Venedig: „L’Africaine“

Aufführung 1.12.2013 (Premiere 23.11.2013)

Das Teatro La Fenice feiert Meyerbeer

Im kommenden Jahr gilt es die 150. Wiederkehr des Todestags von Giacomo Meyerbeer zu begehen, und mit dieser Produktion zeigte das venezianische Opernhaus einmal mehr seine Leistungsfähigkeit, denn der 1791 in der Nähe von Berlin geborene Komponist errang seine großen Erfolge bekanntlich mit den Pariser Aufführungen seiner aufwendigen grands-opéras. Weder seine italienischen, noch seine deutschen Werke (etwa „Romilda e Costanzo“, Padua 1817, oder „Das Hoffest von Ferrara“, Berlin 1843, als Nachfolger Spontinis im Amt eines GMD) vermochten etwas zu seinem Nachruhm beizutragen, während „Robert le diable“, „Les Huguenots“, „Le Prophète“ und – posthum – „L’Africaine“ Triumphe feierten. Sind diese Werke aus dem normalen Repertoirebetrieb mehr oder weniger verschwunden, so hat das zwei Gründe, nämlich die auf die Spitze getriebene Suche nach Überraschungseffekten, die dramaturgisch nicht immer zwingend sind und ein heutiges Publikum schwerlich beeindrucken, auch wenn „an Menschen nicht und an Maschinen“ nicht gespart wurde (andererseits sperren sich diese eher abstrusen Einfälle gegen eine minimalistische Auslegung). Der zweite Grund liegt an den hohen Ansprüchen an die Sänger, konnte Meyerbeer doch mit der crème de la crème seiner Zeit arbeiten und spickte die Partien seiner Hauptrollenträger mit allen erdenklichen Schwierigkeiten (die häufig reiner Selbstzweck sind).

„L’Africaine“ wurde wie gesagt posthum 1865 in Paris uraufgeführt, entstand aber im Verlauf von mehr als zwei Jahrzehnten. Der Komponist hatte 1842 mit Eugène Scribe einen Vertrag für ein neues Werk unterzeichnet, aber erste Niederschriften gehen gar auf 1836 zurück, und fast bis zuletzt sollte das Werk „Vasco de Gama“ heißen. Da bei Meyerbeers Tod auch Scribe schon verstorben war, übernahm die dramaturgische Einrichtung François-Joseph Féris, Dozent am Pariser Konservatorium und von Verdi als „mittelmäßiger Theoretiker, völlig unfähiger Historiker und Komponist von adamitischer Unschuld“ bezeichnet. So wurde, was vom Komponisten und vom Librettisten als Anklage gegen Kolonialismus und Versklavung gedacht war, flugs zur harmlosen Liebesgeschichte des großen Entdeckers de Gama mit der versklavten Königin Sélika.

Dramaturgisch verlieren die fünf Akte nach und nach an Gewicht: Im 1. Akt ist Vasco gerade als einziger Überlebender einer mißglückten Entdeckungsfahrt zurückgekehrt und verlangt vom Hof, mit Mitteln für neue Reisen ausgestattet zu werden. Der Großinquisitor und Don Pédro, des Königs Stellvertreter, sind dagegen und lassen den aufbegehrenden Vasco in den Kerker werfen. Dort spielt der 2. Akt: Im Gefängnis befinden sich auch Sélika und der heimlich in sie verliebte Nélusko, einer ihrer Untertanen, die von Vasco verschleppt worden waren. Sélika liebt Vasco, dessen Gefühle aber Inès gelten, Don Pédros Tochter. Dieser gelingt es, Vascos Freilassung zu erwirken, die Gegenleistung dafür, dass sie sich dem von ihrem Vater als ihr Gatte gewählten Don Pédro verlobt hat. Der 3. Akt spielt auf dem Schiff (das übrigens Richtung Madagaskar und Indien segelt und nicht nach Afrika) Don Pédros, der sich von Nélusko dazu verleiten läßt, eine Route zu nehmen, die in den sicheren Untergang führt. Da taucht Vasco mit seinem Schiff auf und will dem bedrohten Don Pédro die richtige Route weisen. Der ist aber eifersüchtig und ordnet Vascos Erschießung an. Aber einheimische Matrosen erstürmen rechtzeitig das Schiff und veranstalten ein Massaker. Dem ist nur Vasco (und auch Inès, was Vasco aber nicht weiß) entkommen, der nun im 4. Akt von den brahmanischen Priestern zum Tod verurteilt wird. Davor rettet ihn Sélika, indem sie ihn heiratet und ihm die Flucht in Aussicht stellt. Ein Hochzeitstrank führt aber dazu, dass Vasco Sélika nun mit anderen Augen sieht und in Liebe zu ihr entbrennt. Da erscheint die totgeglaubte Inès, Vasco findet in die „Normalität“ zurück und segelt mit ihr ab. Im 5. Akt begibt sich Sélika zum Manzanillobaum, dessen giftiger Duft tötet. Nélusko erreicht die Sterbende und bleibt bei ihr, was auch seinen Tod bedeutet.

