Coburg: „Im Weißen Rössl“

Singspiel „Bar jeder Vernunft“

Besuchte Aufführung: 7. 6. 2014 (Premiere: 29. 3. 2014)

Schwungvoll, ironisch und grotesk

Etwas anders, als man es von sonstigen Aufführungen des Werkes her gewohnt ist, präsentierte sich die Neuproduktion von Ralph Benatzkys Singspiel „Im weißen Rössl“ am Landestheater Coburg. Das Stück wurde in einer von der Instrumenten-Besetzung her stark reduzierten Form gegeben, die im Jahre 1994 in der Berliner „Bar jeder Vernunft“ aus der Taufe gehoben wurde. Von dem ursprünglichen Orchesterapparat ist praktisch nichts mehr übrig. Nur ein Streichquartett, Schlagzeug und ein Klavier benötigt diese Fassung. Neben so beliebten Musiknummern wie „Im weißen Rössl am Wolfgangsee“, „Es muss was Wunderbares sein“, „Was kann der Sigismund dafür, dass er so schön ist?“ und „Die ganze Welt ist himmelblau“ drangen an diesem Abend aus dem zum Swimmingpool umfunktionierten kleinen Orchestergraben noch etliche andere Klänge an das Ohr des Zuhörers, die man nicht in Benatzkys Partitur findet. Lorenzo da Rio, der auch den Chor trefflich einstudiert hatte, kam dieses Mal auch die Funktion des Dirigenten zu. Vom Klavier aus führte er die wenigen Musiker des Philharmonischen Orchesters Landestheaters Coburg geschickt und temporeich durch den Abend. Indes wurde man mit dieser doch sehr reduzierten Bearbeitung nicht so recht glücklich.

David Zimmer (Leopold)

Da war die Regie von Tobias Materna schon viel überzeugender. Dem Regisseur ist in Zusammenarbeit mit seinen beiden Ausstattern Lorena Diaz Stephens und Jan Hendrik Neidert eine ungewöhnliche, angenehm gegen den Strich gebürstete Inszenierung gelungen, die weit entfernt von aller kitschgefährdeten Heimatfilm-Betulichkeit, wie man sie aus diversen Verfilmungen des Stoffes kennt, ziemlich nüchtern daherkommt. Das altehrwürdige Rössl erscheint hier zunächst als karger, kühl anmutender Kachelbau, der im weiteren Verlauf des Stückes peu à peu eine zunehmend wärmere Ausleuchtung erfährt. Erst am Ende, wenn sich dem Publikum mit Hilfe der Drehbühne die Hinterfront des Bühnenbildes offeriert, bricht sich dann aber doch noch ein kitschiges Ambiente Bahn, das einem Gott sei Dank vorher erspart geblieben war. Diese Vorgehensweise hatte ihre Berechtigung und wurde von dem zahlreich erschienenen und mit Applaus wahrlich nicht geizenden Auditorium auch bereitwillig akzeptiert.

Sofia Kallio (Kathi)

Materna ist ein Regisseur, der sich trefflich auf den Umgang mit Brecht’schen Elementen versteht. So bezieht er immer wieder den Zuschauerraum in das Geschehen mit ein. Die Briefträgerin Kathi, der hier die Funktion einer Spielleiterin zukommt, lässt er zu Beginn durch das Parkett auftreten und unter den erst nach ihr erscheinenden Musikern Briefe mit zum Schmunzeln verleitenden aktuellen Bezügen verteilen. Hier dürfte es sich um Extemporés handeln, die von Aufführung zu Aufführung etwas variiert werden. Auch Coburg’sches Lokalkolorit lässt Materna in seine Deutung einfließen. Kronach scheint er besonders zu lieben, jedenfalls äußert Leopold den Wunsch, dahin auswandern zu wollen. Dr. Siedler und Giesecke rufen sich am Ende des ersten Aktes ihre gegenseitigen Frotzeleien erst aus dem oben gelegenen Spiegelsaal bei geöffneten Türen zu, danach von verschiedenen Seiten des Ranges. Das Aufsteigen in die Höhen des Theatersaales als Bergwanderung: ein gelungener Einfall.

