Gelsenkirchen: „Eine Nacht in Venedig“, Johann Strauss

Die letzte Gelsenkirchener „Nacht in Venedig“ liegt schon 26 Jahre zurück. Aus Anlass der Bundesgartenschau gab es 1997 eine Open-Air-Produktion im Amphitheater am Rhein-Herne-Kanal. Einige der damaligen Gelsenkirchener Nachwuchstalente wie Anja Harteros, Nikolai Schukoff und Gerhard Siegel sind heute gefragte Stars. Damals inszenierte Dick Top bunt und überdreht, jetzt führt Intendant Michael Schulz Regie, holt auch eine Gondel von damals aus dem Fundus, versucht das Stück aber ernst zu nehmen und mehr aus dieser Operette zu machen, als eigentlich drinsteckt.

© Karl und Monika Forster

Im Bühnenbild von Beata Kornatowska spielt „Eine Nacht in Venedig“ in einem italienischen Edelrestaurant in Gelsenkirchen. Das erinnert an Dietrich Hilsdorfs legendäre Essener „Carmen“ von 1998, die auch in einer spanischen Kneipe im Ruhrgebiet spielte. Die Bühnenbildnerin hat ein opulentes und sehenswertes mehrstöckiges Restaurant mit Bars, Sitzbereichen und Küche entworfen.

Regisseur Michael Schulz wertet das umfangreiche Personal des Stückes durch große Dialogszenen auf, wobei das Programmheft nicht verrät, ob er selbst oder Dramaturgin Anna-Maria Polke für die Texte verantwortlich ist. Jedoch wird hier anspielungsreich und munter aus der Kultur- und Weltgeschichte zitiert. Das bestens aufgelegte Gelsenkirchener Sängerensemble, das hier fast komplett auf der Bühne steht, demonstriert seine schauspielerischen Qualitäten, sodass Tempo und Pointen genau sitzen. Eine Straffung und Verzicht auf Nebenfiguren hätten der Aufführung aber gutgetan, denn man weiß nie so recht, ob man jetzt in einem Schauspiel mit Gesangseinlagen oder einer Operette mit viel zu langen Dialogen sitzt.

Aus dem Herzog Urbino wird ein Unternehmer und Playboy, von dem sich die Männer des Stückes einen sozialen Aufstieg erhoffen. Dafür sollen notfalls auch deren Frauen auf die amourösen Angebote des Herzogs eingehen, wobei diese aber ihr eigenes Ding machen. In den Partien des Herzogs und seines Dieners Caramello verfügen Adam-Temple-Smith und Benjamin Lee über schöne und leichte Tenorstimmen, lassen aber Schmalz und Glanz vermissen. Mit heldentenoralen Aufschwüngen überzeugt Martin Homrich, als Koch Pappacoda, in den schnellen Passagen bleiben seine Texte aber unverständlich.

Die Reihe der emanzipierten Frauen wird von Margot Genet als Fischerin Annina angeführt. Mit selbstbewussten und gut gerundeten Sopran preist sie ihre „Frutti di Mare“ an. Mezzo Lina Hoffmann gibt die Senatorengattin Barbara mit laszivem Mezzo und darf sich bei „Warum darf eine Frau denn kein Verhältnis haben“ auf dem Klavier räkeln. Das Chanson ist aus „Eine Frau, die weiß, was sie will“ von Oscar Strauss entnommen, fügt sich aber im Gegensatz zu dem, was das Publikum dann im 3. Akt erwarten sollte, logisch in das Stück. Mit leichtem und spritzigen Sopran singt Bele Kumberger die Ciboletta.

© Karl und Monika Forster

Eine unterhaltsame Satire auf die Ampelkoalition ist das Senatorentrio: Urban Malmberg gibt als Delaqua den „alten, weißen Mann“, während Anke Sieloff als Agricola Barbaruccio auf Gendergerechtigkeit achtet, ohne dabei platt zu werden. Hagen-Goar Bornmann spielt den Georg Testaccio als verbissenen Jungkonservativen. Am Pult der Neuen Philharmonie Westfalen setzt Giuliano Betta nicht auf pauschaler Walzerseligkeit, sondern lässt die Strauß-Partitur mit vielen Feinheiten differenziert ausspielen.

Im 3. Akt kann Regisseur Michael Schulz das, was er inszenieren möchte, offensichtlich nicht mehr mit der Musik auf die Bühne bringen, die Johann Strauß komponiert hat. Stattdessen gibt es eine nervige Collage: Die Damen singen eine Rache-Arie aus Vivaldis „Juditha triumphans“, Senator Delaqua stimmt König Phillips Klage-Arie aus Verdis „Don Carlos“ an, und das Kneipenpärchen singt das Papagena-Papagena-Duett aus Mozarts „Zauberflöte“. Außerdem wird noch das Liebesgedicht „Geständnis“ von Robert Gernhardt rezitiert. Weil sich der Herzog schließlich entschließt, im spanischen Granada auf Frauenjagd zu gehen, gibt es zum Finale den Gassenhauer von Augustin Lara.

Insgesamt erlebt man Inszenierung, die intelligent gedacht ist, aber in einem konzeptionellen Durcheinander endet. 

Rudolf Hermes, 29. November 2023


Eine Nacht in Venedig
Johann Strauß

Musiktheater im Revier Gelsenkirchen

Premiere: 25. November 2023

Regie: Michael Schulz
Musikalische Leitung: Giuliano Bettaz
Neue Philharmonie Westfalen