Berlin: „Die Banditen“, Jacques Offenbach

„So kritisch wie Schiller, aber viel lustiger“, dazu noch im Berliner Schillertheater stattfindend – wenn das nicht höchste Erwartungen weckt bei einem Publikum, das auch nach dem Umzug der Komischen Oper in ihr Ausweichquartier nicht auf die inzwischen geliebte Tradition gewordene schöne Gewohnheit verzichten will, sich kurz vor Weihnachten an einer konzertiert aufgeführten Operette erfreuen zu können. Im vergangenen Jahr hatte bereits Max Hopp zwei Einakter des Deutschfranzosen Jacques Offenbach zwar nicht „inszeniert“, aber doch auch optischen Genuss garantierend auf die Bühne gebracht, nun widmete er sich dessen Les Brigants, die nur deshalb in Deutschland nicht als Räuber, sondern als Banditen bezeichnet werden, damit man sie nicht mit Schillers Erstlingsdrama verwechselt.

© Jaro Suffner

Es handelt sich um Offenbachs letzte abendfüllende opéra bouffe, die 1869 erfolgreich in Paris uraufgeführt, aber schnell vergessen wurde, weil der deutsch-französische Krieg Schluss machte mit dem Spaß an der Verhöhnung Uniformierter und den Stücken eines zumindest teilweise deutschen Komponisten. Im deutschsprachigen Raum erlangte das Stück mit der Übersetzung von Karl Kraus nach 1920 eine neue Popularität, auch Gustav Gründgens versuchte sich an einer Übersetzung, es gibt unter anderen eine Aufnahme mit der späten Martha Mödl und Evelyn Künnecke als Schatzmeister unter Pinkas Steinberg und auf YouTube kann man eine Video-Aufnahme in der Regie von Harry Kupfer und mit vielen Kräften der Komischen Oper, dazu lustigen Gänsen, genießen. An der Dresdner Staatsoperette war das Stück noch 2020 einen kräftigen Skandal wert, weil allzu sehr vom späteren Ring-Regisseur Valentin Schwarz auf „modernen“ Krawall gebürstet. Derartige Entgleisungen hat man konzertant und dazu noch kurz vor Weihnachten nicht zu befürchten. Es geht um Genuss und Freude, augenblicklich notwendiger denn je in den letzten trüben Jahren.

Die Handlung wartet nicht mit großen Überraschungen auf, sondern zeigt ein Liebespaar zwischen einem gesellschaftlichen Oben und Unten, wobei sich das anscheinend böse Unten als lernfähiger als das scheinbar überlegene Oben erweist, d.h. eine Räuberbande kommt zu der Einsicht, dass man effizienter als im dunklen Wald in höchsten gesellschaftlichen Positionen seinen Nächsten berauben und sich auf seine Kosten bereichern kann. So ist es dann nur logisch, dass aus dem Räuberhauptmann ein Polizeidirektor wird.

© Jaro Suffner

Die Komische Oper bringt eine auf eine und eine dreiviertel Stunde verkürzte Fassung, die ohne Pause gespielt wird, was sich als glückliche Lösung erweist, da es von Anfang bis Ende rasant und spannend ist und bleibt. Max Hopp liefert den Beweis dafür, dass Schauspieler die besten Regisseure sein können, die Gespür und Erfahrung miteinander verbinden können und für die Bedürfnisse der Schauspieler oder Sänger nicht nur ein offenes Ohr haben. So wird die Behauptung, es handle sich um eine konzertante Aufführung, zunehmend ad absurdum geführt, verharrt nicht einmal der Chor auf seinen Podesten an den Seiten der Bühne, sondern wird neben derselben auch die Umrandung des Orchestergrabens bespielt, so dass der Abend zügig, abwechslungsreich und stimmig abläuft. Dafür sorgt auch Adrien Perruchon im Orchestergraben mit straffem, espritreichem Spiel, die Sänger zudem mit Einfühlungsvermögen begleitend. Die dürfen sich in den ironisierenden Kostümen von Katrin Kath-Bösel wohlfühlen, die sie aber nie der Lächerlichkeit aussetzen, auch der Vocalkonsort Berlin unter Leitung von David Cavelius singt nicht nur vorzüglich, sondern wechselt mehrfach die lustig charakterisierenden Kostüme.

© Jaro Suffner

Nicht nur ein solches sehr lustiges, sondern dazu noch eine irre Frisur hat Tom Erik Lie, der zwar „nur“ den betrügerischen Antonio, Finanzverwalter des Herzogs von Mantua (der nichts mit il duca von Verdi gemein hat) singt und spielt, das aber so wunderbar komisch und verräterisch tückisch, dass man aus dem Staunen und Lachen nicht herauskommt. Dazu ringt er seinem Bariton noch die irrwitzigsten Töne ab. Es gibt auch zwei Tenöre in großen Partien mit dem Räuberhauptmann Falsacappa, dem Alexander Kaimbacher viel Bühnenpräsenz und eine durchdringende Stimme verleiht, und den Fragoletto, der eigentlich einem Mezzosopran zugedacht ist, der aber an diesem Abend mit Johannes Dunz eine optisch wie akustisch höchst angenehme Realisierung erfährt. Nadja Mchantaf ist eine quirlige Fiorella mit besonders in der Höhe gut ansprechendem Sopran, Christoph Späth bewährt sich einmal mehr als Hauptmann, und viele Mitglieder des Opernstudios dürfen Erfahrungen auf der Bühne machen wie Noam Heinz als Herzog, Elisabeth Wrede als Prinzessin von Granada, Ferdinand Keller als Baron, Ferhat Baday als Hofmeister. Kurzum, auch in diesem Jahr erweist sich der Ausflug in die gar nicht so konzertante Operette, die zudem nach Offenbach-Manier mit Anspielungen auf heutige Missstände zusätzlich Vergnügliches bot, als höchst erfreulich und wird am 30. Dezember noch einmal wiederholt.

Ingrid Wanja, 17. Dezember 2023


Jacques Offenbach
Die Banditen

Komische Oper Berlin

Besuchte Premiere am 17. Dezember 2023

Inszenierung Max Hopp
Musikalische Leitung: Adrian Perruchon
Orchester der Komischen Oper Berlin