Berlin: „Die Großherzogin von Gerolstein“

Abgespeckt und doch nicht mager

Zwar beteuerte Barrie Kosky vor Beginn der Premiere von Offenbach Die Großherzogin von Gerolstein, Wut und Zorn über die erneute Schließung aller Theater seinen inzwischen verflogen, aber zumindest etwas Sarkasmus konnte er sich nicht verkneifen, wenn er die Gleichsetzung eines Opernhauses mit einem Nagelstudio anprangerte und süffisant in Aussicht stellte, die Komische Oper zwecks Offenhaltung in eine Synagoge zu verwandeln, „Männer unter und Frauen oben“. Schnell hatte der Intendant auf die strengen Hygieneregeln reagiert, sie perfekt für das Haus umbesetzt, einen neuen Spielplan erstellt, der bisher auch perfekt funktioniert hat und auch die Neuproduktion der Offenbach-Operette ihnen angepasst mit einem auf achtzehn Musiker verkleinerten Orchester, einer Gruppe von nur vier Tänzern und „Abstandskostümen“ zumindest für einige der Mitwirkenden.

Diese waren dann auch das einzige Üppige am Premierenabend am 31.10., phantasievoll entworfen von Klaus Bruns und eine weitere Ausstattung etwa mit einem Bühnenbild oder aufwendigen Requisiten fast überflüssig machend. Nur klitzekleine Stühle oder ein riesiges Sofa durften kurz einmal auf die Bühne. „Den Geist dieses Werkes in der heutigen Zeit zu riechen“, sollte der Verzicht auf musealen Theaterzauber ermöglichen. Lediglich der Lichtregie von Franck Evin war es vergönnt, die kahle schwarze Bühne etwas zu verzaubern.

Und auch in Bezug auf die Besetzung der Titelpartie gab es eine Überraschung mit der Besetzung nicht durch eine altgediente Diva (Dagmar Manzel war es am Deutschen Theater gewesen, Felicity Lott in Paris, auf Leib und Stimmbänder von Hortense Schneider komponiert war sie von Offenbach ), sondern alternierend mit zwei Baritonen des Hauses, am Premierenabend mit dem Norweger Tom Erik Lie. Das rückte das Werk, und das durchaus beabsichtigt, noch stärker in die Nähe von Kabarett und Varieté, ließ auch eher zu, dass weniger eine Anklage gegen die Krieg und seine Verursacher als die resignative Einsicht am Schluss, „wenn man nicht haben kann, was man liebt, muss man lieben, was man hat“ zum Kern des Ganzen wird.

Eingesprungen im Orchestergraben war die junge russische Dirigentin Alevtina Ioffe, die ihre Musiker zu Drive, Härte und Flexibilität antrieb. Für die Choreographie war Damian Czernecki verantwortlich, der drei Tänzer und eine Tänzerin als die für das Haus typischen Irrwische über die Bühne fegen ließ, während die in Fatsuites gewandeten vier Herren aus dem Gesangsensemble sich ausdauernd in Hopserei, mehr war in diesen Kostümen nicht möglich, ergehen mussten. Gegenüber diesen bombigen Herren erschien der Fritz von Ivan Turšić als ein besonders kümmerliches Etwas, nichts von Strahlemann, dem die Herzen von Großherzogin und Wanda einfach zufliegen müssen, und auch vokal ist man eigentlich mehr Schmelz und Schmalz von dieser Lichtgestalt eines Tenorbuffo gewohnt. Jens Larsen hingegen konnte als General Bumm bereits mit seinem Auftrittslied seinem Affen Zucker geben und polterte auch für den Rest des Abends rollengerecht über die Bühne. Auch Tijl Faveyts hatte als Baron Puck seine baritongewaltigen Momente, Christoph Späth komplettierte das Trio als bubihafter Prinz Paul. Christiane Oertel durfte der Sprechrolle des Baron Grog einige queere Soprantöne in den Mund legen. Einen schönen lyrischen Sopran setzte Alma Sadé für die Wanda ein, ausladend war ihr Reifrock und immer wieder die Sicht auf kokette Strumpfbänder und ein weißes Höschen freigebend.

Tom Erik Lie hatte man schon oft am Haus bewundern dürfen, nie aber wie an diesem Abend, als er in rauschhaften Kostümen in allen vokalen Registern schwelgte, sei es eine Lucia-Kadenz oder sei es baritonales Orgeln im Liebesrausch, mal an Zarah Leander erinnernd und doppelt verrucht als ein Mann, der eine Frau darstellt, die einen Frack trägt. Was dieser Sängerschauspieler an diesem Abend bietet, lässt tatsächlich allen Bühnenschnickschnack überflüssig werden.

In wenigen Tagen wird Barrie Kosky unverdrossen den Spielplan für die nächsten Monate vorlegen, und die Großherzogin kann man auf jeden Fall zur Jahreswende wieder erleben.

Fotos Monika Rittershaus

1.11.2020 Ingrid Wanja