David Zimmer (Leopold), Ulrike Barz (Wirtin)

Auch sonst ist Materna um heitere Regieeinfälle nicht verlegen. An erster Stelle haben es ihm die Personen angetan, die er in liebevoller Detailarbeit und mit großem technischem Können köstlich vorführt. Die Frisuren insbesondere der Damen sind reichlich übertrieben. Auch sonst sind köstliche Überzeichnungen an der Tagesordnung, so dass das „Weiße Rössl“ manchmal geradezu zu einer Groteske zu mutieren scheint. Ein Fehler ist das indes nicht. Die Originalität der viele parodistische Elemente aufweisenden Inszenierung wird dadurch nur noch gesteigert. Sie erreicht ihren Höhepunkt, wenn der Kaiser Franz Joseph herrlich überspitzt im Taucherlook aus dem Swimmingpool steigt und sich im Folgenden insbesondere der Sympathie von Kathi, jetzt in ihrer Funktion als Jungfrauenpräsidentin, erfreuen darf. Zum Schluss steigt sie mit ihm bereitwillig ins kalte Wasser. Auch über sonstige ironisch eingefärbte Zutaten der Regie konnte man schmunzeln, so über die vergnügliche Wasserskieinlage von Dr. Siedler und das Erscheinen eines Haifisches im Wolfgangsee. Insgesamt bewies Materna ein gutes Händchen für zündende Gags, mit denen er das Auditorium schnell auf seiner Seite hatte.

Sofia Kallio (Kathi), Thomas Straus (Kaiser), David Zimmer (Leopold)

Das Ensemble setzte sich aus Sängern und Schauspielern zusammen. Von den Gesangssolisten war es insbesondere David Zimmer, der voll begeistern konnte. Noch nie hat man einen so phantastischen Leopold erlebt wie diesen jungen Tenor, der seine Stimme bestens italienisch zu führen versteht und substanzreich und ausdrucksstark intoniert. Das sehr emotional und intensiv gesungene „Zuschau’n kann i net“ war der vokale Höhepunkt des Abends. Dass er am Ende dieses Liedes etwas zu sehr in die Kopfstimme ging, war wohl beabsichtigt. Wenn dann noch eine imposante schauspielerische Leistung dazukommt, ist das Glück vollkommen. Diesem vielversprechenden Sänger steht eine große Karriere bevor. Neben ihm gab Ulrike Barz eine darstellerisch sehr resolute Wirtin Josepha Vogelhuber, die stimmlich zwischen trefflich fokussiertem Opern- und weniger gut gestütztem Musical-Gesang hin und her wechselte. In puncto italienischem Stimmfluss und Sonorität des Vortrags war ihr die bis zu den Spitzentönen fulminant singende Ottilie von Anna Gütter um Längen überlegen. Auch den äußerst dünn und kopfig vokalisierenden Dr. Siedler Dirk Mestmachers sang sie an die Wand. Als Kathi Weghalter wurde Sofia Kallio von der Theaterleitung völlig unter ihrem Wert verkauft. Zwar hat die Regie ihre Rolle, die sonst von Choristinnen oder auch Schauspielerinnen gegeben wird, und die sie mit einer ausgeprägten komödiantischen Ader auch sehr aufgedreht spielte, etwas aufgewertet. Mit einigen wenigen, von ihr selbst und dem Dirigenten komponierten Verzierungen konnte sie die enormen Qualitäten ihres höhensicheren Prachtsoprans auch noch mal bestens unter Beweis stellen. Man hätte Frau Kallio, die mit Ende der Saison das Landestheater verlässt, aber einen etwas würdigeren Abschied von Coburg in einer ihrer großen Opern-Rollen gegönnt.

David Zimmer (Leopold), Anna Gütter (Ottilie)

Bei den Schauspielern war es insbesondere Thomas Straus, der als Kaiser Franz Joseph im Taucherlook nachhaltig auf sich aufmerksam machte. Einfach köstlich gab Stephan Ignaz den Sigismund Sülzheimer als ausgemachten Beau. An seiner Seite bewährte sich in der Rolle des Klärchen Sandrina Nitschke. Zurecht viele Lacher erntete der stark berlinernde Helmut Jakobi in der Rolle des Wilhelm Giesecke. Gefällig war Stephan Mertls Professor Dr. Hinzelmann. Als hier entgegen der Konvention nicht als Teenager, sondern als gestandener Mann gezeichneter Piccolo gefiel Marcus G. Kulp. Die gelungene Choreographie besorgte Tara Yipp.

Ludwig Steinbach, 9. 6. 2014

Die Bilder stammen von Henning Rosenbusch.