Besuchtes Konzert am 07. Juli 2022, Wiesbaden
Julia Fischer – Violine
Bamberger Symphoniker
John Storgårds – Leitung
Jean Sibelius: Sinfonische Dichtung „Finlandia“ op. 26
Zu Beginn erklang Jean Sibelius’ erfolgreichste Komposition „Finlandia“. Das 1900 uraufgeführte Werk gilt den Finnen auch heute noch als „geheime Nationalhymne“. Die große Feierlichkeit im einleitenden Bläserchoral verfehlt selten seine Wirkung. Und bereits in den ersten Takten zeigten die Bamberger Symphoniker eine hervorragende Klangqualität. Perfekt im Zusammenspiel und in der Intonation erklang die Gruppe der Blechbläser. John Storgårds ist mit der Musik seines Landmanns bestens vertraut. Zeugnis seiner beeindruckenden Kompetenz ist seine sehr hörenswerte Gesamteinspielung aller Sibelius-Sinfonien. In seinem Dirigat betonte John Storgårds die große, gesangliche Linie in seinen Phrasierungen, vor allem im ruhigen Mittelteil. Klar und zupackend gerieten die Eckteile der beliebten Tondichtung. Pulsierende Streicher, dazu innige Farben der Holzbläser, ergänzt durch hinreichend prasselnde Beckenschläge ergaben einen spektakulären Beginn, wie er gelungener nicht sein konnte. Mit großer Verve gestaltete Storgårds mit den alles gebenden Bamberger Symphonikern einen unvergesslichen Auftakt!
Robert Schumann: Violinkonzert d-Moll WoO 1
1853 entstand das letzte Orchesterwerk von Robert Schumann, sein d-moll Violinkonzert. Ein Schmerzenskind, das erst 84 Jahre (!) später uraufgeführt werden sollte. Bis heute haftet diesem Konzert so manches Vorurteil an. Schumann sei hier schon zu sehr seiner geistigen Kräfte beraubt gewesen und was nicht alles sonst noch als Unsinn verbreitet wurde! Komponist Paul Hindemith bearbeitete die Partitur, um sie „spielbarer“ zu machen. Diese Version geriet wieder in Vergessenheit. Schumanns Violinkonzert begreift sich eher als Seelenmusik, denn als Schauplatz für solistische Virtuosität.
Der erste Satz gibt Solist und Orchester viel Raum zur musikalischen Gestaltung. Ein dominantes Hauptthema prägt diesen Satz. Nervös und unruhig beginnt das Orchester, dann übernimmt die Solo-Violine das Thema. Die Violine erhält vielerlei Gelegenheit für barock anmutende Ornamentik. Und doch bestimmt das Fragende und Suchende diesen Eingangssatz. Im zweiten Satz stimmt die Violine ein lyrisch-gesangliches Solothema an. Orchester und die Solovioline tauschen in der Folge mehrfach melodische Führung und Begleitung. Darauf folgt die Überleitung zum tanzartigen dritten Satz. Im dritten Satz zeigen sich Rondo-Elemente ebenso wie Anklänge an eine Polonaise. Schumann verzichtete auch hier wieder auf eine Solokadenz.
Bereits zu Beginn des ersten Satzes umfängt die klangliche Homogenität der Bamberger Symphoniker und gibt dem tieferen Register der Solovioline großen Gestaltungsraum. Solistin Julia Fischer sucht die Gemeinsamkeit im Spiel und verbindet sich fortwährend mit dem herrlichen Tuttiklang des Orchesters. Im zweiten Satz bot Fischer eine breite Gefühlspalette voller Anmut. Herrlich gefühlt gab sie der Eingangskantilene weiten Raum, sekundiert von der edel grundierten Celligruppe des Orchesters. Kontemplation, die leider nur kurz währte. Manchmal sehr zurückgenommen, nach innen musiziert, dann wieder zupackend im Wechselspiel. So ergab sich ein völlig natürlich anmutender Übergang in die Zuversicht und überbordende Lebensfreude des Finalsatzes. Julia Fischer war ganz eins mit ihrem wunderbaren Instrument und beschenkte die Zuhörer mit hingebungsvollem Spiel.
John Storgårds dirigierte mit klaren rhythmischen Impulsen, die von den Bamberger Symphonikern bestens umgesetzt wurden. Jederzeit war die tiefe Kenntnis von Schumanns Violinkonzert bei Storgårds zu erleben. Der Dirigent und Geiger hat dieses Werk bereits etliche Male selbst gespielt und dirigiert.
Große, berechtigte und langanhaltende Begeisterung im Auditorium. Und Julia Fischer bedankte sich mit einer virtuos dargebotenen Caprice von Niccolo Paganini.
Edward Elgar: Enigma-Variationen op. 36
1898 schrieb der englische Komponist Edward Elgar eine seiner bekanntesten Orchester Kompositionen, die „Enigma Variations“. Dabei handelt es sich um ein zutiefst biographisches Werk, denn Elgar portraitierte in diesen 14 Variationen die wichtigsten Menschen und Tiere seines Lebensumfeldes.
So lernt der Zuhörer Elgars Frau Alice bereits in der ersten Variation kennen. Besonders berührend und bekannt ist die neunte Variation „Nimrod“. Gewidmet ist sie Elgars engem Freund August Jaeger, der Elgar aus einer tiefen Schaffenskrise führte. Jaeger zog als Vergleich Ludwig van Beethoven heran, dem es ähnlich erging und so sang Jaeger Elgar Beethoven Themen vor. Diese führten zur melodischen Inspiration Elgars für „Nimrod“. Und nicht vergessen werden darf Dan in der elften Variation! Wer war Dan? Elgar beschrieb dessen Missgeschick, ein Sturz in den Bach, aus dem er sich dann wassertriefend befreien konnte. Dan, die englische Bulldogge! Schlussendlich portraitierte sich Elgar selbst in der letzten Variation mit aller orchestralen Pracht!
Große Gelegenheit also für die Bamberger Symphoniker, ihre herausragende Klangkultur und virtuose Spielfreude einem hingerissenen Publikum zu präsentieren. An diesem Abend zeigten die Bamberger Symphoniker eine Qualität, die sie zu den besten Orchestern Deutschlands erscheinen lässt. John Storgårds gab dem Orchester jede Gelegenheit, mit seinem gestalterischen Potential Elgars Freunde charakteristisch wiederzugeben. Die dynamische Bandbreite wurde mit größter Raffinesse entwickelt, so dass für das grandiose Finale alle orchestrale Pracht zur Verfügung stand. Storgårds ließ die Streicher kantabel aufspielen und bot auch den kompakten Blechbläsern reichlich Raum für klanglichen Effekt. Besonders beeindruckte Storgårds Fähigkeit, die Musik ganz natürlich atmen zu lassen. Immer wieder setzte er überzeugende Ruhepunkte, um daraus neue Spannungsmomente zu entwickeln. Die Holzbläser nutzten diese Augenblicke für besondere Farbtupfer und intensive Phrasierungsbögen.
Als Zugabe, noch einmal Sibelius. Mit einem äußerst hintergründig musizierten „Valse triste“ klang dieser anregend schöne Konzertabend aus.
Dirk Schauß, 08. Juli 2022