Besuchte Premiere am 12.08.22
Lehàrs Erste
Wer sich dieses Jahr fragte, wo sich der Namensgeber des Lehàr-Festival findet: in der semi-szenischen Aufführung ! Es gibt zum ersten Mal in Bad Ischl Lehàrs Operetten-Erstling „Wiener Frauen, den der Meister gleich für einen der großen Stars seiner Zeit komponieren durfte: für Alexander Girardi. Was für einen jungen, unbekannten Komponisten in Wien schon eine große Ehre bedeutete. Heute ist das Werk unbekannt, doch halt, da gibt es doch bereits einen ersten Schlager, den man gar nicht mit dem Stücktitel verbindet: der Nechledil-Marsch. Eigentlich für die gleichnamige Figur geschrieben, sicherte sich der Star Girardi, der den Willibald Brandl spielte, gleich die Erfolgsnummer ; seine Nase trog ihn nicht.
Die Handlung nahmen Hans Bergler und Emil Norini vom Pariser Boulevard und schufen daraus ein wien-idiomatisches Pendant: Claire und Philipp lieben sich und wollen heiraten, doch da gibt es noch einen Schwur, den Claire ihrem ehemaligen Klavierstimmer in jungmädchenhafter Schwärmerei gab, bevor jener, Willibald Brandl, nach Amerika verschwand. Claires Mutter, Frau Schwott, behauptet jedenfall, um das Glück ihrer Tochter zu festigen, Brandl sei schon auf der Überfahrt umgekommen. Ja, klar, mitten in der Hochzeitsnacht, muß da noch jemand ein Klavier stimmen; raten sie mal wer? Richtig ! Für die gebildeten Zeitgenossen deutlich als satirische Paraphrase auf die Brautgemachszene im „Lohengrin“ erkennbar. Claire flieht noch vor dem Vollzug der ehelichen Freuden. A propos „eheliche Freuden“,Frau Schwott , wohl verwitwet, hat da noch einen Freund an der Hand, den böhmischen Musiklehrer Johann Nepomuk Nechledil, wohl auch verwitwert, mit gleich drei Töchtern: Fini,Lini und Tini. Letztere sollen dem Brandl untergeschoben werden, um Claire für ihre eigentliche Liebe (, wir erinnern uns an Philip Rosner?,) frei zu machen. Doch Brandl hatte schon vor seiner Amerika-Tour eine Liebe zu dem Stubenmädchen Jeanette, die sich wiederbeliebt. Jedes findet sein richtiges Fach, Lini studiert Frauenrechte, Fini die Männer und Tini wird auch irgendetwas machen. Große K.& K. Apotheose mit dem Nechledil-Marsch als Rausschmeißer. Meine flapsige Inhaltsbeschreibung dieser Wiener Farce klingt vielleicht etwas abwertend, doch wer Freude am Jux und guter Musik hat, dem wird es gefallen; mit gefällt es.
Was auch an der bereits erstaunlichen Musik von Franz Lehàr liegt. Schon in der Ouverture des Erstlings liegt der ganze spätere Lehàr: die reizende slawische Note, das für die Operette der Zeit Experimentelle mit einem eingeschlossenen Klaviersolo, ein schmachtender Walzer. Und man hört auch sofort, das Lehàr bei Marius Burkert und dem Franz-Lehàr-Orchester in den allerbesten Händen liegt. Es folgen tolle Musiknummern, erstaunliche Chorpartien, gut gebaute Ensembles. Lehàr zeigt deutlich sein Können. Das Stück bewährt sich auch heute noch auf der Bühne. Angela Schweiger gelingt es mit ein paar Requisiten und werkaffinen schönen Kostümen (Simone Weißenbacher), Evamaria Schweiger steuert noch einmal ihre tollen Choreographiekünste bei, vergessen zu lassen, das es sich „nur“ um eine semi-szenische Aufführung handelt.
Die bewährten Sänger kennen wir alle schon aus den beiden anderen Produktionen: Sieglinde Schweighöfer gefällt mir mit ihrem samtigen Sopran bei Lehàr fast noch besser ais bei Strauß und bildet mit Thomas Blondelle als Philip ein harmonisch glaubhaftes Liebespaar. Gerd Vogel hat die schwierige Aufgabe die Girardi-Partie des Brandl zu übernehmen, erstens ist es gar nicht leicht den „Frauenhelden“ für uns heute nicht unsympathisch herüber kommen zu lassen, was ihm mit Humor und Charakter gelingt, zweitens war Girardi Tenor und Vogel ist Bariton, doch auch hier schafft es der Sänger die hochliegende Partie eindrucksvoll „abzuliefern. Einziges Quäntchen der Kritik: er ist halt ned weanerisch. Das wiederum hat Josef Forstner als Nechledil im Übermass, und er räumt richtig ab mit dem Marsch. Mari-Luise Schottleitner, Elisabeth Zeiler und Klàra Vincze verkörpern als Fini,Lini und Tini die Schwestern als schön unterschiedliche Frauentypen und gefallen szenisch, wie vokal. Magdalena Hallste als Stubenmädchen Jeanette ist eine Herzige, doch die Intonation sitzt nicht ganz sicher. Susanna Hirschler ist eine ordentlich weanerische Frau Schwott und Matthias Schuppli als Advokat in Eheversprechen gefällt mit trockenem Humor. Über den wunderbaren Chor unter Christoph Huber mag man schon gar nicht mehr schreiben: die sind einfach klasse !
Fazit des Lehàr-Festival 2022: es sind gleich drei gut gelungene Produktionen zu bewundern; mir gefällt „Wiener Blut“ besonders gut, weil die moderne, innovative Art der Inszenierung in ihrer manchmal etwas skurrilen Weise der Operette Akzente für die Zukunft gibt. „Frau Luna“ kommt da genregemäß sicherlich konventioneller daher, dürfte dieses Jahr doch sicherlich der Publikumsliebling sein. Zu „Wiener Frauen“ muß ich eigentlich nichts mehr schreiben; doch: ich finde es weitaus ehrenhafter für das Lehàr-Festival, statt immer wieder die fünf großen Lehàr-Operetten durchzunudeln, den unbekannten Lehàr mit Niveau zu präsentieren. Zur großen Freude aller „Fans“: CPO hat auch dieses Jahr die „Wiener Frauen“ aufgenommen, so daß es zu einer ersten Gesamtaufnahme des Werkes kommen wird. Nächstes Jahr ist als Klassiker Carl Zellers „Der Vogelhändler“ angekündigt, dazu Leo Falls „Madame Pompadour“ in einer Zwanziger-Jahre Revue-Fassung, die semi-szenische Aufführung gilt dann wieder Franz Lehàr, nämlich dessen selten gespielte Berg-Operette „Schön ist die Welt“
Martin Freitag, 18.6.22