpreisen den Löwenanteil der kaum öffentlich subventionierten Kosten einzahlen muss, obwohl die Preise in Baden-Baden im Opernbetrieb immer noch um etwa ein Viertel unter denen der hochsubventionierten Salzburger Konkurrenz (Sommerfestspiele) liegen. Also hieß die diesjährige große Oper „Manon Lescaut“ von Giacomo Puccini. Ein weiteres Stück Musiktheater wurde halbszenisch angeboten: passend zur Jahreszeit die Johannespassion von Johann Sebastian Bach; und als Spezialität und kleineres Format wurde „Skandal in Baden-Baden“ als Musiktheater im historischen Stadttheater von Baden-Baden aufgeführt. Um unsere ausführlichen Besprechungen darüber zu finden, rollen Sie einfach auf dieser Seite weiter nach unten. Auch in diesem Jahr wurde das Opernprogramm wieder um die Kinderoper ergänzt, wofür Manon Lescaut für die Kleinen aufgearbeitet wurde. Die Präsenz der Jugend zeigte auch ein Konzert des Bundesjugendorchesters und eine Darbietung des Bundesjugendballetts während der Festspieltage; musikalische Leitung: Simon Rattle
KAMMERKONZERTE
Sie heißen im Programm der Osterfestspiele „Meisterkonzerte“ und werden von Musikern der Berliner Philharmonikern bestritten. Was im „großen Programm“ nicht möglich scheint, wird hier Realität: die Programmierung von Raritäten und Schmankerln auch unter Berücksichtigung der Moderne steht im Mittelpunkt der jeweils gut einstündigen Konzerte an verschiedenen Spielorten in der Stadt. Wegen der Anwesenheit von hochqualifizierten Musikern aller denkbaren klassischen Instrumente können dabei auch Kombinationen aufs Podest gebracht werden, die sonst kaum die Chance hätten, in einem nachmittags- oder abendfüllenden Kammermusikprogramm berücksichtigt zu werden. Fünfzehn Kammerkonzerte standen zur Auswahl – mit einem Einheitspreis von 15 EUR auch für den kleineren Geldbeutel – und fast durchweg ausverkauft. Bei den nächsten Osterfestspielen steigt der Preis wegen des guten Zuspruchs konsequent auf 20 EUR.
Stiftskirche Baden-Baden am 17.04.2014
IL TRAMONTO
Varian Fry Quartett, Iris Vermillion (Mezzosopran)
Das Quartett bot zunächst Luigi Cherubinis Streichquartett Nr. 5 F-dur dar, einen filigran-gespielten Klassiker, der dann leider gar nicht filigran klang. Denn die Platzierung der vier Streicher vor dem fast 20 Meter langen Chor der Kirche mit 3/8 Schluss führte zu einem Echo aus dem Chor, welches zusammen mit dem ziemlich langen Hall je mehr zu einem Klangbrei führte desto mehr Tempo und Dynamik angezogen wurden. Schade für dieses Werk des Meisters der italienischen Klassik, eines der letzten bedeutenden Instrumentalkomponisten dieses Landes vor der Moderne.
Iris Vermillion (Foto: Robert Frankl)
Ganz anders verhielt es sich mit dem anschließend musizierten „Il tramonto“, einem Prosagedicht von Percy Bysshe Shelley, ins Italienische Übertragen von Roberto Ascoli, das Ottorino Respighi als poemetto lirico vertont hat. Ohnehin selten zu hören, wird es dann meist in der orchestrierten Form gegeben; bei diesem Konzert indes in der Originalfassung für Streichquartett und Mezzosopran. Bei dem getragenen Tempo der Komposition wirkte die Besonderheit der Raumakustik hier nicht störend, eher im Gegenteil: Iris Vermillions wunderbarer dunkel-sanfter und samtiger Mezzo bekam dadurch einen zusätzlichen mysteriösen Schimmer, und das Streichquartett erhielt einen leichten Anstrich von orchestral breiterem Klang. Da die Sängerin sich nicht gegen ein großes Orchester durchzusetzen hatte, konnte sie sich voll auf ihre innige Interpretation und eine expressive Diktion konzentrieren; ein echter musikalischer Leckerbissen.
