Kopenhagen: „Queen of Spades“

Vorstellung am 26.10.2019

Es gibt sie noch, diese einmaligen Glücksmomente im Theater, wo man vor lauter Schönheit und Ergriffenheit nur noch weinen könnte. Solche Momente bringt das Ballett QUEEN OF SPADES, welches der junge britische Choreograf Liam Scarlett vor eineinhalb Jahren für das Königliche Dänische Ballett geschaffen hatte. Wo soll man mit dem Lob beginnen? Nun am besten wohl in der Reihenfolge des Besetzungszettels. Liam Scarlett schuf auf der Grundlage von Puschkins wohl eindrücklichster Novelle ein bestechendes Konzept, um die tragische Geschichte des spielsüchtigen deutschen Offiziers und Aussenseiters in der russischen Armee, Hermann, in die choreographische Sprache zu übersetzen. Das ist perfektes Handlungsballett, ohne gestellten pantomimischen Firlefanz. Alles wird aus dem Tanz, dem Körper der Tänzer herausgearbeitet, in eine bezwingende, ja geradezu atemberaubende Tanzsprache übersetzt. Selbst wer weder mit Puschkins Novelle noch mit Tschaikowskys gleichnamiger Oper vertraut ist, wird mit dem Schicksal der Protagonisten mitfiebern können.

Die Choreografie ist von stringentem Fluss, Kraft und Empathie geprägt. Und trotz allem verharrt sie im klassischen Tanzstil mit Tanz auf der Spitze, Sprüngen, Hebungen und Virtuosität. Wahrlich, der Tanz bringt hier eine bedeutende zusätzliche Ebene in die Geschichte – und zwar kongruent zur Musik! Diese hat der begnadete Musiker Martin Yates aus verschiedenen Werken Tschaikowskys zusammengestellt und sensationell stimmig orchestriert: Man hört Ausschnitte aus Opern (EUGEN ONEGIN, natürlich auch PIQUE DAME, DIE JUNGFRAU VON ORLÉANS u.a., Orchestermusik aus HAMLET, DER STURM, MANFRED, und orchestrierte Klaviermusik – Berceuse, Scherzo, Valse caprice). Die Bühne und die Kostüme wurden von Jon Morell entworfen, wobei er sich bei der Gestaltung der Bühne auf schlichte, bewegliche Elemente in klaren Linien beschränkte, bei den Kostümen hingegen mit prachtvollen, beglückenden Entwürfen punktete. Im Prolog (mit der jungen Gräfin) sind die Kostüme an das Rokoko Zeitalter angelehnt, später dann an die Entstehungszeit der Novelle Puschkins. Wunderschön! Die alles wird durch das Lichtdesign David Finns atmosphärisch dicht ausgeleuchtet.

Kommen wir zu den Ausführenden dieser Matinee im wunderschönen alten königlichen Theater: Stephanie Chen Gundorph beherrscht die Szene mit ihrer gefühlskalten, unheimlichen Präsenz. Ihre Darstellung der Gräfin ist schlicht eine Wucht, präzise getanzt, die Mimik zur Eismaske erstarrt und dabei sowohl als junge Gräfin als auch als betagte und später als Geist von geradezu unheimlicher Anziehungskraft. Tobias Praetorius tanzt den ehrgeizigen Aussenseiter Hermann, der schliesslich den einzigen Weg zum sozialen Aufstieg in dieser versnobten russischen Adelsgesellschaft im Glücksspiel sieht. Diesem verfällt er so sehr, dass er in die Sucht, ja in eine Besessenheit abgleitet. Praetorius tanzt dies mit fantastischer, ausdrucksstarker Kraft. Wenn er dann – nach verlorenem Endspiel und dem Einsatz der falschen Karte – zusammenbricht und dem Wahnsinn verfällt, könnte man heulen über sein tragisches Schicksal. Er liebt zwar Liza, die Pflegetochter der Gräfin, welche von Lena-Maria Gruber mit berührender Schlichtheit getanzt wird. Sie wird aber auch von Tomskij bedrängt (kraftvoll und sexy dargestellt von Vitor de Menezes). Hermann jedoch ist ambitiös und wendet sich von Liza ab: Eine Beziehung zu Pauline (wunderbar spritzig und mit schönem Tanz auf der Spitze: Heather Dünn) scheint ihm erfolgsversprechender.

Der Pas de Quattre beim Ball (Liza – Tomskij , Pauline – Hermann) ist fantastisch geraten. Der Kapitän in der Kaserne wird von Meirambek Nazargozhayev mit autoritärer Kraft getanzt, Nicolai Hansen besticht mit Eleganz als Paulines Vater Cekalinskij und James Clark gibt den Gegenspieler der Gräfin, Graf St.Germain, im Prolog am Hof von Orléans .

Wunderbar luftig tanzt das Corps des königlichen Balletts in der Ballszene, mit schon beinahe Nurejew’scher Kraft die Männer in der Szene in der Kaserne.

Vincenzo Milletari am Pult der Kongelige Kapel bringt Tschaikowskys elegische Melodien aufs Einnehmendste zum Klingen!

Eine Aufführung, die man gesehen und erlebt haben sollte und wohl nicht so schnell vergisst!

Kaspar Sannemann 27.1ß.2019

© Henrik Stenberg