Graz: Elisabeth Kulman – La femme, c’est moi

Graz, Fachwerkhalle der Seifenfabrik am 5. Juli 2016

Bejubelter Erfolg

"Ein Soloprogramm, das ich mir nach Herzenslust zuschneidern kann? Welchem Sänger würde das nicht Spaß machen? Was ich schon längere Zeit im Hinterkopf hatte, wird nun Wirklichkeit. In aller Freiheit erlaube ich mir nebeneinander zu stellen, was scheinbar nicht zusammengehört: Franz Schubert und Michael Jackson? Richard Strauss und Beatles? Fricka, Erda und Brünnhilde in einer Person? Sie können sich das schwer vorstellen? Wenn Sie die Bearbeitungen von Tscho Theissing gehört haben, werden Sie es sich kaum mehr anders vorstellen können! Zudem habe ich mir die besten Musiker auf die Bühne geholt, von den Wiener Philharmonikern bis zu internationalen Solisten und Jazz­-Größen."

Mit diesen Worten leitet Elisabeth Kulman das Programmheft ein, das erfreulicherweise schon vor dem Konzert online im gesamten Umfang verfügbar war. Aber natürlich liest man im Programmheft nur in alphabetischer Reihenfolge die Komponisten jener Stücke, die – zumindest in Auszügen – erklangen. Das zweiteilige 90-Minuten-Programm ist eine geniale Collage, die man erleben muss – und die man kaum nacherzählen kann. Dabei beginnt alles zunächst alles fast konventionell: das sechsköpfige Instrumentalensemble – Elisabeth Kulman wird sie am Ende als „die beste Band der Welt“ bezeichnen – beginnt mit einem eingängigen Medley. Während des Spiels schreitet die Kulman in prächtige Abendrobe – vom Großteil des Publikums fast unbemerkt – aus der hintersten Saalecke zum Podium und singt betörend die große Dalila-Szene Mon coeur s’ouvre à ta voix.

Der Beifall braust auf, die Diva verneigt sich und man denkt, nun werde das folgen, was man ja schon seit Jahren von Kulmans CD-Produktionen von Mahler-, Wagner-. Mussorgsky-Werken kennt: großes Opern- und Liedrepertoire in neuen Arrangements und Adaptionen. Aber diesmal gehen Elisabeth Kulman und ihr wahrlich genialer Arrangeur Tscho Theissing noch einen entscheidenden Schritt weiter: die einzelnen Stücke bzw. oft auch nur kleine Ausschnitte davon gehen nahtlos ineinander über. Speziell im ersten Teil gelingt da geradezu ein Gesamtkunstwerk von begeisternder, ja berührender Bühnenkunst. Und die Kulman versteht es, alle Facetten ihrer Kunst und wohl auch ihrer Persönlichkeit so überzeugend zu präsentieren, dass man nach jedem Stück meint: das war jetzt die „echte“ Kulman. Aber sie führte ihr Publikum ganz bewusst und gezielt in die Irre. Nach der Dalila – besonders berührend die Phrase réponds à ma tendresse – und dem Riesenbeifall, sagt die Kulman trocken: Das war gelogen und geht sofort in Cole Porters I hate men über. Das gelingt genauso überzeugend und „echt“ – aber am Ende sagt Kulman: Das war auch gelogen und stimmt die Habanera aus Carmen an. Nach diesen großen Einleitungsnummern wird das Geflecht immer dichter. Schuberts Meine Ruh ist hin geht nahtlos in Michael Jackson über, bevor das zutiefst melancholische ungarische Lied Trauriger Sonntag erklingt, das in den Dreißiger-Jahren Berühmtheit erlangte, weil es in den Ruf kam, Menschen zum Suizid zu bewegen. Danach beginnt wie aus dem Nichts die ganz verhalten a cappella angestimmte Paminen-Arie (2001 Kulmans Bühnendebüt an der Wiener Volksoper!), die wiederum in den Todesteil aus Schuberts Der Tod und das Mädchen mündet und weiterführt zu John Lennons When I’m sixtyfour. Der erste Teil klingt aus mit dem Monolog der Marschallin aus dem Rosenkavalier – zunächst gesprochen, dann exquisit gesungen und artikuliert. Der Rosenkavalier-Ausschnitt war übrigens ein besonders gelungenes Beispiel für die meisterhaften Arrangements und die ebenso meisterhaften Leistungen der Instrumentalisten Gerald Preinfalk (Klarinetten, Saxophone), Maria Reiter (Akkordeon), Eduard Kutrowatz (Klavier), Aliosha Biz (Violine), Franz Bartolomey (Violoncello), Herbert Mayr (Kontrabass) und des Arrangeurs Tscho Theissing, der auch Violine, Triangel und, und… spielte.