Weinbrennersaal im Kurhaus Casino Baden-Baden am 18.04.2014
I CRISANTEMI
Aleksandar Ivić und Christoph von der Nahmer (Violine), Joaquín Riquelme García (Viola), Solène Kermarrec (Violoncello), Alexander Bader (Klarinette), Mor Biron (Fagott) und Guillaume Jehl (Trompete)
Das für das Kammerkonzert namensgebende Stück I crisantemi ist ein einsätziges, düster fließendes Trauerstück für Streichquartett, das Giacomo Puccini 1890 auf den Tod des Herzogs von Savoyen komponiert hat und von dem er ein Thema drei Jahre später in Manon Lescaut aufgenommen hat. — Das Konzert begann aber mit Mozarts Klarinettenquartett A-dur KV 581 („Stadler-Quartett“), neben seinem Klarinettenkonzert das zweite Spätwerk Mozarts für Klarinette für seinen Freund Stadler geschrieben. Man kann das Werk als Konzert für Klarinette und Streichquartett sehen und den Klarinettisten in diesem Sinne als den Solisten. Alexander Bader spielte es eher klassisch klar, nicht romantisierend und machte im Wechselspiel mit dem Streichquartett die Struktur des Werkes klar. Den Tonumfang des kantablen Instruments hat Mozart voll ausgeschöpft, was einen besonderen Reiz des Werks ausmacht.
Die Serenata op. 46 für fünf Instrumente (1927) von Alfredo Casella (1883 – 1947) beschloss das Konzert. Die bis auf das notturno und die cavatina heiteren insgesamt sechs Sätze des Werks, teilweise manieriert klassizistisch, wurden vom Ensemble beschwingt humoristisch dargeboten, strukturiert nach Tutti-, Bläser- und Streichersätzen.
Stadttheater Baden-Baden am 20.04.2014
DER PHILHARMONISCHE SALON
Udo Samel; Foto Festspielhaus Baden-Baden
ist eine von Götz Teutsch konzipierte Veranstaltungsreihe, die Musik und Literatur einer gleichen Epoche mischt. Nun brachten Teutsch und Mitglieder der Philharmoniker eine solche Veranstaltung mit nach Baden-Baden. Der Schauspieler Udo Samel, wendig, nuanciert und mit einem Schuss Ironie, las Texte von Marcel Proust über dessen Eindrücke beim Mai-Salon der Madame Madeleine Lemaire im Paris der belle époque. Majella Stockhausen und Cordelia Höfer (Klavier), Akessandro Cappone (Violine) und Manfred Preis (Saxophon) gaben dazu musikalische Kostproben von Komponisten der damaligen Zeit (Debussy, Fauré) in den Instrumentalisten angepassten Arrangements; dabei durften auch Kompositionen von Reynaldo Hahn (1875 – 1947) nicht fehlen, einem regelmäßigen Besucher des Salons der Madeleine Lemaire in der rue de Monceau.
SINFONIEKONZERTE
Drei große Konzerte der Berliner Philharmoniker mit renommierten internationalen Solisten standen auf dem Programm. Eine besondere musikalische Dramaturgie hatte sich Simon Rattle für die
Sinfoniekonzerte im Festspielhaus am 19.04. und 20.04.2014 ausgedacht.
Vom reinen Klangraum bis zu Rhythmus total sorgten Ligetis „Atmosphères“, Wagners Lohengrin-Vorspiel, das Violinkonzert von Brahms sowie Strawinskys „Sacre du Printemps“ für mitreißenden Kontrast.
Anne-Sophie Mutter Foto: Harald Hoffmann
Rhythmisch oder melodisch so gut wie nicht strukturiert fasziniert das bis zu 87-stimmige Stück von Ligeti (1961, dabei ist fast jedes Instrument getrennt notiert) mit seinen leichten Fluktuationen im Klangraum. Als es im Saal verklungen war, dirigierte Simon Rattle einige Takte der Stille, um den Beifall zu verhindern und um dann bruchlos mit dem Lohengrin-Vorspiel einzusetzen. Um dieses im Charakter noch mehr einem reinen Klangbild anzunähern, drängte er in der Interpretation die Filigranität zurück und legte es etwas pastös an. Anne-Sophie Mutter war die umjubelte Interpretin des Violinkonzerts von Brahms. Sie, die aus dem Hotzenwald im südlichsten Schwarzwald stammt, kontrastierte in ihrer Interpretation das etwas drög-akademisch wirkende Werk des Hamburgers vor allem im ersten Satz mit angeschleiften Tönen und glissandi und gab ihm so mehr Charme, verlieh dem Adagio einen überirdischen Schmelz und entfachte schließlich Begeisterungsstürme mit dem sehr temperamentvoll und flott gespielten (mit ungarisch gefärbten Tanzthemen versehenen) Rondo Begeisterungsstürme. Dies gelang im abschließenden Werk Simon Rattle und den Berliner Philharmonikern erneut mit dem Sacre du Printemps. Die einleitende Hirtenmelodie, dann wenige slawische Melodien leiteten immer wieder in rein rhythmische Schärfungen und Ekstasen über, die von dem Riesenorchester in härtester Präzision musiziert wurden.
