Detmold: „Der Wildschütz“

Premiere: 06.12.2019

Lortzings WILDSCHÜTZ ist eine Komödie, ist eine Komödie, ist eine Komödie, ist eine Komödie, ist eine Komödie, ist eine Komödie, ist eine Komödie, ist eine Komödie…..

Lieber Opernfreund-Freund,

nach dem kurzweiligen und witzig-spritzigen Publikumsrenner Martha in der vergangenen Saison zeigt das Landestheater Detmold auch in dieser Spielzeit wieder eine komische deutschsprachige Oper aus der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts. Doch was Kay Link mit Flotows Werk so hinreißend gelang, lässt sich mit Lortzings Wildschütz nicht wiederholen. Und das liegt vor allem an der verkopften Lesart von Martina Eitner-Acheampong – aber nicht nur…

Der alte Dorflehrer Baculus hat des nachts einen Rehbock gewildert, Graf von Eberbach will ihn deshalb entlassen. Da soll Gretchen die viel jüngere Gattin von Baculus beim als Weiberheld verschrienen Grafen ein gutes Wort einlegen. Auf dem Weg zum Schloss begegnen sie der Baronin Freimann, der Schwester des Grafen. Die will sich vom Baron Kronthal, den sie heiraten soll und der sich beim Grafen Eberbach aufhält, erst einmal inkognito ein Bild verschaffen und hat sich deshalb als Student verkleidet. Nun verkleidet sich der Student als Gretchen und macht sich unerkannt auf den Weg zum eigenen Bruder. Dessen Frau wiederum hat keine Ahnung, dass Hausgast Baron Kronthal ihr Bruder ist… Sie merken schon, lieber Opernfreund-Freund, die Handlung des Wildschütz ist an sich schon vertrackt genug; doch statt diese für den Zuschauer zu entwirren, ersinnt Martina Eitner-Acheampong eine Art Höllenmaschine, die an eine Konstruktion Leonardo da Vincics erinnert, aber zusätzlich mit leuchtenden LED-Streifen ausgestattet ist. Dieses Ding – die zunehmend enervierenden Geräusche, die es von sich gibt, wann immer es zu Einsatz kommt, sollen irgendetwas Futuristisches vermitteln – spuckt bei Bedarf alles aus, was die Protagonisten so brauchen: Pumps oder ein Kleidchen zum Beispiel oder auch eine Art Glückspillen für das Volk und die Adelsfamilie selbst, an denen allenthalben wie an Leckmuscheln herumgelutscht wird. Die Maschine ist außer ein paar, bedeutungsschwanger mit Philosophenportraits verzierten Würfeln und ohne weitere Funktion am Bühnenrand herumliegenden Schriftzügen wie „Geld“ oder „Rausch“ die einzige Kulisse auf der Bühne von Katrin Wittig. Die Kostüme von Valerie Hirschmann sind knallbunt und originell, wenn auch nicht immer durch die Bank gelungen. So verdammt die unhandliche, überlange Schleppe am Gewand der Gräfin die Protagonistin zu ewigem Herumgestolper und -gestakse und auch das Strapsoutfit, das Graf von Eberbach zur Billardszene trägt, ist völlig sinnentleert.

Was das alles mit dem Wildschütz zu tun hat? Nicht einmal das ansonsten in Detmold so informative Programmheft kann darüber Aufschluss geben, sondern erschöpft sich in oft überinterpretierenden, kopflastigen Texten, bei denen der Eindruck entsteht, als hätte das Produktionsteam der Komödie partout etwas tiefschürfend Sinnstiftendes abgewinnen wollen. Manchmal jedoch ist es in Ordnung, wenn eine Komödie einfach eine Komödie sein darf – denn dann kann sie auch wirklich funktionieren. In der ersten Hälfte des gestrigen Abends allerdings will der Funke so gar nicht überspringen auf das zahlreich erschienene Publikum. Zwar entwickelt sich das in der zugegebenermaßen stärkeren zweiten Hälfte, jedoch habe ich gestern jeglichen Premierengeist vermisst, jene spürbare Anspannung im Ensemble, das Werk endlich zu präsentieren, die bei Premieren oft über den Graben bis in den letzten Winkel des Zuschauerraums Wirkung zeigt. Die ausufernden Textpassagen – bei einem so international aufgestellten Ensemble wie in Detmold durchaus auch mit schlechter Verständlichkeit – tun ein Übriges, um dem Abend so manche Länge zu bereiten. Aber es wird ja glücklicherweise nicht schlecht gesungen und musiziert.

Opernstudio-Mitglied Eungdae Han darf als Retter des Abends gelten, sprang er doch in letzter Sekunde für den erkrankten Haustenor als Baron Kronthal ein. Sein lyrischer Tenor verfügt über eine ansprechende Höhe und feine Farbe, jedoch ist die Partie stellenweise noch eine halbe Nummer zu groß für den jungen Südkoreaner. Annina Olivia Battaglia ist eine Opernstudio-Kollegin von ihm und gibt das Gretchen bühnenpräsent und farbenreich, während Emily Dorn als Baronin Freimann glänzt. Die junge Kanadierin verfügt über eine satte Mittellage und eine Höhe, die nicht immer frei von Schärfe ist, doch gelingen ihr auch immer wieder betörende Piani. Benjamin Lewis ist als Graf von Eberbach ein nonchalanter Draufgänger mit voluminösem Bariton und nuanciertem Ausdruck; Brigitte Bauma wirkt als seine Gattin wie ein Magnet für die Augen der Zuschauer, wann immer sie die Bühne betritt, so imposant ist ihr Auftreten. Seungwoen Lee darf als Baculus einmal mehr sein komödiantisches Talent unter Beweis stellen. Der tollpatschige Dorflehrer ist bei ihm und seinem für die Rolle fast eine Spur zu jung klingenden Bass in den besten Händen.

Der von Francesco Damiani betreute Chor singt und spielt versiert und sauber aufeinander abgestimmt. Vom Orchester hätte ich mir für diesen Lortzing allerdings ein wenig mehr Esprit erhofft, die reichen Melodien hätten dann noch mehr begeistert. Dass es in der ersten Hälfte des Abends in der Koordination zwischen Bühne und Graben mehr als einmal gehörig knirscht, ist vielleicht eher einer Premierennervosität als unbedingt György Mészáros zuzuschreiben, der insgesamt ein äußert solides Dirigat präsentiert, es allerdings da und dort an musikalischem Witz mangeln lässt. In Lortzings Wildschütz wird am Ende alles gut, hat doch jeder Figur im Inneren die Stimme der Natur längst gehört, der Bruder die Schwester und die Geliebte den Partner erkannt – und der erschossene Bock war nur ein Esel. Und so war auch am Ende des gestrigen Abends alles gut: Eine solide Ensembleleistung unter überambitionierter Regie – doch eine Komödie ist eine Komödie ist eine Komödie…

Ihr
Jochen Rüth

07.12.2019

Die Bilder stammen von A.T. Schaefer (©Landestheater Detmold)