Zeitgenössische Musik ist, jedenfalls aktuell in Wuppertal en vogue. Vor wenigen Tagen wurde hier ein Klaviertrios von Lutz Werner Hesse uraufgeführt und das 5. Sinfoniekonzert begann mit Musik von Detlev Glanert, einem der „ meistgespielten Opernkomponisten auf der Welt“ (Semperoper 2023). Insgesamt hat er bisher 14 Opern geschrieben, die auf großen Bühnen (München, Mannheim, Bremen, Halle, Köln, Frankfurt, und anderswo uraufgeführt worden sind. Stilistisch eher rückwärtsgewandt, also alles andere als Advantgarde, fesseln seine Werke aber das Publikum, und zwar ohne „verflachende Popularisierung“, wie es in der Presse heisst.
In seiner Musik mit Brahms zitiert er mit klassischem großen Orchester aus dessen 4. Sinfonie die fallende Terz zu Beginn, verfällt dann aber ins freie Phantasierenund greift nur gelegentlich greift musikalische Stimmung und Aura seines berühmten Vorbildes auf, wenn sich z. B. ein grandioses Hornthema gegen hektische Holzbläser durchsetzt. Die Streicher müssen sich immer wieder mit aller Kraft gegen lautes Blech in parallelen Dissonanzen behaupten. Stampfender Rhythmus erinnert zwischendurch einmal an das Sacré du printemps und dem Höreindruck nach auch an Orchesterwerke von Richard Strauss. Die hochkomplexe Partitur gestaltete die Dirigentin exakt und ausdrucksstark. Großer Applaus nach dem Ende mit der unerwartet um den Schlusston ergänzten Terz des Beginns.
Hieß es bei der Bekanntgabe der Nichtverlängerung des Vertrages von Patrick Hahn, dass in dieser Saison prinzipiell jede Gastrdirigentin als Nachfolgern für den GMD in Frage komme, trifft dies auf Ruth Reinhardt inzwischen nicht mehr zu. Sie hat sich für den Posten der Musikdirektorin des Rhode Island Philharmonic Orchestra entschieden. Seit 2018 bisher ohne feste Position dirigiert sie schon bei großen und bekannten Orchestern (darunter u.a. Die Bamberger und Nürnberger Symphoniker, das hr-Sinfonieorchester, New York Philharmonic, Cleveland) auf vier Kontinenten (Europa, Nord- und Südamerika, Asien). Mit diesem Konzert gab sie ihr Debüt in der Historischen Stadthalle.
Joseph Haydns Sinfonie Nr. 88, entwickelt sie nach dem langsamen akkordischen Beginn, der bereits sorgfältig bezüglich seiner Dynamik gestaltet wurde, musikantisch, kräftig und mit großer Spielfreude. Silberner Flötenklang über virtuosem Kontrabässen : da lies sich das nicht sehr zahlreich erschienene Publikum an diesem Sonntagmorgen zu Zwischenapplaus hinreißen. Im Largo wurde das große Cantus firmus-Thema klangvoll von Cello und Oboe solistisch gemeinsam (Anne Yumino Weber, Sabine Rapp) zunächst gegen Violinen-Pizzicato vorgetragen um dann durch Wechsel der musikalischen Einbettung variiert zu werden. Merkwürdig und ungewöhnlich mutet das mehrfache, laute Anklopfen von Orchester, Bläsern inkl. Trompeten und heller kräftiger Pauke an. Vielleicht ahnte Joseph Haydn den Ernst der Zeitläufte, stand doch die französische Revolution unmittelbar zuvor. Jedenfalls war auch das Menuett mit Trio kein höfischer Tanz mehr, allerdings auch noch kein gespenstisch romantisches Scherzo. Die Fagotti eröffneten das Ohrwurm-Thema des letzten Satzes, der, eben Allegro, aber immerhin agogisch con spirito, seine flotte Delikatesse erst in der Durchführung und der Stretta am Ende hören ließ. Mit großem Applaus endete der erste Teil.
Nach der Pause war dann die 3. Sinfonie von Johannes Brahms zu hören, die seltener aufgeführt als seine anderen drei Sinfonien. Er hat sie im Sommer 1883 in Wiesbaden komponiert, wo ihm die damals 36 Jahre alte Altistin Hermine Spies durchaus zugewandt war, ihn « ihre Johannes-Passion » nannte, aber nicht für eine gemeinsame Zukunft begeistern konnte. Er zog sein Leben als « armer unverheirateter Mann » vor. Wohnend in der Villa von Freunden am Hang des Taunus in der Straße « Zur schönen Aussicht », genoss er seinen geliebten Rheinwein (« Ach der schmeckt schön! » ), komponierte seine 3. Sinfonie, die in Wiesbaden unter seinem Dirigat uraufgeführt wurde. Das dortige Kurorchester wurde eigens für diese Aufführung am 18. Januar 1884 auf 60 Musiker verstärkt. Clara Schumann, die der Generalprobe und dem Konzert beiwohnte, nannte diese Symphonie eine „Waldidylle“. Erinnerungen an die Wälder des Taunus? Nach zwei verschränkt aufsteigenden f-Moll Akkorden stürtzt das 1. Thema in die Tiefe, bevor sonore Celli das 2. Thema in der Tiefe über Pizzi-Orgelpunnkt der tieferen Kontrabässe zum Klingen bringen. Im mehrfachen Wechseln zwischen Dur und Moll brechen sich heftige Emotionen ihre Bahn, zartere Gefühle erscheinen musikalisch nicht. Der Satz endete dann im verhaltenen Mezzoforte. Beim Andante des 2. Satzes fühlt man sich nachdenklich meditierend, wie in einem Kreuzgang wandelnd. Beglückendes Pianissimo wurde vermisst. Vielleicht ist diese Sinfonie tatsächlich die privateste unter den Brahmsschen. Auch im 3. Satz eröffnen die Celli mit wunderbar atmendemThema, welches die Violinen dann übernehmen, später leise das Horn Auch hier dominiert eine elegische Grundstimmung. Im letzten Satz aber tobt mit synkopalen zerrissenen Akkordfetzen temperamentvoll, jedoch auch hier nicht zu schnell, das Orchester in sinfonischem Tumultarium, bis die Bratschen ein ruhigeres Thema anstimmen und der Satz leise endet. Ungewöhnlich! Stille, bis das Publikum dann in frenetischen Beifall ausbrach. Blumen gab es für die junge Dirigentin, die immer wieder nach vorne kommen, bis sie sich vom Konzertmeister verabschiedete.
Johannes Vesper, 14. Januar 2025
Detlev Glanert: „Weites Land“ – Musik mit Brahms
Joseph Haydn: Sinfonie Nr. 88 G-Dur, Hob. 1 :88
Johannes Brahms: Sinfonie Nr. 3 F-Dur, op. 90
5. Sinfoniekonzert der 162. Saison
Wuppertal, Stadthalle
Sonntag, 12. Januar 2025
Musikalische Leitung: Ruth Reinhardt
Sinfonieorchester Wuppertal