Im Konzert am 20.04. stand anbstelle des Violinkonzerts von Brahms das Cellokonzert von Edgar Elgar auf dem Programm; Solistin. Sol Gabetta. In einem weiteren Sinfoniekonzert hatte Yefim Bronfmann am 14.04. das Kaiserkonzert von Beethoven gespielt, gefolgt von Richard Strauss‘ Heldenleben.
Simon Rattle Foto: Monika Rittershaus
Beim
MUSIKFEST
der Berliner Philharmonie am 17.04.14 im Festspielhaus
ging es insgesamt deutlich heiterer zu. In drei Teilen mit zwei Pausen musizierten Bläser- und Streichergruppen der Philharmoniker. Klaus Wallendorf, Hornist des Orchesters, hatte die Moderation übernommen und kündigte „Musik verstorbener und verschiedener Komponisten“ an. Es begannen die Bläser mit Streichermusik für Harmonie gesetzt. Es gab von Vivaldi das Concerto g-moll „la notte“ mit dem Flötisten Michael Hasel anstelle der Solovioline sowie den „Tanz der Stunden“ von Amilcare Ponchielli sowie die Ouvertüre zum Barbier von Sevilla. Besonders temperamentvoll zeigte sich die Hornistin Sarah Willis, die neben ihrem Stamminstrument auch das Triangel bedient, das zum Schluss vom Notenpult abstürzte.
Im zweiten Teil gaben die Berliner Barock Solisten, ein Ensemble aus den Philharmonikern, Die vier Jahreszeiten von Vivaldi; den Solopart übernahm der Erste Konzertmeister des Orchesters Daishin Kashimoto, der mit voreingestelltem Gesichtsausdruck, aber deutlichem Körpereinsatz spielte. Mit virtuosem, aber stets geschmeidigem Spiel drängte er sich nie in der Vordergrund und verriet mit seinem Vibrato in den langsamen Sätzen seine Verankerung in einem deutschen Orchester. Die Zustimmung des Publikums ist bei diesem Werk immer garantiert. Im dritten Teil trat der Chef selbst auf; er leitete ein kleines Instrumentalensemble der Philharmoniker (Flöte, Klarinette, Harfe, Viola, Violoncello und zwei Perkussionisten) bei Magdalena Koženás Interpretation von elf Volksliedern von Luciano Berio (1925 – 2003) aus verschiedenen europäischen Regionen, überwiegend dem romanischen Sprachraum, der hier mit Sizilianisch, Sardisch, Französisch, Italienisch und der Langue d’oc vertreten war. Bei Rattles kündigt sich höchst sichtbar Nachwuchs an; auch Frau Koženás Gesichtszüge haben sich deutlich gerundet, was ihr sehr gut steht und was scheinbar auch auf ihren Gesang durchzuschlagen schien. Einschmeichelnd, rund und samtig war ihre Intonation, nuanciert die Färbungen und makellos die Diktion. — Das Schlusswort im Konzert hatten Blechbläser der Philharmoniker: Horn, Basstuba und jeweils fünf Trompeten und Posaunen. Zu Giovanni Gabrielis (1554 – 1612) Sonata XV wurde auch die Tuba (erfunden 1835) eingesetzt; so genau nimmt man es nicht. Aber dafür hatte man das eher seltene Vergnügen, in Pergolesis Suite für Blechbläser, die ohnehin sehr temperamentvoll vorgetragen wurde, eine lebhaft schnelle, sogar melodieführende Soloeinlage des Basstubisten Alexander von Puttkamer zu erleben.
Manfred Langer, 22.04.2014