Ich empfand den ersten Teil als ein bewegendes, sehr persönliches und wohl gar nicht leichtfallendes Abschiednehmen der sichtlich reifer gewordenen Elisabeth Kulman von den wunderschönen Seiten der großen Opernszene.

Der 2.Teil des Abends war dann primär drastisch-spektakulären Szenen gewidmet – die Grenze zum Klamauk war nahe! Das begann mit dem Herwig-Reiter- Chanson nach einem Text von Christine Nöstlinger Olle Mauna haum an Huscha…. Sie an nema, hot kann Zweck! (Meine geneigte deutsche Leserschaft wird wohl rätseln, was das heißt…..), gefolgt von der Friedrich-Hollaender-Nummer Raus mit den Männern aus dem Reichstag (1926). Das geht dann in einen virtuos musizierten Walkürenritt über.

Elisabeth Kulman – nun helmbewehrt – donnert ihre große Fricka-Szene aus der Walküre in den Saal. Diese wird mit den (transponierten) Brünnhilden-Hojotoho-Rufen und Erdas Weiche Wotan und mit Wolfram-Reminiszenzen aus dem Tannhäuser durchsetzt, bevor die Kulman die herrische Fricka-Frage ausstößt: Empfah‘ ich von Wotan den Eid! Da erhebt sich der Pianist Eduard Kutrowatz vom Flügel und stammelt die Wotan-Worte: Nimm den Eid. Da die Kulman mit prachtvoll frei strömender Stimme exzellent singt, verzeiht man ihr – die ja auch die Regisseurin des Abends ist – gerne und erheitert diesen Wagner-Klamauk. Nun kam gar die Escamillo-Arie (!) – auch sie großartig gesungen. Darauf folgte eine eigens angekündigte Uraufführung eines Chansons nach Gedichten von Erich Kästner in der Musik von Herwig Reiter, bevor Elisabeth Kulman beklemmend-dicht die Seeräuberjenny aus der Dreigroschenoper vorträgt. Auch die Salome bleibt nicht verschont – Auszüge aus dem Schleiertanz sind für das Ensemble virtuos arrangiert, werden von Kulman diskret mit Tanzandeutungen ergänzt und schließlich mit dem Herodes-Ausruf Man töte dieses Weib beendet.

Nach dem Piaf-Schlager Non, je ne regrette rien gab es tosenden Beifall und als Zugabe nochmals den Escamillo und die Hojotoho-Rufe. Wie gesagt: der 2.Teil war knapp an der Grenze des Klamauks – dank der überragenden stimmlichen und instrumentalen Leistungen aber dennoch vergnüglich und begeisternd! Hier war der Anspruch erfüllt, den der Intendant an seine Veranstaltungen stellt und den ich bei der zuletzt besprochenen Veranstaltung vor wenigen Tagen vermisste: Ideen von genialen Künstlern bestmöglich zu vermitteln.

Zweifellos werden die Kulman und ihre instrumentalen Mitstreiter mit diesem Programm auch an anderen Orten Furore machen! Nächster Termin am 17. August beim Attergauer-Kultursommer

Hermann Becke, 6.7.2016

Fotos: Styriarte © Werner Kmetitsch

Ein PS zum Veranstaltungsort kann ich mir nicht verkneifen:

Das Konzert fand in der Grazer Seifenfabrik statt – sie nennt sich selbst Eventlocation. Ihre Fachwerk-Halle hat unbestritten eine hervorragende Akustik, ist aber für Konzerte dennoch denkbar ungeeignet, ist sie doch rund 58 Meter lang, aber nur 12 Meter breit. Der Sitzplan sieht so aus:

Da sieht man sehr deutlich, dass nur etwa ein Zehntel des Publikums die Aufführung so sehen konnte, wie man sie den ausgezeichneten Pressefotos der styriarte zu entnehmen glaubt. Gott sei Dank hat Elisabeth Kulman seit jeher die Gewohnheit, sich auf dem Konzertpodium zu bewegen. Wenigstens sie hat das Publikum also fallweise auch frontal sehen können. Von den Instrumentalisten sah ein Großteil des Publikums nur die Rücken, die wiederum die gegenüber sitzenden anderen Musiker verdeckten….. Wahrlich keine optimale Lösung für ein Programm, in dem ganz dezidiert ein Mensch – La femme, c’est moi – im Zentrum steht, den allerdings in diesem Saal nur ein kleiner Teil des Publikums als Zentrum sehen kann. Der eminenten Ausstrahlung und Bühnenpersönlichkeit von Elisabeth Kulman ist es zu danken, dass man diesen eklatanten räumlichen Nachteil (fast) verschmerzen konnte!