Berlin: „Der goldene Hahn“, Nikolai Rimski-Korsakow

© Monika Rittershaus

Und wenn sie nicht gestorben sind, dann leben sie noch heute“…, mit dieser frohen Botschaft kann man sich wahrlich nicht aus dem Märchen vom Goldenen Hahn verabschieden, für das sein Schöpfer Alexander Puschkin, auch für viele andere Opernstoffe wie Eugen Onegin oder Boris Godunov verantwortlich, sich von der Sage Washington Irvings, in deren Mittelpunkt ein arabischer Astrologe steht, inspirieren ließ. Zwar gibt es einen König und eine Königin und auch zwei Prinzen, aber am Schluss sind drei von ihnen zu Tode gekommen und das auf durchaus nicht rühmliche Weise. Puschkin stand Zeit seines Lebens in einem ambivalenten Verhältnis zum Zarenhof, es gab sogar Gerüchte, dass sein frühes Ableben durch die Inszenierung eines Zweikampfs mit einem berüchtigten französischen Duellanten verursacht wurde, und Rimski-Korsakows letzte Oper, wahrscheinlich inspiriert durch den russisch-japanischen Krieg und die Niederschlagung der Revolte von 1905, als gutgläubige Untertanen sich Hilfe von Väterchen Zar erhofften, durfte zu seinen Lebzeiten nicht aufgeführt werden. Man kann gut und gern das Werk für eine Politsatire mit verschleiernden märchenhaften Elementen halten, die jedoch, soweit es sich um russische Folklore handelt, in der Inszenierung von Barrie Kosky vollkommen ausgespart bleiben, die dem Werk also alles Tümelnde abspricht, ihm eher, zumindest was den König Dodon betrifft, die eines Psychogramms zuweist, in dem Züge eines Falstaff, eines Don Quichote oder einer Beckett-Gestalt sichtbar werden. Wenn dem König vom goldenen Hahn die Augen ausgehackt und genüsslich verspeist werden, statt dass er durch anders platzierte Schnabelangriffe zu Tode kommt und dazu noch das Bühnenbild von Rufus Didwiszus eine öde Heide mit bedauernswertem Baumstumpf darstellt, verwendbar als Galgen für die buchstäblich kopflosen Prinzen wie als Wohnsitz für den Hahn, dann darf auch an King Lear gedacht werden. In den kurzen Pausen zwischen den drei Akten wandern mal ein altes Weib, mal ein alter Mann, der Astrologe, vor dem Vorhang von der einen zur anderen Seite, was einen Teil des Publikums in verfrühten Beifall ausbrechen lässt.

© Monika Rittershaus

Phantasievoll sind die Kostüme von Victoria Behr, allen voran die für die Bojaren, die oberhalb der Gürtellinie Pferdeschachfiguren sind, unterhalb derselben mit schwarzen Perlonstrümpfen und Strapsen daherkommen, und auch das Gefolge der Königin von Schemacha frönt der Vorliebe des Regisseurs für Glanz und Glitter und denselben angepasstes Ballett (Michael Fernandez, Lorenzo Soragni, Silvano Maraffa und Kai Chun Chuang). Ausgerechnet aber der König ist verdammt zu unverzichtbarem Feinripp, leider nicht nur leicht angegrautem.

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Aus dem Lyoner Ensemble stammt der König Dodon von Dmitry Ulyanov mit klarer Diktion, der seinen gewaltigen Bass sowohl dröhnen als sich in gepflegter mezza voce ausdrücken lassen kann. Eine elegante Erscheinung ist Kseniia Proshina als Königin mit lichtem, geschmeidigem lyrischem Sopran, kein Koloratursopran, so dass die Extremhöhe, die hier tatsächlich sehr extrem ausfällt, etwas kurz angebunden klingt. Eher ein Charakter- als ein Countertenor ist James Kryshak, der als Astrologe Geheimnisvolles zu verbreiten vermag. Ihren nicht allzu umfassenden Aufgaben werden Pavel Valuzhin als Prinz Gwidon und Hubert Zapiȯr als Prinz Afron gerecht. Abgrundtief orgeln darf Margarita Nakrasova als Aufseherin Amelfa. Der Goldene Hahn wird von Julia Muzychenko so durchdringend wie angenehm anzuhören gesungen, Daniel Daniela Ojeda Yrueta (!) ist ein Bild von einem Hahn, leider aber für weit rechts Sitzende im Publikum nicht zu sehen. Fermin Basterra und Myung Hoon Park stützen als Erster und Zweiter Bojar, Alexander Vassiliev ist rollendeckend General Polkan.

© Monika Rittershaus

Wenn die Handlung eine recht krude und in keiner Weise zu Herzen gehende ist und das auch nicht sein will oder sollte, so ist die hervorragende Orchesterleistung unter dem neuen Generalmusikdirektor James Gaffigan, die mit ihren glitzernden, gleisnerischen Farben Eleganz mit mitreißendem Drive verbindet, schon allein einen Besuch der Vorstellung wert.

Auch der Chor singt wie immer phantastisch, zum Teil auf der Bühne, zum Teil aus dem Off (David Cavelius), ihm gebührt wie fast immer ein Sonderlob.

Ingrid Wanja, 28. Januar 2024


Der goldene Hahn
Nikolai Rimski-Korsakow

Komische Oper Berlin

Besuchte Premiere am 28. Januar 2024

Inszenierung: Barrie Kosky
Musikalische Leitung: James Gaffigan
Orchester der Komischen Oper Berlin