Musikalisch beeindruckt das Werk eher durch die raffinierte Orchestrierung denn durch wahrhaft melodische Einfälle (was in meinen Augen auch für das berühmte „O paradis“ gilt). Zu gefallen vermögen die oft rhythmisch skandierten Chöre, Sélikas Schlaflied im 2. Akt, das hymnische Liebesduett Vasco-Sélika im 4. und die Todesszene der Königin. Leider wurde einiges an Musik gekürzt, was mir angesichts eines so selten gespielten Werkes nicht richtig erscheint. Darunter litt vor allem die Rolle der Inès, in der Jessica Pratt nur in ihrer Auftrittsarie ihre Virtuosität unter Beweis stellen konnte, denn u.a. fiel ein Duett mit Sélika im 5. Akt der Schere zum Opfer. Was sie zu singen hatte, bewältigte Pratt mit ihrem geläufigen Koloratursopran tadellos. Die ursprünglich für Mezzo konzipierte Titelrolle war von Meyerbeer in einen Sopran à la Falcon verwandelt worden, kann also auch von einem hellen Mezzo mit guter Höhe bewältigt werden. Veronica Simeoni brachte dafür alle Voraussetzungen mit und erfüllte die Partie der unglücklichen Königin (wer dächte da nicht an Dido!) mit großer Innigkeit. Mit dem homogenen, samtenen Klang ihrer Stimme interpretierte sie eine zu Tränen rührende, ekstatische Todesszene. Die heldentenorale Rolle des (hier nicht unbedingt sympathisch gezeichneten, ruhmsüchtigen) Vasco de Gama sang Gregory Kunde mit dem ihm in den letzten Jahren neu zugewachsenen Aplomb und schreckte vor keiner der explosiven Spitzentöne der Partie zurück. Nélusko fand in Angelo Veccia einen szenisch geboten wilden Feind der Christen, der aber seinen Bariton stark forcierte und bei den Höhen stemmen und pressen musste. Auch der fiese Don Pédro von Luca Dall’Amico (Baß) hätte eindrücklicher klingen dürfen, ebenso wie Davide Ruberti (Don Diégo) aus dem gleichen Stimmfach. Vascos Anhänger Don Alvar fand in dem hübschen Tenor von Emanuele Giannino eine gute Verkörperung. Das Bassfach wurde auch von Mattia Denti (Großinquisitor) und Rubén Amoretti (Hohepriester des Brahma) würdig vertreten. Der von Claudio Marino Moretti einstudierte Chor lieferte eine kompakte, homogene Leistung ab. Der Franzose Emmanuel Villaume am Pult des Orchesters del Teatro La Fenice widmete sich dem Werk mit großer Liebe zur detailreichen Orchestrierung, sodaß der über vierstündige Abend jederzeit interessant blieb. Das war auch der Regie von Leo Muscato zu verdanken, dem es gelang, dem Publikum so etwas wie Empathie mit den stereotypen Rollen zu vermitteln. Entbehrlich waren nur die Projektionen (Fabio Massimo Iaquone und Luca Attilii) während der Vorspiele, die Bilder von den miserablen Zuständen in der Dritten Welt wiedergaben, was trotz des erhobenen Zeigefingers (seht her, wie es dort heute ausschaut!) keinen Mehrwert für die Geschichte schufen. Das einfache Bühnenbild von Massimo Checchetto bezog viel Stimmung aus der Lichtregie von Alessandro Verazzi. Passend historisierend die Kostüme von Carlos Tieppo.

Viel Jubel bei dieser letzten Vorstellung der Serie.

Eva Pleus, 22.12.2013